Stationen

Donnerstag, 20. Oktober 2016

Merkels Möchtegern-Hausphilosoph

PAZ: Herr Münkler, vorab eine Frage zu den Prämissen deutscher Außenpolitik. Sie haben der Bundesregierung empfohlen, sich primär an den deutschen Interessen zu orientieren, weniger an ihren Werten. Was meinten Sie damit?
Herfried Münkler: Zweifellos war die Außenpolitik Deutschlands auch in der Vergangenheit an den Interessen Deutschlands orientiert. Aber was man nach außen hin kommuniziert hat, waren vor allem die Fragen der Werte. Dabei tauchte das Problem auf, dass die engen Bündnispartner und andere das einem nicht abnehmen, nicht glauben. Sie rätseln vielmehr, was sich dahinter verbirgt.

PAZ: Nach dem Motto: Wollen uns die Deutschen durch eine vermeintliche Negierung nationaler Interessen ihrer Politik täuschen?
Münkler: Ja, dieser Eindruck ist häufig entstanden. Also es war mein Ratschlag zu einer Vereinfachung und Verehrlichung in der Kommunikation unter Freunden und Verbündeten. Denn, sehen Sie, wenn die Deutschen gefragt wurden, „Was sind denn Eure deutschen Interessen?“, und sie dann geantwortet haben, „Unsere deutschen Interessen sind dieselben wie die europäischen Interessen“, dann hat das leider immer sehr viel mehr Irritationen ausgelöst, als wir in unserer Binnenperspektive geglaubt haben. Wir sollten über 70 Jahre nach Kriegsende allmählich in eine Situation kommen, bei der man offener und gelassener die eigene Position auch sichtbar machen kann und sie nicht ständig camouflieren muss.

PAZ: Sie vertreten die These, dass die konventionellen, symmetrischen Kriege zwischen Staaten früherer Zeiten heute durch asymmetrische Kriege abgelöst worden seien. Wann und wo kam es zu dieser Mutation im Konfliktgeschehen?
Münkler: Das ist wohl ein Übergang, der sich überlappt, bei dem man beobachten kann, dass er schon in der Zeit der Ost-West-Konfrontation und den sogenannten Stellvertreterkriegen stattfand. In gewisser Hinsicht hat die Asymmetrie ja eine historische Tiefe, die im weiteren Sinn bis in den spanischen Partisanenkrieg, den Kleinen Krieg, die Guerilla Anfang des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Aber das europäische Staatensystem war damals so beschaffen, dass es solche Störungen an den Rand gedrängt hat.
Aber außerhalb der europäischen Welt, wo neben Ostasien die Konfrontation der beiden Blöcke im Kalten Krieg des 20. Jahrhunderts am unmittelbarsten war, also in Afrika, teilweise auch in Südamerika, da gab es schon relativ früh in der Gestalt des Partisanen- und Guerilla-Krieges asymmetrische Gewalt-Konflikte. Nehmen Sie die Figur Che Guevara als Chiffre für diese Konzeption.

PAZ: Wie lautet die konzeptionelle Grundüberlegung dieser von Ihnen erwähnten Chiffre in der Theorie des asymmetrisch kämpfenden Partisanen?
Münkler: Wie mache ich aus der Stärke des Gegners eine Schwäche? Was wiederum die Voraussetzung dafür ist, dass ich gegen ihn, den Starken, gewinnen kann, denn hinsichtlich seiner Potenziale ist er dem Partisanen ja unendlich überlegen.

PAZ: Sind unsere Funktionseliten im politisch-medialen Komplex in Deutschland und Europa auf diese neuen Herausforderungen schon angemessen eingestellt?
Münkler: Eher ungenügend. Es gab und gibt einige – und zwar völlig unabhängig von der parteipolitischen Orientierung –, die sich mit solchen Fragen beschäftigt hatten und dabei auch eine gewisse Sensibilität für den Gestaltwandel des Krieges, das heißt die Fähigkeit zu strategischem Denken, entwickelt haben, was ja in Demokratien nicht unbedingt karriereförderlich ist.

PAZ: Woher kommt diese Zurückhaltung, um nicht von Lage-Blindheit zu sprechen?
Münkler: Zunächst einmal gab es im Gefolge von 1989 die Vorstellung, dass die Ost-West-Konfrontation vorbei und man nur noch von Freunden umgeben sei. Man kassierte in den 1990er Jahren die Friedensdividende und rechnete tendenziell mit einem Verschwinden von Kriegen überhaupt. Dass der Krieg aber nur seine Erscheinungsform geändert und sich teilweise hybrisiert hatte, hat man über lange Zeit weniger bis gar nicht gesehen.

PAZ: Paris, Würzburg, Ansbach, München: Anschlagsorte, die uns den asymmetrischen Krieg auch räumlich näher gebracht haben. Welche Motive leiten islamistisch orientierte Terroristen bei der Gewaltanwendung, sehen sie in den westlich-liberalen Gesellschaften den „Kulturraum des Feindes“?
Münkler: Nicht nur den Kulturraum, auch den Wirtschaftsraum des Feindes, das ist für ihn miteinander verbunden. Sehen Sie, die Expansion des Westens hat auf der einen Seite auf der Grundlage technologischer Überlegenheit stattgefunden. Aber andererseits auch auf der Basis einer kommunikativen Dominanz, sagen wir einmal dafür „Hollywood“ als Stanzung von sozialen Erwartungen, Vorbildern und derlei mehr. Die terroristischen Akteure sehen sich zunächst einmal in ihrer Selbstwahrnehmung in der Defensive, als die Verteidiger von Räumen und Werthaltungen, die sie durch einen immer weiter um sich greifenden „imperialistischen Westen“, wie sie ihn nennen würden, bedroht sehen.

PAZ: Eine Art Minderwertigkeitskomplex, der sich in Aggression entlädt?
Münkler: So könnte man sagen. Es ist die Reaktion einer blockierten Welt, die aus der Blockade im Sinne der Modernisierungsverweigerung einen Wert macht, weil man in diesem Prozess ganz hinten steht und sozusagen das peinliche Bettelkind ist. Das ist es, was diagnostisch beachtet werden muss, wenn man damit umgehen will, was aber jetzt nicht lösbar ist. Zwar gab es zwei Versuche der Auflösung dieser Selbstblockade: die US-amerikanische Intervention im Irak als den Versuch, sie von außen aufzubrechen, und dann den sogenannten „Arabischen Frühling“. Beides ist gründlich schiefgegangen.

PAZ: Sie schreiben der kommunikativen Strategie und Taktik im asymmetrischen Krieg seitens der Angreifer eine zentrale Bedeutung zu. Welche Rolle spielen dabei die Bilder?
Münkler: Sie sind im Sinne des asymmetrischen Kriegsverlaufs entscheidend. Zunächst einmal zeigen blutige Anschlagsbilder unsere hohe Verwundbarkeit als postheroische Gesellschaft, die relativ wenig junge Männer hat und eigentlich gar keine von ihnen opfern will. Eine Gesellschaft, die religiös erkaltet ist, das heißt die den Gedanken des sakrifiziellen Opfers nicht mehr zu denken bereit ist und die, wenn sie von Opfern spricht, sofort an den Entschädigungsanspruch denkt. Diese Gesellschaft hat ein hohes Maß an Verwundbarkeit schon dadurch, dass sie das Gefühl hat, uns werden plötzlich Opfer abverlangt.
Auf der anderen Seite kommen Leute und opfern sich selber in einem religiös-selbstmörderischen Sinne, und diese Männer sind zwischen 20 und 25 Jahre alt. Bilder darüber erschüttern uns, sie treffen uns im Mark, weil wir einen vergleichbaren Opfergedanken nicht denken können, sondern eben an den Kategorien des Tauschs orientiert sind.

PAZ: Wie lauten die Axiome einer erfolgreichen Abwehr-Strategie?
Münkler: Was auf keinen Fall hilft, wäre hysterische Erregtheit, auch und gerade wenn die aufsehenerregende Brutalität der Anschläge besonders blutig ausfällt. Die erste Verteidigungslinie besteht in einer Einstellung der Bevölkerung, die ich als „heroische Gelassenheit“ bezeichne. Sie ist von den Funktionseliten in Staat und Gesellschaft zu vermitteln. Auch die Semantik ist von enormer Bedeutung: Die Bezeichnung der Aggressionshandlungen hat „Kriminalität“ zu heißen, nicht „Krieg“. Schwache Politiker neigen nämlich zu starken Begriffen, die kontraproduktiv sind. Eine kluge Reaktion auf Anschläge heißt aber vor allem, sich nicht in die Fallen der Terroristen zu begeben. PAZ

Die Reduzierung dieses Kriegs auf Kriminalität kann jedoch nur funktionieren, wenn die starken Politiker, die mit diesem schwachen Begriff operieren, auch stark genug sind, um der immer stärker werdenden Kriminalität Herr zu werden und zu verhindern, dass die aus dem Libanon stammenden kurdischen „Araberclans“, die in Berlin mittlerweile sehr stark sind, demnächst zum Souverän werden.

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