Stationen

Dienstag, 27. September 2016

Tiger statt Bettvorleger

Ein kluges, hervorragendes Gedankenspiel von Ulli Kulke:


Einer der Sprüche, mit denen der verstorbene frühere CSU-Vorsitzende Franz-Josef Strauß am häufigsten zitiert wird, lautet: „Als Tiger losgesprungen und als Bettvorleger gelandet“. Gern despektierte er damit irgendeinen FDP-Politiker, der das Maul zu weit aufgerissen habe, zum Beispiel den „Riesenstaatsmann Mümmelmann“, wie er ihn nannte (Staatsminister Möllemann).
Bei einem seiner spektakulärsten Coups allerdings, das sollten wir nicht vergessen, ist Strauß genau das mit dem Bettvorleger selbst passiert. Als er nämlich im Jahr 1976  - kurz nach der Bundestagswahl, die Helmut Kohl als Unions-Spitzenkandidat nur hauchdünn verloren hatte - in Wildbad Kreuth einen Beschluss seiner Landesgruppe im Bundestag durchsetzte, die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag aufzukündigen.
Das Ende vom Lied: Drei Wochen später kassierte Strauß den Beschluss schon wieder. Er musste es. Kohl hatte ihn unter Druck gesetzt, ultimativ angedroht, dass seine CDU künftig auch in Bayern antritt, wenn Strauß nicht verbindlich erkläre, dass die CSU auf eine bundesweite Ausdehnung verzichte. Weshalb Kohls Drohung verfing: Die scheinbar gottgegebene absolute Mehrheit der CSU in Bayern war durch eine konkurrierende CDU in Gefahr. Strauß knickte also ein. Da war er dann, der Bettvorleger Franz-Josef Strauß.

Damals war damals, heute ist heute. 2016 ist die Situation eine völlig andere als 1976. Eine Trennung der beiden Parteien aus ihrer vordergründigen Zwangsehe wäre unter den derzeitigen Umständen durchaus ein Gedankenspiel wert, ein theoretisches, ein vielleicht abenteuerliches, aber im Interesse der Demokratie im Lande, der Politikakzeptanz und, ja, auch der CSU ein interessantes. Ob Seehofer der Mann dafür ist, bleibt eine andere Frage. Doch wer es auch immer anpackt, er hätte heute die Chance, als Tiger zu landen, Strauß zu überflügeln, in die Geschichte einzugehen.
Von dem alten Granden selig ist schließlich noch ein zweites geflügeltes Wort überliefert: Es darf niemals eine Partei rechts der CSU entstehen. Ironie der Geschichte: Heute gilt diese Maxime mehr noch als für die CSU für die Linke jeglicher Schattierung. Zur Zeit ist es für sie fast identitätsstiftend. Und für den ganz überwiegenden Teil der namhaften Presse Deutschlands auch. Und für die Strategen der bisherigen Parteien, weil das Koalitionieren und Regieren schwerer geworden ist. Jetzt ist sie trotzdem da, die unerwünschte Partei. Und nun?
Nun liegt jenes Gedankenspiel auf der Hand. Man mag es großartig finden, saublöd, endlich an der Zeit, absurd, die Lösung schlechthin oder aussichtslos. Mich würde es wundern, wenn es nicht ernsthafter ins Gespräch käme. In drei Jahren können wir uns wieder darüber unterhalten.
1976, in Kreuth, war es vor allem eine Kiste zweier Männer. Strauß hielt Kohl für eine „Flasche“. Er werde nie Kanzler. „Er ist total unfähig, ihm fehlen die charakterlichen, die geistigen und die politischen Voraussetzungen. Ihm fehlt alles dafür“, donnerte er in seiner berühmten Rede in einem „Wienerwald“-Restaurant (damals begnügte man sich mit derlei volkstümlichen(!) Restaurants) und sorgte selbst dafür, dass die entscheidenden Passagen in der nächsten Ausgabe des Spiegel abgedruckt wurden.

Heute trennen die beiden Unionsparteien Welten, weit mehr als nur das Spitzenpersonal. Auch wenn Seehofer hin und wieder in opportunistischen Volten zwischen sozialgrünliberal und Traditions-CSU changiert, muss man schon feststellen, dass die Unterschiede nicht weniger als die Paradigmen beider Parteien betreffen - worin eine Chance für unsere Demokratie liegt, dringender denn je. Dies vor allem nach den Wahlergebnissen 2016 und den hysterischen Reaktionen darauf, weil eine Partei rechts von der Mitte Erfolge erzielt, igitt. Es ist die Frage, wie lange das Fenster dafür offen ist, dafür, dass eine andere rechte Partei entsteht, deren Legitimation nicht so leicht in Abrede gestellt werden kann - bevor das System Bundesrepublik Schaden genommen hat. Die Unterschiede zu 1976 sind nur allzu deutlich.
Die CDU ist heute eine linksgrün gewendete Partei - was inzwischen wirklich keine neue Erkenntnis mehr ist und in jeder Sonntagsrede oder auch schon mal im Kommentar der Tagesthemen zur Sprache kommt. Egal ob es um die Energiepolitik, die soziale Frage, den Steuergelder verschlingenden Etatismus, die Genderthemen, den Mindestlohn und die Gleichstellungspolitik, den Euro, die Einwanderungspolitik, die Innere Sicherheit, um den Umgang mit der Türkei oder das Justizsystem geht - Angela Merkel hat ihre Partei gelehrt, wie das Kaninchen auf die Schlange, so auf die Medien zu schauen.
Und deren Meinungsführer wählen nach ihrem Marsch nicht nur durch die Institutionen sondern - noch wirkmächtiger - durch die Redaktionen seit Jahrzehnten mit großer Mehrheit selbst rot oder grün. Entsprechend geben sie die Farben des gedruckten und gesendeten Diskurses vor. Dies übrigens auch in Verlagshäusern, bei denen man traditionell genau das Gegenteil erwartet. Im Grunde flächendeckend also. Würde es ein Medienkartellamt geben, wäre es ein Fall für ebendieses.


Auf den ersten Blick also eine „alternativlose“ Entscheidung Merkels, um ihre CDU an der Spitze zu halten, aber eben nur auf den ersten. Sie brachte ihrer Partei in der veröffentlichten Meinung denn auch zunächst viel Respekt und Lob ein, zunächst, wie gesagt. Deutschland schien versöhnt, einig gegen Atom und Fremdenskepsis, offen für Multikulti und den Anspruch auf sozialen Gleichstand, nach außen hin.
Im selben Maß aber, in dem die Macht der traditionellen Medien zusammenbrach, stellte sich ein ähnlicher Effekt ein, wie er kurz vor und nach der Wende in der DDR einsetzte: Der Glaube an die uniform verordneten Denkmuster brach ein. Die Menschen hatten unversehens alternative Quellen für ihre Informationen und die Meinungsbildung, auch wenn diese von den Meinungspäpsten jener genannten Schule als ähnlich verwerflich angesehen wurden und werden wie damals  Karl Eduard Schnitzler und seine Kollegen in den SED-Medien die „Monopolpresse“ der „Bonner Ultras“ unter Beschuss nahmen. Logische Folge: Wähler und Leser wanderten erst in die innere Emigration, dann wählten sie - mangels Alternativen - die AfD, womit die Medien auch nach zwei Jahren immer noch ähnliche Probleme haben wie die DDR-Medien in ihrer Endzeit: Sie reagieren mit einer Mischung aus Mitleid, Aggressivität, Unverständnis, Hilfsversprechen, jedenfalls mit allem anderen als journalistischer Neugier, Professionalität und Redlichkeit.
Fassungslosigkeit machte sich breit angesichts der Erkenntnis, dass es nach wie vor Menschen im Land gibt, die eine rechte Partei wählen wollen. Was man doch - unter anderem - durch die eigene aufklärerische Schreibarbeit überwunden geglaubt wähnte. Welch eine Anmaßung, welch ein epochaler Fehler.
Opfer wurde zunächst die CDU, nicht die CSU. Dies liegt auch daran, dass die CSU-Spitze und -Programmatik mehr oder weniger deutlich auf Distanz zum Linksruck der CDU blieb. Aber beileibe nicht nur. Der eigentliche Grund sitzt tiefer. Es zeigte sich auch hier: Katholische Milieus sind erheblich resistenter als protestantische gegen kurzfristige Volten, besonders gegen Ideologien aller Coleur. Nicht nur linke. In katholischen Landkreisen hatte die NSDAP einst bei Wahlen wenig bis gar nichts zu bestellen. Ein Blick auf eine Deutschlandkarte, die das Wahlverhalten in jener Zeit nach Konfessionen aufschlüsselt, ist mehr als deutlich.

Die Tore für die CSU stehen sperrangelweit offen - merkt Sie es?

Das wäre jetzt die Chance. Der CSU. Viele der Wähler, die sich heute von CDU-SPD-Gruenen-Linken (sofern sie lebt, auch die FDP) deren Trennschärfe untereinander zunehmend verblasst, abwenden, haben die Phase ihrer inneren Emigration, ihre Wahlabstinenz zugunsten des Kreuzchens für die AfD nur mit Bauchschmerzen beendet. Richtig wohl fühlen sie sich nicht dabei. Ein Grund dafür: Es ist dem medialen Meinungskartell allzu leicht gefallen, das Personal der AfD abzustempeln, wegen Verbindungen zum rechtsradikalen Milieu, wegen Rassismus, wegen mangelnder Intellektualität, wegen miefigen Kleinbürgertums. Allzu leicht, heißt: Vieles davon war und ist berechtigt, punktuell auch allzu berechtigt, vieles aber eben auch nicht. Besonders bei den großen „Skandalen“ nämlich nicht.
Beim Thema Schießbefehl, Boateng, beim Vorwurf einer angeblich geplanten Zusammenarbeit mit der NPD und ähnlichen Fällen war bei Licht betrachtet nichts dran, haben die Medien deshalb, weil einer vom anderen genüsslich abgeschrieben hat, grob unredlich gehandelt, in geradezu erschreckender Weise ohne jegliches journalistisches Korrektiv. Ohne journalistisches Ethos obendrein. In diesen Fällen kann man ohne Weiteres von einer quasi selbstgleichgeschalteten Presse sprechen. Erst als die Aufregung in diesen Fällen jeweils abgeklungen war, kamen einzelne selbstkritische Stimmen. Zur Überraschung vieler hat ausgerechnet die „Zeit“ zu all dem kürzlich eine ausführliche Selbstkritik mit medialkollektivem Anspruch im Umgang mit der AfD veröffentlicht (die allerdings am Ende dann doch wieder das Postulat der journalistischen Bekämpfung der Partei formulierte, aber anders geht’s offenbar nicht).
Der allgegenwärtige Vorwurf des Rassismus trifft im übrigen in den wenigsten Fällen. Fast immer handelt es sich in den inkriminierten Fällen um Vorbehalte gegen fremde Kulturen, nicht gegen menschliche „Rassen“. Aber der Begriff verfängt, weil er in Deutschland so schön eingängig klingt. Kulturalismus würde zu harmlos klingen, also lieber Rassismus, die Keule.
Warum ich so weit aushole, wo es doch um die CSU gehen soll: Dass die AfD trotz all dieser Widrigkeiten bei Landtagswahlen serienweise zweistellige Ergebnisse einfahren konnte, ist erstaunlich, ist allein der mangelnden Alternative geschuldet und zeigt, dass eine Rechts-Partei, die nicht auf einen solchen geballten, multimedialen Vorbehalt stieße, heute ein erheblich größeres Potenzial abrufen könnte als zwölf, dreizehn Prozent. Das klingt nach Drohkulisse, für manchen gar nach Drittem Reich in Reinkultur. Es geht aber dabei eben nicht um rechtsradikal, rechtsextrem oder Nazis, es geht um rechts, als die andere Seite, von links aus gesehen.


Eine solche Konstellation ist derzeit im Lande nur schwer denkbar. Dass die AfD nämlich heute in der veröffentlichten Meinung dort steht, wo sie steht, hat ebenfalls einen tieferen Hintergrund. Diese veröffentlichte Meinung - aus deren Sicht ist das ein Erfolg - ist zu einem Gutteil selbst dafür verantwortlich dafür, dass die AfD personell so ausgestattet ist, wie sie es ist. Sie hat sich das Objekt ihrer - vordergründig berechtigten - Klage selbst geschaffen. Es fehlt die nötige Personaldecke aus wirklichen Mitte-Rechts-Persönlichkeiten, um die zurecht inkriminierten Figuren wie Höcke, Nerstheimer und ähnliche herauszudrängen. Allzu wohlfeil wäre es zu behaupten, es gebe diese Persönlichkeiten gar nicht - nur weil es diese nicht geben darf.
Jede Gruppierung, die derzeit rechts jenes bisherigen Parteien-Quartetts neu auftritt und sich zur Wahl stellt, hat absehbar die geballte Macht des ideelen Gesamt-Leitartiklers gegen sich. Skepsis gegenüber der bisherigen Einwanderungspolitik wird in der Programmatik und Tagespolitik immer eine Rolle spielen, und schon ist er da, der angebliche Rassismus. So geschah es schließlich auch im Falle der „alten“ AfD, der Lucke-AfD.
So wie vor zwei Jahren gegen diese Partei, die sich vor allem gegen den Euro und die Rechtsbrüche bei der Griechenland-Rettung positionierte, schwerstes Geschütz aufgefahren wurde, hatte die Partei nie die Chance, intellektuelles Potenzial zu sammeln. Keiner, der noch etwas werden wollte, konnte sich leisten, beizutreten und  der Partei auf seriöse Weise zu dem Profil zu verhelfen, das im politischen Spektrum des Landes für eine funktionierende Demokratie so sehr fehlt: mitte-rechts, euro- und europaskeptisch, ja, und auch multikultikritisch, wenn es denn gestattet ist.
Die Medien können es sich auf ihre Fahnen schreiben: Sie selbst haben es auch mit verhindert, dass Persönlichkeiten der Lucke-AfD beigetreten wären etwa vom Gewicht eines Otto Schily, die die in ihrer Anfangszeit kommunistisch - und übrigens auch stark rechts - besetzten Grünen durch ihren Beitritt salonfähig gemacht haben. Das Gewicht der zunehmend bürgerlichen Grünen hat es damals geschafft, Linksradikale wie Rechte bei den Grünen an den Rand und schließlich heraus zu drängen. Etwas entsprechendes ist in der AfD nicht gelaufen. Bisher jedenfalls und es steht zu befürchten - aus Sicht der Linken natürlich zu hoffen -, dass es dabei bleibt.
 
Die veröffentlichte Meinung wollte die Entstehung einer satisfaktionsfähigen rechten Partei verhindern und sie hat genau dies erreicht. Das abzustreiten wäre ein müßiges Unterfangen. Zu unbefangen öffentlich lief und läuft der öffentliche Diskurs darüber, wie das Aufkommen einer solchen Partei am besten und am wirkungsvollsten verhindert werden, beziehungsweise darüber, wie sie wieder klein gehalten werden könne. Siehe oben, „Die Zeit“.
Nun zur CSU. Eine bundesweit antretende CSU hätte dieses Problem nicht, oder nur in sehr geringem Maße. Sie ist auf der Mandats- wie Mitgliedsebene in allen Alters- und Karrierebereichen vertreten. Sie sind salon- und satisfaktionsfähig. Viele von ihnen könnten leicht in die rechte Ecke gestellt werden, völlig zu Recht. Mehr aber auch nicht. Sie aus dem demokratischen Spektrum hinauszuschreiben, würde dagegen nicht so ohne Weiteres gelingen.
Die Umfragen über Ausdehnung der CSU über Bayern hinaus sind vielsagend. Ein paar Fakten aus einer Erhebung von Infratest-Dimap: Die Mehrzahl (49 Prozent) der Unionsanhänger wünscht sich eine bundesweite Ausdehnung der CSU, dagegen sind 43 Prozent. Bei den AfD-Wählern würde dies sogar eine klare Zweidrittelmehrheit (68 Prozent) begrüßen. Auch bei der Gesamtheit der Wahlberechtigten in Deutschland sprechen mehr dafür (45 Prozent, im Osten 52) als dagegen (40 Prozent) aus.
Rechts genug stünde die CSU jedenfalls in den Augen der Wähler, um eine solche neue Rolle auszufüllen. Dies zeigt unter anderem der hohe Prozentsatz der heutigen AfD-Wähler, die sich, das ist wohl anzunehmen, ansonsten sicherlich keine schlagkräftige Konkurrenz für ihr neues Pflänzchen der Wahlalternative herbeiwünschen würden. All das zeigt auch: Den Deutschen scheint der Sinn für die Arithmetik der Demokratie nicht abhanden gekommen zu sein, auch wenn dies in der veröffentlichten Meinung nicht so gut ankommt. Die Notwendigkeit einer Symmetrie, einer Partei rechts der Mitte wird gesehen.

Den Leitartiklern dürfte es schwerfallen bei der Tabuisierung der CSU mitzuspielen

Eine Bundes-CSU würde es vielen Wählern leichter machen, das zu wählen, was ihren Vorstellungen am ehesten entspricht, jedenfalls diejenigen, deren Herz mitte-rechts schlägt. Und dies würde darüberhinaus von einer sehr breiten, staatsbürgerlich toleranten Mehrheit hofiert.
Einer Minderheit, einer öffentlich sehr wirkmächtigen, der vielzitierten „Zivilgesellschaft“ würde dies natürlich nicht schmecken, der Bereich rechts der Union ist nicht nur für die Antifa eine verbotene Zone. Den Leitartiklern aber dürfte es schwer fallen, bei dieser Tabuisierung mitzuspielen, sie würden sich wohl auch kaum dazu herausgefordert fühlen. Das Ganze ist ein Sandkastenspiel, zugegebenermaßen, bei dem einige Fragen offen sind:
Kann die CSU den Raum mitte-rechts, in Abgrenzung zur CDU, überhaupt ausfüllen? Was würde aus der CDU nach Merkel, wenn sich immer deutlicher abzeichnet, dass die Partei unnötig wird, weil unklar ist, wofür sie steht, vor allem in Abgrenzung zur Konkurrenz SPD, Grüne, Linke (FDP?)? Könnte der Sprung für die CSU beim Bettvorleger enden, wie weiland in Kreuth? Schließlich: Was würde aus der AfD?
Fangen wir von hinten an: Die AfD würde, wenn die CSU glaubwürdig die neue Rolle ausfüllte, in ihrer Bedeutung zurückgestutzt, womöglich atomisiert. Bestenfalls würde eine Konkurrenz zwischen Rechts und Mitte-Rechts entstehen. In Ohren und Augen, die an den Tonfall der heutigen Medien gewohnt sind, eine Ungeheuerlichkeit, in Wahrheit eine demokratische Selbstverständlichkeit. So oder so: Die AfD hätte, bei allen unschönen bis unappetitlichen Ausfransungen nach rechts, ihren Dienst an der Demokratie geleistet, indem sie ein Vakuum des Frustes in Deutschland, dem letztlich ein gehöriger (mir persönlich Angst machender) Sprengsatz innewohnte, ausgefüllt. Sie hat dazu beigetragen, dass die Wahlbeteiligung sprunghaft seit ihrer Gründung gestiegen ist und, ja auch, dass die NPD parlamentarisch verschwunden ist. All dies kann nur derjenige bedauern, der von Deutschland als einem „rechtsfreien“ Raum träumt, egal ob das die Demokratie aushält, nur weil es seinem Weltbild passt und alles andere angeblich ewiggestrig sei.

Die CSU wird in Bayern ohnehin die absolute Mehrheit verlieren

Ein solcher Sprung nach Norden würde heute für die CSU keineswegs zwangsläufig als Bettvorleger enden. Die Ausdehnung der CDU nach Bayern im Gegenzug hätte ihren Schrecken verloren. Schon allein deshalb, weil die absolute Mehrheit in Bayern sowieso nicht mehr zukunftssicher ist. Somit wäre die heutige Staatspartei auch längst nicht mehr so sicher wie zu Zeiten von Strauß.
Das politische Spektrum Bayerns wird sich über kurz oder lang sowieso grün färben, nicht nur im urbanen Bereich. Es zeichnet sich schon heute ab. Was das bislang verhindert und die CSU oben hält, die kirchlich organisierte Basis nämlich, wird auf die Dauer an Einfluss verlieren. Der CSU wird mittel- bis langfristig gar nichts anderes übrig bleiben, als über den Weißwurst-Horizont hinauszublicken, will sie in Deutschland oder auch in einer wie auch immer gearteten Kooperation mit der CDU nicht dramatisch an Bedeutung verlieren. Die bundespolitische Mitsprache der CSU ist für ihr Überleben dringender denn je. Ihre bundesweite Aufstellung daher nur die logische Folge davon.
Natürlich, diese regionale Ausweitung wäre nicht von heute auf morgen möglich. Landesverbände müssten gegründet, die „Basis“ gelegt werden. Da allerdings ein gehöriger Anteil des Personals der Schwesterpartei, das sich von der neuen Konstellation angesprochen fühlen dürfte, quasi abrufbar wäre, könnte der Prozess schneller laufen als sich mancher träumen lässt. Dies übrigens, natürlich, auch in der Gegenrichtung, nach Bayern hinein. Ein gegenseitiger Austausch fände statt. Eine blauäugige Vorstellung? Mag sein. Die Wiedervereinigung erschien vor 1989 auch blauäugig, und im Falle der Union geht es um weit geringeres.
Das Verhältnis der beiden Schwesterparteien würde sich nicht mehr regional, sondern inhaltlich sortieren. Die unterschiedliche politische Coleur war schon immer der Clou des Binnenverhältnisses in der Union. Sie würde jedoch absehbar hinfällig, wollte sie weiterhin allein auf landsmannschaftlicher Zugehörigkeit basieren. Dafür rückt Deutschland zu schnell zu sehr zusammen. Als Regionalpartei hat die CSU  in ihrer bundespolitischen Bedeutung über kurz oder lang keine Zukunft, es wird in einen Anachronismus münden.

Ein bedeutender Teil der Bevölkerung sehnt sich nach einem Mitte-Rechts-Spektrum

Was die Zukunft der Merkel-CDU angeht, steht erst einmal alles in den Sternen. Es sieht zunächst mal nicht danach aus, als sollte sie sich von ihrer Konturlosigkeit der Konkurrenz gegenüber schnell erholen. Es könnte sein, dass die CDU der große Verlierer, womöglich das Opfer dieses Prozesses ist. Die Wahlergebnisse der letzten zwei Jahre lassen für sie nichts Gutes ahnen. Sollte die CSU es beim heutigen „Schwesterverhältnis“ belassen, wird sie den Weg mit gehen, auch wenn sie sich immer mal wieder aufmandelt. Es wird sich abnutzen, wie ein Bettvorleger.
Die spannendste Frage wäre die nach dem  Profil der CSU selbst. Derzeit ist es noch ausreichend abgegrenzt zur CDU, jedenfalls in den Augen der Wähleröffentlichkeit, was die Schlüsselgröße ist. Die Frage ist, wie lange noch? Auch wenn Seehofer heute die Flüchtlingsfrage fast zur Sollbruchstelle heraufbeschwört, so spürt er bereits hier einen Hauch von Grün im Nacken. Die bayerischen Diözesen schießen auf seinen „General“ Scheuer, weil er allzu heftige Worte gegen die Merkelsche Flüchtlingspolitik fand.
Die Positionen einer katholischen Partei, die „sozial“ in ihrem Titel trägt, die dabei ist, ihren heutigen Zuständigkeitsbereich weg von der Landwirtschaft und Tradition, weg von der Lederhose hin zum Laptop und Hightech, aber auch wiederum gegen Gentechnik aufzustellen - ihre Positionen zwischen Strukturkonservatismus, Modernität und Konfessionslität daraufhin abzuklopfen, ob sie jenes Mitte-Rechts-Spektrum, nach dem sich ein bedeutender Teil der Bevölkerung sehnt, auszufüllen in der Lage ist, wäre aus heutiger Sicht ein Stoff für Dissertationen, Stammtischabende, Leitartikel (natürlich), politische Gefühle. Mit anderen Worten: Sicher ist nichts - so oder so, eben das gibt Hoffnung.
Das politische Geschäft ist keine soziale Marktwirtschaft. Trotzdem haben gerade die letzten Jahre deutlich gemacht, dass auch hier das PrInzip von Angebot und Nachfrage gilt und dass dies von den „Playern“ auch so wahrgenommen wird. Es gibt Kartelle, neue Marktnischen, unbeackerte zumal, Auslaufmodelle. Zu letzteren zählt, auch wenn dies für viele schwer zu akzeptieren ist, das Spektrum rechts der Mitte keineswegs. Klar  ist, dass  dort ein erheblicher Bedarf der Wähler vorliegt, nach wie vor eine lukrative  Nachfrage. Auf jeden Fall eine erheblich größere als sie eine Regionalpartei in einem Bundesland auf die Dauer befriedigen könnte.

Eine bundesweite CSU wäre auf Anhieb koalitionsfähig

Über die Tatsache hinaus, dass sie bereits etabliert und daher nur schwer dämonisierbar wäre, hinaus hätte die CSU einiges zu bieten gegenüber der Konkurrenz AfD. Sie wäre auf Anhieb koalitionsfähig, würde deshalb die Regierungsbildung nicht unbedingt erschweren, weshalb die Strategen in anderen Parteien nicht aus rein machttaktischen Gründen blindlings auf sie einschlagen müssten. Sie wäre außenpolitisch bündnisfähig, weil ihre atlantische Position nicht in Frage stünde.
Die CSU wäre in der Position, ihrer Schwesterpartei zeigen, wie eine politische Neuorientierung, wohlbedacht in Szene gesetzt als Profilschärfung mit Bezug auf die eigenen Traditionen, nicht als beliebiger Richtungswechsel, nicht als „Marktpositionierung“ in längst besetztem Terrain, wie es Merkel und ihre „Follower“ versuchten, funktionieren könnte.
Die CSU steht im Ruf, eine Karrieristen-Partei zu sein, gewiss. Ein Attribut, das einer solchen „Staatspartei“ zwangsläufig innewohnt. Ob dies bei einer derartigen Neubestimmung ihrer Rolle, bei absehbarem Eindringen der Schwesterpartei in ihren Beritt, so bleibt, wäre die Frage. Karrieren hätte eine bundesweite CSU allerdings bestimmt nicht weniger zu bieten. Und ein Karrierekiller, zu dem man die AfD von Anfang an gemacht und damit ihr Profil mitbestimmt hat, würde die CSU nicht, zugunsten ihrer personellen Intellektualität und damit auch ihrer Absicherung gegen unappetitliche Ausfransungen.
All das mag ein Hirngespinst sein. Es wäre in diesem Fall allerdings der eklatanten politischen Asymmetrie im Lande geschuldet, die nichts Gutes erwarten lässt. Sollte die AfD ersatzlos wieder von der Bühne verschwinden, ihre Wähler wieder in die Verweigerung gezwungen werden, so stünde akute Gefahr ins deutsche Haus der Demokratie. Die außerparlamentarische Opposition, die verantwortungslose Intellektuelle wie Harald Welzer heute in Spiegel Online heraufbeschwören, unter dem Titel „Wir sind die Mehrheit“, die doch bitte dafür sorgen solle, dass die 20 Prozent der abtrünnigen (AfD-)Wähler im Land zwangsweise wieder auf Linie gebracht werden und wieder 99,9 Prozent beisammen sind wie in den paradiesischen Zeiten - diese außerparlamentarische Opposition kann auch auf der anderen Seite entstehen, wenn man ihr den parlamentarischen Arm mal eben zu nehmen sich berechtigt fühlt. Ich weiß nicht, ob das dann gut geht.
Es gibt Rechte im Land. Jawohl. Ich will hier nicht das geflügelte Wort anhängen, „und das ist gut so“. Es ist aber auf jeden Fall sehr schlecht, wenn man sie von der Wahl ausschließt. Weniger werden es dadurch bestimmt nicht.
Zuerst erschienen auf Ulli Kulkes Blog Donner und Doria hier.

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