Ein paar dunkeldeutsche Scholien zu einem Kommentar von Heiko Maas
Der
Bundesjustizminister hat sich vor kurzem entschlossen, den
erschütternden Mangel an bevölkerungspädogogischen Artikeln und vor
allem Anti-AfD-Kommentaren im Spiegel zu beenden, und mit einer Grundsatzbetrachtung (zu lesen hier) neue Maßstäbe für die intellektuelle Auseinandersetzung mit besonders populistischen Populisten gesetzt. Gehen wir in medias res. Maas schreibt:
Es
ist nicht leicht, der AfD irgendetwas Positives abzugewinnen.
Zugestehen muss man nur, dass die Alternativen spätestens seit ihrem
Rechtsruck völlig klar sind: Bleiben wir ein modernes und weltoffenes
Land, oder werden wir eine Nation verkniffener Spießer, die ihr Heil in
der Vergangenheit sucht?
Aus diesem Passus darf man
zunächst einmal folgern, dass H. Maas ein Problem mit seiner
Selbstwahrnehmung hat. Deutschland kann jedenfalls nicht werden, was es
bis auf den hintersten Platz im Kabinett schon oder immer noch ist; wem
das nicht passt, der mag ja aus- oder gar nicht erst einwandern. Der
deutschen Spießigkeit verdanken wir immerhin, um wenige Beispiele zu
nennen, sauberes Trinkwasser, eine hochsolide geregelte Müllbeseitigung,
penibel gewartete Flugzeuge, eine funktionierende Infrastruktur, eine
weltweit einzigartige Arztdichte und vergleichsweise saubere Innenstädte
– Letzteres zumindest in den etwas weniger weltoffenen Regionen des
Landes, nicht unbedingt am Kottbusser Tor in Berlin oder nördlich des
Dortmunder Borsigplatzes. Klingt aber schick, dieses „weltoffen“. Will
gern jeder sein, insbesondere der Herr Maas, der siebenundvierzig
Fünfzigstel seines Lebens als saarländischer Provinzler bzw-
Provinzpolitiker verbracht hat und nun in Berlin das Gefühl
kosmopolitischen Eingemeindetseins genießt.
Wobei nicht ganz klar ist,
was er mit Weltoffenheit eigentlich meint, die intime Kennerschaft der
japanischen Malerei, der indischen Sprachen, der mauretanischen Küche
und des Kairoer U-Bahnnetzes, oder doch bloß seine sturheile Zustimmung
zur Einwanderung hunderttausender Sekundäranalphabeten zum Zwecke
eigener moralischer Heiligenscheinpolitur auf Kosten der nunmehr zur AfD
überlaufenden, ihm selber etwas peinlichen traditionellen SPD-Klientel,
auf deren Beschaffenheit zuletzt in einem lichten Moment Maasens
Parteichef S. Gabriel anspielte, als er sinngemäß sagte, ihm sei es
wichtiger, von 100 Prozent der Aldi-Kassiererinnen gewählt zu werden als
von 50 Prozent der Frauenbeauftragten. Er, Maas, findet sich dafür
vermutlich denn doch viel zu trendy, ihn verlangt es nach Applaus von
Journalisten, Aktricen und Grünen-Wählern.
Statt die AfD zu
dämonisieren, müssen wir die inhaltliche Auseinandersetzung mit ihr
führen - getreu der Maxime: "Democracy is government by discussion".
Schreibt der Mann, der die Zensur in Deutschland wieder eingeführt hat,
das Internet überwachen und Webseiten sperren lässt sowie ehemalige
Stasi-Zuträger in seiner, nennen wir sie: neuen Masi
beschäftigt, während antifaschistische Rollkommandos mit des
Justizministers Duldung oder gar heimlichem Segen als Bodentruppen gegen
Dunkeldeutschland den Rahmen des unbeschadet Diskutierbaren festlegen.
Aber natürlich hat Demokratie per definitionem zunächst einmal
nullkommanix mit Diskussion zu tun, stattdessen mit Wahlen,
Parla(!)mentarismus, Staatsvolk und Gewaltenteilung, doch das muss
allenfalls ein Staatsrechtler wissen und kein simulierender
Rechtsstaatler.
Das AfD-Programm ist der Fahrplan in ein anderes Deutschland, in das Deutschland von vorgestern.
Dieses Motiv taucht in dem Kommentar gleich mehrfach auf und soll wohl
ein Leitmotiv sein. Maas hat offenkundig ein Problem mit dem Gestern und
Vorgestern, während er sich für einen exponierten Vertreter des Heute
und Morgen hält. Wer so denkt, hegt einerseits gewisse Dünkel gegenüber
der Vergangenheit, in welche er freilich selber schon morgen versetzt
sein wird, anderseits sitzt er mehr oder minder neurotisch einer Idée fixe
auf, nämlich jener der auf ein Ziel ausgerichteten Zeit, des
permanenten und unabänderlichen Fortschritts nicht nur in der
plastischen Chirurgie oder im Tunnelbau, sondern in der
gesellschaftlichen Entwicklung als ganzer, was dazu führt, dass
dergleichen Progressionsbesessene sich gegen einschneidende Korrekturen
des einmal deklarierten Kurses sperren und über Menschen, die solche
Korrekturen oder gar eine Umkehr fordern, nicht anders als läppisch oder
dämonologisch urteilen können. Ich komme gleich darauf.
Seit 1949 ist das Ziel eines "vereinten Europa" im Grundgesetz fest
verankert, denn die Überwindung des Nationalismus war die große Lehre
aus zwei Weltkriegen auf deutschem Boden.
Wir können nicht
mehrere Proseminare gleichzeitig eröffnen, deshalb sei die Petitesse
hier beiseitegelassen, dass der erste der Weltkriege, vom russischen
Kurztrip nach Ostpreußen und der Vogesenfront abgesehen, keineswegs
"auf" deutschem Boden stattfand; es zählt in diesem Kontext bekanntlich
nicht, wie der Krieg verlief, warum er ausbrach, welche Prinzipien
gegeneinander standen, sondern allein, dass H. Maas weiß, wer die Schuld
an allem trug und trägt und tragen wird bis an das Ende aller deutschen
Dinge, und deswegen unterlief ihm auch dieses kriegsschuldgeständige
"auf". Aber sollte unser Volljurist "oder auch Vollpfosten" (Alice
Weidel) nicht wissen, was 1949 unter tätiger Vormundschaft der Sieger
ins Grundgesetz geschrieben wurde? Dort steht nämlich unter Artikel 24
nichts weiter als:
"(1.) Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen.
(2. ) Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System
gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die
Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und
dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt
herbeiführen und sichern."
Eine "friedliche und dauerhafte
Ordnung" – kein Wort vom zentralistisch "vereinten Europa"; der
Totalitarismen und Zentralismen war man damals satt – ist denn wohl doch
ein weiteres Feld als die momentan zwangsbewirtschaftete, tendenziell
monokulturelle EU-Parzelle.
Die AfD aber fordert die
Auflösung der EU oder den Austritt Deutschlands. Nationalismus,
Abschottung und neue Grenzen sind ihre Antworten auf die Globalisierung.
Das wäre nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch fatal für unsere
Exportnation, denn 60 Prozent des deutschen Außenhandels gehen in
EU-Staaten. Es würde viele Menschen ihren Arbeitsplatz kosten.
Dieser Passus wirft mindestens die Frage auf, wie es die deprimierend
abgeschotteten Deutschen vor Maastricht und der Einführung des Euro
geschafft haben, die Exportweltmeisterschaften noch öfter als die
Fußball-WM zu gewinnen, und ob die explodierenden Arbeitslosenzahlen in
den südlichen EU-Partnerländern irgendetwas mit der Einheitswährung zu
tun haben. Und ob Entflechtungen und Zusammenbrüche nicht ebenso zur
Geschichte gehören wie Zusammenschlüsse und Aufstiege.
Das
größte Problem hat die AfD mit der Religionsfreiheit. Wie soll man den
Satz "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" sonst verstehen?
Das größte Problem mit der Religionsfreiheit hat einstweilen immer noch
der Islam – zumindest in sämtlichen Ländern, wo er Staatsreligion ist.
Das ist der Grund, weshalb besonders innige Liebhaber der Freiheit und
des Rechts ein Problem mit der Behauptung haben, der Islam gehöre zu
Deutschland. Der zitierte Satz ist also eine Konterbehauptung, mehr
nicht. Im Parteiprogramm folgt ihr die Feststellung, dass stattdessen
die hier lebenden Muslime zu Deutschland gehören und frei ihre Religion
ausüben können, sofern sie dies ohne politische Ansprüche tun. Denn
diese Teufelsbraten von der AfD wollen allen Ernstes verhindern, dass
dermaleinst Deutschland zum Islam gehört.
Wenn zudem ein
"unterdurchschnittliches Bildungsniveau" von Muslimen behauptet wird und
wegen des Geburtenreichtums von Muslimen vor einem
"ethnisch-kulturellen Wandel" gewarnt wird, dann ist die Grenze zum
biologistischen Rassismus klar überschritten.
Das
unterdurchschnittliche Bildungsniveau von Muslimen ist in der Tat
skandalös, wäre jedoch zumindest als Feststellung durch ein Totalverbot
empirischer Forschung vergleichbar leicht aus der Welt zu schaffen.
Ähnliches gilt für den ethnisch-kulturellen Wandel, sofern man dem
Forschungsverbot noch ein Fotografierverbot hinzufügte. Mit dem
"biologistischen Rassismus" ist Maasens Redenschreiber wohl in die
gnomophobe Zwergenfeindschaft abgerutscht, aus welcher allerdings über
den Kulturwandel ein Weg zurück aufs SPD-kompatible Bildungniveau führt.
Unser Land hat eine trübe Vergangenheit, aber die Generation unserer
Eltern hat ein modernes Deutschland geschaffen: weltoffen und liberal im
Innern, gute Nachbarn und friedliche Partner nach außen.
Wenn Ungebildete über die Geschichte sprechen, schrumpft die
Vergangenheit zu einem Früher zusammen, welches irgendwie vor dem Heute
stattfand, gottlob aber vorüber und überwunden ist. Wenn ungebildete
Weltoffene in Derzeitdeutschland über die Geschichte sprechen, sagen sie
Sätze wie: Unser Land hatte ein trübes Früher, doch das Heute, aber
hallo und kein schöner Land in dieser Zeit! Gönnen wir Lichtscheuen und
vom Zukunftsdienst Ausgeschlossene der trüben Vergangenheit eine kurze
Reminszenz, auf dass wir die Herrlichkeit der Maas’schen Gegenwart
gleichsam kontradiktorisch zur Gänze ermessen können, lassen wir einige
dunkle Phänomene und sinistre Gestalten des weltverschlossenen,
modernitätsabholden Deutschlands in Gedanken an uns vorüberdefilieren,
seine düsteren Burgen, angeberischen Kathedralen und öden Schlösser,
seine reaktionären Reichsstädte, seinen scheinpluralistischen Brauch der
Kaiserwahl, das scheinliberale Allgemeine Preußische Landrecht und die
zwar weltweit erste, aber immer unzureichende Sozialversicherung, sodann
seine finsteren Herscher von Otto I. über die beiden angeblich großen
Staufer-Friedriche bis hin zu Friedrich dem Einzigen und Bismarck, und
erst recht all seine unmodernen, illiberalen, weltablehnenden Geister
von Gneisenau über den Freiherrn von Stein bis zu Moltke d.Ä, von
Lassalle, Ebert bis Stresemann, von Luther, Leibniz, Goethe, Schiller,
Kleist, Heine über Bach, Kant, Hegel, Nietzsche, Schopenhauer,
Beethoven, Schubert, Wagner bis Mahler, von Gutenberg, Guericke,
Röntgen, Helmholtz, Gauss über W. und A. Humboldt bis zu Planck, Otto
Hahn, Einstein, Benz, Diesel, Daimler, Siemens, Lilienthal, Zuse,
Wernher von Braun, Koch, Freud, Steiner und all die anderen
Nobelpreisträger, Erfinder, Gesamtkunstwerker, Wissenschaftspioniere und
Firmengründer, vom "Hier stehe ich, ich kann nicht anders", "Wir
fürchten Gott und sonst nichts auf der Welt" bis zum Made in Germany
– halten wir hier erschöpft inne: trübe, dunkelst trübe, entsetzlich
trübe! Wo aber endete endlich diese Dunkeldeutschheit, welche die AfD
jetzt wiederherstellen will? Bei der "Generation unserer Eltern", also
der Erzeuger von H. Maas. Sie erst haben das moderne, liberale,
weltoffene Deutschland von H. Maas geschaffen. Reminszenz beendet.
Ernst beiseite: Obwohl die SPD insgesamt noch viel Luft nach unten hat,
ist mit diesem Kommentar, in dem sich Größenwahn,
Unzurechnungsfähigkeit und Kretinismus wunderlich verschränken, ein in
der Geschichte öffentlicher Äußerungen von deutschen Politikern völlig
neues Niveau erreicht worden. Die AfD-Konkurrenten werden sich gewaltig
strecken müssen, um bei einem solchen Limbo mitzuhalten. Michael Klonovsky
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