Markus Vahlefeld: Zeige mir dein Klo, und ich sage dir, wer du bist!
Kürzlich hat die Evangelische Kirche eine Forderung der Grünen
übernommen, öffentliche Toiletten zu gender-mainstreamen, was nichts
anderes bedeuten soll, als die Bezeichnung für Männlein und Weiblein an
den Toilettentüren abzuschaffen, auf dass alle ein gemeinsames Klo
besuchen sollen. Von wegen Vielfalt und Antidiskriminierung und so.
Nun kann man sich fragen, was eine Kirche auf den Scheißhäusern
dieses Landes verloren hat, sollte dabei aber im Hinterkopf behalten,
dass das Programm des Gender-Mainstreaming offiziell als Europäische
Richtlinie von der EU verabschiedet wurde und ergo alle
Nationalregierungen und ihre staatlich subventionierten
Interessensverbände dazu aufgerufen sind, die Richtlinien in die Tat
umzusetzen. Dass sich die evangelische Kirche wiederum besonders
herzhaft mit dem Thema befasst, liegt offensichtlich daran, dass der
mehrmalige tägliche Klogang zu einer religiösen Befreiungstat umgedeutet
werden soll.
So wie sich der Moslem fünfmal am Tag gen Mekka verneigt, soll der
Protestant fünfmal am Tag das Wasserlassen mit einem religiösen
Bekenntnis zu mehr Toleranz und Antidiskriminierung verbinden. Auch eine
Art religiöses Ritual, dem man anhängen mag.
Mich persönlich erinnert die Videobotschaft der Evangelen an eine der
legendärsten Discotheken meiner Adoleszenz in New York. Ich erinnere
mich noch sehr gut an einen Klogang im berühmten Limelight, das vormals
eine Kirche gewesen war und im New York der 80er Jahre zu einem
Tanztempel umfunktioniert wurde, wo ebenfalls die korrekte
Zuordnungsbeschilderung abgeschafft worden war und man, egal durch
welche der beiden Türen man hindurchschritt, in einen großen Raum kam,
in dem sich Frauen, Männer, Transvestiten, Transsexuelle und was es
sonst noch in der New Yorker Nachtwelt so geben mochte, prächtig
amüsierten. Meist stand ein Fotograf mit einem Papagei an einer der
Toilettenwände und lichtete die Partywütenden auf Wunsch gegen eine
Gebühr von 5 Dollar auf Polaroid ab. Über den Rest des Geschehens decke
ich aus Jugendschutz den Mantel des Schweigens.
Sodom und Gomorrha hieß es damals in der öffentlichen Meinung über
das Limelight und machte selbstredend den großen Reiz dieser
drogengeschwängerten Undergroundhöhle aus. Zum Wasserlassen und anderer
Geschäfte eignete sich diese Art des Treffpunkts selbstredend nur wenig.
Wie sich die Zeiten ändern.
Die Videobotschaft der Evangelen ist klar: zwischen arbeitender
Bevölkerung und Partypeople soll es nie wieder einen Unterschied geben.
Nur so kann nach all den Entzauberungen der Welt die herbeigesehnte
Verzauberung wieder eintreten. Dass die Transe tagsüber zu unauffälliger
Bürokleidung gezwungen wird, ansonsten ein Kündigungsgrund vorliegt,
ist ein offensichtlicher und eklatanter Verstoß gegen den
Gleichstellungsgrundsatz. Hier besteht Handlungsbedarf, auf den die
Evangelen eindrücklich im Bewegtbild hinweisen.
Aber ist das wirklich so? Die wenigen Transsexuellen, die mir bekannt
sind, pflegen sehr bewusst und mit Hingabe ihr Doppelleben. Tagsüber
genießen sie es, unauffällig im Mainstream zu schwimmen, des Nachts
jedoch amüsieren sie sich köstlich darüber, wenn sie in Clubs ihre
neuesten Damenstiefel der Größe 46 zur Schau tragen oder bei
Fahrzeugkontrollen in die ratlosen bis perplexen Gesichter der
Ordnungshüter blicken.
Doppelleben ist ein Phänomen, dessen Reiz oftmals in der Tatsache
besteht, eben nicht auf nur ein ineinandergefügtes Lebensmodell hin
auflösbar zu sein. Gerade die nach Lust und Laune erfolgte Wahl der
Toilette ist ein weiterer Punkt des Amüsements. Hier die nach Männlein
und Weiblein getrennte Beschilderung aufzuheben, würde den Spaß deutlich
reduzieren. Das mag den Evangelen in ihrer Weltfremdheit aber gar nicht
aufgefallen sein. Tolerant zu tun, hilft meist nur der eigenen
schuldhaften Einbildung und wird von denen, in dessen Namen man so
tolerant sein möchte, weder gefordert noch gewünscht.
Das Phänomen des Doppellebens ist für die Vernunft und Logik
inkongruent. Diesen Umstand machen sich die Gender-Philosophen um Judith
Butler zu eigen und fordern die Aufhebung aller Schranken und
Bezeichnungen, ganz so als würde jeder Mensch ein geschlechtliches
Doppelleben führen und die einheitlichen Begriffe Mann und Frau auf das
Individuum nicht passen. Gründe dafür kann man viele ins Feld führen,
warum Begriffe und Kategorien zur Ungenauigkeit neigen. So wie es
neuerdings eine philosophische Schule der Tierethiker gibt, die jede
Unterscheidbarkeit zwischen Mensch und Tier leugnet und die Grenzziehung
als willkürlich geißelt (natürlich um schließlich mindestens Veganismus
als einzig ethisch korrekte Möglichkeit der Ernährung zu fordern), so
lehnen die Gender-Philosophen die Unterscheidung zwischen Mann und Frau
ebenfalls als willkürlich ab (hier würde ich gerne ebenfalls eine
Klammer öffnen und auf den eigentlichen Sinn dieser Aufhebung aller
Unterschiede hinweisen, allein ich weiß nicht, was ich schreiben soll,
weil es mir weiterhin ein Rätsel bleibt).
Nun könnte man es sich leicht machen und einfach behaupten, diese
ganze Gender-Philosophie haben sich frustrierte Lesben oder mit ihren
eigenen Perversionen konfrontierte Sexualwissenschaftler ausgedacht.
Dieser Verdacht ist, betrachtet man die Urheber dieser Schule von Simone
de Beauvoir über John Money bis Judith Butler, begründet, erklärt aber
nicht, wieso die Gender-Philosophen vor allem im akademischen Betrieb so
viel Zulauf haben und von diesem Betrieb aus auf einmal politische
Richtlinien mitbestimmen dürfen. Irgendein geistiger Nährboden hat es
den Genders leicht gemacht, ihre Wirksamkeit zu entfalten. Die Befreiung
der Sexualität und der scheinbar aufklärerische Duktus ihrer Ansichten
haben ihnen sicher in die Hände gespielt.
Etwas komplizierter wird es schon, wenn man den Gender-Philosophen
Begriffsverwirrung unterstellen möchte, nach dem Motto: wenn ihr den
Unterschied zwischen Mann und Frau nicht versteht, dann haltet besser
die Klappe. Um ehrlich zu sein, neige ich manchmal dazu. Aber die
Hinterfragung der Begriffe ist eine der wesentlichen Aufgaben der
Philosophie, auch wenn sie denen, die die Begriffe tagtäglich naiv und
als gegeben benutzen, nicht einleuchten mag. Wir haben sehr viel über
den Begriff von Gott erfahren, als wir endlich frei waren, ihn
hinterfragen zu können. Das gleiche gilt für den Begriff des Ich. Für
manch philosophische Schule war das Ich sogar der Dreh- und Angelpunkt
aller Erkenntnisse. Nun also sind Mann und Frau an der Reihe.
Die Genders stehen deutlich in der Tradition der Strukturalisten, die
behaupten, dass Begriffe auf nichts anderes hinweisen als auf ihren
Gebrauch innerhalb der Sprache. Um an einem ganz konkreten Beispiel zu
bleiben: das Ich ist für Strukturalisten nur die Summe der Beziehungen,
die der Begriff Ich in der Sprachverwendung eingeht. Das Ich als
integralen Bestandteil der Individualität leugnen sie. So ähnlich sehen
es auch die Genders mit Mann und Frau. Mann und Frau werden in einem
sprachlichen Rahmen benutzt, ohne dass dem Rahmen abbildende Funktion
oder eine Realität unterstellt werden könnte.
Es ist ein uralter Streit, der bereits im Mittelalter zwischen den
Scholastikern und den Nominalisten ausgefochten wurde. Während die
Scholastiker behaupteten, die menschlichen Begriffe wiesen auf
Wesenhaftes (Geist) hin, waren die Nominalisten der Überzeugung, dass
Sprache und Wesenhaftes keinerlei Verbindung miteinander hätten. Die
aristotelische Liebe zu Begriffen und Kategorien, die nach Aristoteles
eben mit Geist gefüllte Gefäße seien, warfen die Nominalisten über Bord
und leiteten ihre Anschauungen nicht mehr aus Allgemeingültigkeiten ab.
Es waren die Nominalisten, die die moderne Naturwissenschaft prägten und
nicht das Allgemeine oder die Theorie in den Vordergrund rückten,
sondern die Summe der Einzelwahrnehmungen, die sich mitunter heftig
widersprachen und daher keinen sie verbindenden Überbau zuließen. Noch
immer befindet sich der menschliche Geist auf der Suche nach der alle
Einzelwahrnehmungen umspannenden Erkenntnisklammer.
Man mag zu diesem Streit stehen, wie man will, deutlich ist, dass die
Genders deswegen Sprachregelungen und Binnen-Is wie einen Fetisch
betrachten, weil die Sprache mit ihren verschiedensten Bezügen in ihren
Augen das wirksamste Instrument ist, die menschliche Wahrnehmung zu
verändern. Ein Scholastiker würde sich entspannt zurücklehnen und sagen,
dass die Sprache ein göttliches Instrument sei und die Vielfalt der
geistigen Erscheinungen abzubilden imstande ist. Ändern sollten wir
Menschen an der Sprache nichts, das macht der Weltgeist schon von ganz
allein.
Es ist ein wenig wie der Streit zwischen den Protestanten und den
Katholiken um die Eucharistie. Während die Protestanten die Worte des
Abendmahls als symbolhaft verstehen - das Brot steht als Symbol für den
Leib und der Wein für das Blut Christi -, verstehen die Katholen an
genau diesem Punkt keinen Spaß. Im Abendmahl, dem christlichen
Mysterium, wird für sie der Wein wirklich zum Blut und das Brot wird
wirklich zum Leib Christi. Es würden Welten wanken, daran zu rütteln.
Während sich in den beiden christlichen Konfessionen der Streit
zwischen Scholastikern und Nominalisten weiter tradiert, scheint der
Streit in der Philosophie zugunsten der Nominalisten entschieden. Die
Genders sind sozusagen die Protestanten unter den Philosophen, die jetzt
den Ton angeben. Alles nur Worte und Symbole, nirgends Wesenhaftes oder
Geist. Sprache ist ihrer Abbildfunktion beraubt und wird als
Herrschaftsinstrument verstanden. So ist es nur konsequent, wenn mal
wieder die Protestanten in vorauseilendem Gehorsam vorpreschen, wenn es
um einheitliche Toilettenbeschilderungen geht.
Am pointiertesten jedoch wird das Verschwimmen zwischen Realität und
Surrealität, das sich die Genders auf die Fahnen geschrieben haben, wenn
man ein literarisches Beispiel bemüht. Der große spanische Dichter
Calderón de la Barca hatte es bereits in seinem Drama „La vida es sueño“
(Das Leben ein Traum) thematisiert. Sehr verkürzt zusammengefasst
lautet die Hauptfrage dort: was ist der Unterschied zwischen einem
Bettler, der 12 Stunden am Tag träumt, er wäre ein König, und einem
König, der 12 Stunden am Tag träumt, er wäre ein Bettler? Auf die
Genders übertragen müsste die Frage modern lauten: welches Geschlecht
hat der Mensch, der 12 Stunden am Tag in Männerkleidung seiner
Bürotätigkeit nachgeht, während er die anderen 12 Stunden träumt, in
Nachtclubs eine aufreizende Frau zu sein?
Wenn Sie nun meinen, diese Frage eindeutig beantworten zu können,
dann stehen Sie, so leid es mir tut, auf der Verliererseite der
Philosophie. Denn es gibt nichts, was momentan so mega-out ist wie die
scholastische Denktradition. Damit hätten Sie’s selbst in den 80er
Jahren nicht mal am Türsteher vorbei ins New Yorker Limelight geschafft.
Mehr dazu: http://www.der-gruene-wahn.de
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