Stationen

Samstag, 1. Oktober 2016

Zum Beispiel Italien

EZB-Chef Mario Draghi habe keine Antwort darauf, wie die Zentralbank den Kauf von Staats- und Unternehmensanleihen beenden wolle, betonte Michelbach. Die Maßnahmen führten letzlich zur Ausdehnung der Solidarhaftung. Die Menschen wollten aber keine Eurobonds, merkte Michelbach an. EZB-Präsident Draghi hatte gestern Abgeordneten des Deutschen Bundestags die umstrittenen Maßnahmen der Zentralbank erläutert und um Vertrauen geworben.
Michelbach hält die Politik des billigen Geldes, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, für verfehlt. In Krisenstaaten der Eurozone sei die Arbeitslosenquote nur von 15 auf 13 Prozent zurückgegangen. Michelbach warb dafür, die Phase der Null-Zins-Politik zu beenden. "Man muss den Anreiz des billigen Geldes wegnehmen", so Michelbach. Zur Begründung verwies er auf eine seiner Ansicht nach mangelnde Reformbereitschaft der Euro-Krisenländer.

Das Interview in voller Länge: 
Tobias Armbrüster: Es sollte wahrscheinlich ein Befreiungsschlag sein, gestern der Besuch von Mario Draghi im Deutschen Bundestag. Dem Chef der Europäischen Zentralbank, den haben vor allem konservative Finanzpolitiker im Visier. Er gilt als Hauptverantwortlicher für die aktuelle Niedrigzins-Politik der EZB. Er ist damit, so heißt es immer wieder, ein Feind der Sparer, und der Hauptvorwurf lautet, die europaweiten Nullzinsen, die sind eigentlich ein gigantisches Rettungspaket für marode Eurostaaten - allerdings ein Rettungspaket, dem der Bundestag nie zugestimmt hat. Mario Draghi hat nun gestern versucht, solche Vorwürfe zu entkräften.
Am Telefon ist jetzt der CSU-Politiker Hans Michelbach. Er ist Obmann der Unions-Fraktion im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages. Schönen guten Morgen, Herr Michelbach.
Hans Michelbach: Guten Morgen.
Armbrüster: Herr Michelbach, Sie haben vor diesem Besuch von Mario Draghi gesagt, er mache die Eurozone zu einer Schuldenhaftungs-Union und die EZB durch ihre Anleihekäufe zu einer Bad Bank. Hat Mario Draghi Sie gestern vom Gegenteil überzeugt?
Michelbach: Er war letzten Endes positiv, dass er zu seiner Verantwortung für das Zusammenhalten der Gemeinschaftswährung gestanden ist und sich mit der Kritik auseinandergesetzt hat. Natürlich kann man auch die negative Seite sehen, dass er auf eine Ausdehnung der Solidarhaftung eigentlich setzt und dass letzten Endes diese Liquiditätsausweitung durch 2.000 Milliarden Euro Anleihekäufe natürlich irgendwo einmal endet. Und die Frage, wie das enden wird, die konnte er nicht beantworten. Wir haben dann gefragt, ob das die Eurobonds sind, die Vergemeinschaftung mit Eurobills-Einlagensicherung auf europäischer Ebene und so weiter. Da hat er keine Antwort gegeben. Das heißt, im Grunde genommen ist klar, dass es diese Ausdehnung der Solidarhaftung gibt und wir heute schon mit 20 Prozent bei den Staatsanleihen, die die EZB hat, haften, 100 Prozent bei den Unternehmensanleihen. Also Deutschland hat letzten Endes die Haftung und wir gehen in eine Haftungs- und Schuldenunion. Das wurde leider nicht ausgeräumt oder wollte er und konnte er auch nicht ausräumen.
Armbrüster: Das heißt, Sie haben nicht den Eindruck, dass Mario Draghi jetzt nach diesem Besuch irgendetwas an seinem Vorgehen, an seiner Politik ändert?
Michelbach: Nein. Es heißt ja immer, bedenke das Ende, und wie gibt es eine Konzeption, auch letzten Endes aus dieser wirklich schwierigen Lage der Niedrigzinsphase herauszukommen. Da hat er keinerlei Vorschlag darlegen können und das war eigentlich - - Er hat sich dann immer wieder in Mahnungen geflüchtet, dass er erwartet, dass die Staaten nicht nur auf die EZB-Politik schauen, sondern auch selbst Struktur- und Finanzpolitik durchführen und durchsetzen. Aber da haben wir ihm entgegenhalten müssen, mit dieser Flutung und der Niedrigzins-Politik hat ja gerade der Staat gar keinen Anreiz, in den Krisenländern zu sparen, zu konsolidieren und eine solide, stabilitätsorientierte Finanzpolitik zu betreiben, weil er hat ja keine Belastungen.
Armbrüster: Herr Michelbach, verzeihen Sie, wenn ich Sie da kurz unterbreche. Ist Mario Draghi denn eigentlich für diese Kritik der richtige Adressat? Er hat ja eigentlich als Chef der Europäischen Zentralbank gar keine andere Wahl, als Zinsen niedrig zu halten, Liquidität zu schaffen, wenn das Wachstum in den Euro-Mitgliedsländern einfach nicht da ist und geschaffen werden soll.
Michelbach: Er möchte ja mit dieser Liquiditätsausweitung, also dem Kauf der Anleihen mit über 2.000 Milliarden, Wachstum erzielen. Und wir müssen ihn natürlich fragen: Was ist der Erfolg Deines Tuns und welche Folgen erzeugst Du? Und der Erfolg ist sehr bescheiden. Wir haben Wachstum, er sagt dann, ich habe in den Krisenländern die Reduzierung der Arbeitslosigkeit von ehedem 15 Prozent auf 13 Prozent reduziert. Das ist natürlich sehr bescheiden. Das ist nicht der Erfolg, den man braucht, um in der Eurozone wieder neues Vertrauen zu schaffen. Es geht ja darum, die Menschen auch mitzunehmen.
Armbrüster: Herr Michelbach, was würden Sie denn an seiner Stelle tun?
Michelbach: Es ist ganz klar die Quadratur des Kreises, aber es muss deutlich werden, dass diese Ausweitung der Liquidität ein Ende braucht und dass dazu auch den Menschen gesagt werden muss, ehrlich und offen, dass das nur lösbar ist mit Vergemeinschaftungen, die in Deutschland natürlich in der Bevölkerung klar abgelehnt wird. Die Menschen wollen keine Eurobonds, sie wollen keine Einlagensicherung für Konten in den Krisenländern, keine Haftung übernehmen dafür. Also ich glaube, man muss den Menschen auch neues Vertrauen geben und muss sagen, wir wollen ganz klar die Niedrigzinsphase beenden, und die Staaten, die dazu nicht mitmachen, die Banken, die dazu nicht in der Lage sind, die müssen auch die Folgen selbst tragen.
Armbrüster: Was würde das jetzt heißen? Das heißt, wir schrauben einfach die Zinsen wieder hoch und würgen damit möglicherweise das Wachstum in vielen Staaten ab?
Michelbach: Natürlich nicht in einem Schock. Aber man muss natürlich den Anreiz auch wegnehmen, den Anreiz des billigen Geldes, und da gibt es dann den Reformdruck, der notwendig ist, sowohl bei den Staaten wie bei den Banken.
Armbrüster: Dann können wir festhalten, Herr Michelbach: Sie würden heute Morgen dem EZB-Chef Draghi raten, die Zinsen langsam, schrittweise wieder zu erhöhen, weil seine bisherige Zinspolitik ein Reinfall war?
Michelbach: Die Folgen und die wirtschaftliche Erholung, die er prognostiziert, die findet so nicht statt, weil die Reformen verweigert werden, es keine Anreize gibt, auf den Pfad der Tugend zu gehen.
Armbrüster: Das heißt, seine bisherige Politik war ein Reinfall?
Michelbach: Die Politik ist gescheitert. Ich gebe gerne zu, dass es eine schwierige Aufgabe ist, dass es die Quadratur des Kreises ist. Aber man muss der Realität ins Auge schauen und vor allem kann man so nicht weitermachen, weil das Vertrauen in der Bevölkerung für diese Arbeit fehlt.
Armbrüster: Ganz kurz noch, Herr Michelbach. Die Krise, die ist auch bei den deutschen Banken angekommen. Wir haben darüber berichtet. Die Commerzbank wird Tausende von Stellen streichen, die Deutsche Bank schmiert an der Börse ab. Wird es wieder Zeit, um über staatliche Bankenrettungen in Deutschland nachzudenken?
Michelbach: Ich glaube, dass diese Diskussion sehr überzogen ist. Wir haben in der weltweiten, globalen Finanzkrise die Banken retten müssen. Wir haben dazu sicher gerade wie bei der Commerzbank, der anderen Banken die richtigen Weichenstellungen für die Zukunft getätigt. Das ist jetzt auch bis auf wenige Ausnahmen in die richtige Richtung gegangen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Staat so etwas wiederholt. Wir haben ja auch ein anderes Abwicklungsregime jetzt. Jetzt müssen zunächst die Gläubiger, die Eigner bei den Banken einsteigen, wenn es Krisen gibt, und nicht mehr der Steuerzahler. Das haben wir ja auf europäischer Ebene verändert durch die Bankenunion und das gilt und deswegen kann sich kein Bankmanager darauf verlassen, dass der Staat, sprich Steuerzahler einsteigt.
Armbrüster: Hier bei uns im Deutschlandfunk in den "Informationen am Morgen" war das der CSU-Politiker Hans Michelbach, der Obmann der Unions-Fraktion im Finanzausschuss des Bundestages. Vielen Dank, Herr Michelbach, für Ihre Zeit heute Morgen.
Michelbach: Bitte schön!  Deutschlandfunk

Die Villa Vigoni am Comer See ist eine Perle im Immobilienportfolio der Bundesrepublik Deutschland. Von ihrem früheren Eigentümer wurde sie als deutsch-italienische Begegnungsstätte für Wissenschaftler und Kulturschaffende gestiftet. Da die Leitung der Villa Vigoni die Ökonomie dankenswerterweise zu den Wissenschaften zählt, durfte ich anlässlich einer Konferenz Mitte Juli dort wieder zu Gast sein. Am Tag der Abreise erschien meine Kolumne „Krisenland Italien“. Dabei hatte ich unterschätzt, wie intensiv die Konferenzteilnehmer die F.A.S. lesen. Da mein Text schon am Samstagnachmittag online auf faz.net erschien, war er Gegenstand intensiver Diskussion beim Abschiedsessen.
Die italienische Seite war zwar mit meiner kritischen Sicht der italienischen Wirtschaftslage einverstanden, glaubte jedoch nicht an meine Prognose, dass Italien die Europäische Währungsunion (EWU) früher oder später verlassen müsse. Ich fragte meine italienischen Gesprächspartner, warum Italien denn in der Zwangsjacke einer Währungsunion bleiben wolle, die der Wirtschaft einen für sie zu starken Wechselkurs aufzwinge.
Außerhalb der Währungsunion hätte eine eigene Währung doch sicherlich einen wesentlich geringeren Außenwert, so dass die italienische Wirtschaft an internationaler Konkurrenzfähigkeit gewänne. Die Antwort war, dass man der Währungsunion beigetreten sei, um eine bessere Wirtschaftspolitik herbeizuzwingen.
Doch das Gegenteil ist eingetreten. Die Qualität der Politik wurde während der EWU-Mitgliedschaft deutlich schlechter. Die Weltbank berechnet für eine Vielzahl ihrer Mitgliedsländer regelmäßig einen Index zur Qualität der politischen Verwaltung eines Landes. Zwischen 1996 und 2014 fiel der Index für Italien um elf Punkte, die schlechteste Entwicklung in der Eurozone. Mit 67 von maximal 100 Punkten war Italien im Jahr 2014 das Schlusslicht unter den EWU- Mitgliedsländern. Sogar Griechenland lag mit 69 Punkten vor Italien. Innerhalb der Europäischen Union unterbieten nur Bulgarien und Rumänien den italienischen Qualitätsindex.
Meine italienischen Gesprächspartner machten geltend, dass kein ernsthafter Politiker in Italien und den anderen EWU-Ländern an einen Austritt Italiens denken würde. Doch die Verteidigung des Status quo gründet in der Annahme des Primats der Politik vor wirtschaftlichen Notwendigkeiten. Diese Annahme ist kaum zu halten. Der österreichische Ökonom und Finanzminister Eugen von Böhm-Bawerk bestritt schon im 19. Jahrhundert zu Recht, dass politische Macht über ökonomische Gesetze bei der Verteilung des Volkseinkommens zwischen Arbeit und Kapital langfristig dominieren könnte.
Einiges spricht dafür, dass Böhm-Bawerks These auch auf das Währungsregime angewendet werden kann. Folglich wird politischer Wille allein nicht genügen, Italien in der Währungsunion zu halten. Bleiben die wirtschaftlichen Umstände so unbefriedigend wie in den vergangenen 18 Jahren, wird der Wille zur fortdauernden Mitgliedschaft ausgehöhlt und die politischen Zentrifugalkräfte gewinnen die Oberhand. Der Aufstieg der eurokritischen Fünf-Sterne-Bewegung weist in diese Richtung.
Aber könnten denn nicht öffentliche Transfers zwischen Ländern der Eurozone die wirtschaftlichen Unterschiede auf ein erträgliches Maß verringern? Schließlich stabilisiert der Norden Italiens durch Transfers den Süden, und in Deutschland unterstützen die reicheren Bundesländer die ärmeren. Für die Umverteilung von Steuergeldern zwischen Regionen braucht es jedoch einen demokratisch legitimierten Zentralstaat, der den Interessenausgleich der Regionen regelt. Der Regionalausgleich wird nur dann von allen akzeptiert, wenn er nach allgemeinen und als fair empfundenen Regeln erfolgt. Davon sind wir in Euroland jedoch meilenweit entfernt.
Der größte Teil der Transfers wird verdeckt über die Geldpolitik und den Europäischen Stabilitätsmechanismus in Form von Zinssubventionen arrangiert. Ein kleinerer Teil wird über Strukturfonds und den „Juncker-Plan“ zur Investitionsförderung vergeben. Da die Effektivität der offenen Transfers zweifelhaft ist und die verdeckten Transfers vielen Bürgern als illegitim erscheinen, ist die Zahlungsbereitschaft der Politiker in den Geberländern gering. Eine Aufstockung der Transfers würde auch dort die eurokritischen Kräfte stärken.
Im katholischen Italien darf man an Wunder glauben und glaubte daher eine Zeit lang, dass Matteo Renzi Staat und Wirtschaft heilen werde. Doch Renzi scheint die Wunderheilung nicht zu gelingen. Nun verortet man finstere Kräfte in Deutschland, die den Euro zum Nachteil Italiens für ihre Zwecke nutzen. Der Schluss liegt nicht mehr fern, dass man den Euro verlassen muss, wenn die finsteren Kräfte nicht zu bändigen sind.   FAZ

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