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Mittwoch, 26. Oktober 2016

7 Gerüchte


1. Mit CETA und TTIP werden unseren hohen europäischen Standards aufgeweicht

Diese These unterstellt zunächst einmal, dass die USA und Kanada generell niedrigere Sicherheits- und Vebraucherschutzstandards besitzen als wir Europäer. Das ist aber falsch. Lustigerweise fürchten sich nämlich die US-amerikanischen Bürger genauso davor, dass ihre hohen Standards durch TTIP aufgeweicht werden.
Bestes Beispiel dafür ist das berühmte Chlorhühnchen: In den USA werden geschlachtete Hühner in einem Chlorbad gereinigt. Das tötet fast alle Keime an dem rohen Fleisch ab. Uns Europäern erscheint das oft als ekelig, weil wir die Vorstellung damit verbinden, dass das Huhn im Supermarkt noch mit durchaus ungesunden Chlorresten behaftet ist.
Lebensmittelkontrolleure haben aber festgestellt, dass das nicht stimmt. Die Hühner werden nach dem Chlorbad natürlich noch einmal abgeduscht und das Chlor abgespült. Davon ist im Supermarkt nix mehr über - und die gechlorten Hühner enthalten auch wesentlich weniger krankheitserregende Keime als deutsches Huhn.
So haben die Amerikaner in vielen Bereichen höhere Standards und schützen den Verbraucher besser. Ein US-Kunde von VW bekommt wegen des Abgasskandals aktuell auch wesentlich höhere Entschädigungen als ein deutscher Kunde.
Zudem ist zumindest in CETA festgelegt, dass im Zweifel immer der bessere Standard gilt. Europäische Normen könnten dadurch also gar nicht aufgeweicht werden.

2. Schiedsgerichte sind eine Paralleljustiz und damit der Untergang der Demokratie.

Wenn Schiedsgerichte wirklich so schlimm wären wie oft behauptet, dann wäre unsere Demokratie jetzt schon untergegangen. Denn Deutschland ist über die EU aktuell in 29 Freihandelsabkommen aktiv, die alle solche Schiedsgerichte kennen. Wir haben die sogar 1959 bei einem Abkommen mit Pakistan erfunden. Und Deutschland ist auch das Land, das am häufigsten vor solchen Gerichten klagt.
So gehören etwa die Stadtwerke aus Köln und München zu den zahlreichen Klägern des spanischen Staates, der im Zuge seiner Wirtschaftskrise Sonnenenergie nicht mehr so stark förderte wie zunächst versprochen. Jetzt wollen die Stadtwerke dafür entschädigt werden.
Solche Schiedsgerichte außerhalb der Gerichtsbarkeit einzelner Staaten sind also kein Untergang der Demokratie, dürfen aber sehr wohl kritisch hinterfragt werden. Denn ursprünglich sollte mit ihnen verhindert werden, dass in politisch instabilen Staaten eine mutmaßlich bestechliche Justiz zu Gunsten des jeweiligen Landesherrschers entscheidet. Diese Gefahr gibt es aber zwischen entwickelten Industrieländern wie etwa der EU und den USA nicht.
Deswegen sollte es zum Beispiel beim Abkommen mit Kanada, also CETA, auch gar keine privaten Schiedsgerichte geben. Stattdessen wollen die EU und Kanada einen internationalen Handelsgerichtshof gründen, der eben über Handelsstreitigkeiten urteilt - mit der Möglichkeit auf Revision, die es bei normalen Schiedsgerichten bisher nicht gab.

3. Allein, dass CETA und TTIP geheim verhandelt werden, zeigt doch schon, wie dubios das Ganze ist.

Zugegeben, mehr Transparenz bei solchen Verhandlungen wäre aus Bürgersicht wünschenswert. Es gibt aber gute Gründe, die Abkommen hinter verschlossenen Türen zu verhandeln. Die EU verhandelt nämlich derzeit über neun solcher Freihandelsabkommen. Neben den USA und Kanada etwa auch mit Indien, Japan und Russland.
Dabei will die EU natürlich in jedem Abkommen das Beste für sich, seine Unternehmen und seine Bürger herausschlagen. Und dabei ist Transparenz leider hinderlich. Das ist wie am Arbeitsplatz. Wenn Ihr herausfindet, dass euer Kollege gut verhandelt hat und 200 Euro mehr Gehalt bekommen wird als ihr, dann wollt ihr auch eine Gehaltserhöhung.
Und genauso würde Japan vielleicht dieselben Klauseln im Abkommen haben wollen wie Kanada, obwohl die EU dort auch mit weniger Zugeständnissen ein Abkommen schließen könnte. Geheimhaltung ergibt also durchaus Sinn und ist kein Zeichen von üblen Machenschaften.

4. Bei den Verhandlungen sitzen nur Lobbyisten mit am Tisch.

Falsch. Dass bei CETA und TTIP nur die Großkonzerne die Feder führen, ist leider eine hartnäckige Mär. Beispiel TTIP: Auf EU-Seite ist dort Handelskommissarin Cecilia Malmström aus Schweden die Verhandlungsführerin. Ihr zur Seite steht der Spanier Ignacio Garcia Bercero, der für die EU seit 1987 Handelsabkommen aushandelt - und dabei kamen wir bisher nicht so schlecht weg.
Aber die beiden können ein solches Monstervertragswerk natürlich nicht alleine stemmen. Deswegen gibt es einen 14-köpfigen Beraterstab. Der umfasst Vertreter der Wirtschaft - und damit sicherlich auch die gehassten Lobbyisten - aber auch Gewerkschaftler und Verbraucherschützer.

5. Mit CETA wird unsere Grundversorgung privatisiert.

Richtig ist, dass durch CETA künftig kanadische Unternehmen an öffentlichen Ausschreibungen in der EU teilnehmen dürfen. Schreibt eine Stadt also etwa die Müllabfuhr oder Trinkwasserversorgung neu aus, darf ein kanadisches Unternehmen nicht schlechter behandelt werden als ein deutsches.
Nur: Das war in Deutschland auch bisher schon der Fall, wie das Bundeswirtschaftsministerium sagt. Die in CETA gefasste Klausel ändert demnach für uns gar nichts, sie ist eher für andere EU-Staaten wichtig. Und wie viele deutsche Kommunen sind jetzt schon in kanadischer Hand und leiden darunter? Uns fällt spontan kein Beispiel ein.

6. CETA und TTIP ohne Bürgerbeteiligung zu beschließen, ist undemokratisch.

Technisch gesehen waren die Bürger an der Aushandlung von CETA und TTIP durchaus beteiligt. Wir haben nationale Parlamente gewählt und die Regierungsgewalt an diese abgegeben. Diese haben wiederum Regierungen und die EU-Kommission gebildet, die nun CETA und TTIP verhandelt. Wenn sie das nicht in unserem Sinne macht, sind wir selbst schuld, weil wir die falschen Politiker gewählt haben.
Klar, man kann trotzdem noch einmal einen Volksentscheid durchführen. Aber bei 28 EU-Staaten und 500 Millionen Bürgern wäre das ein enormer Aufwand für einen Handelsvertrag, in deren Form die EU schon 29 andere beschlossen hat, ohne dass wir extra gefragt werden wollten.

7. Früher gab es keine Freihandelsabkommen und es ging uns trotzdem gut.

Diese These ist erst einmal etwas schwammig, aber eigentlich in jedem Fall falsch. Wir wissen nicht genau, wann "früher" genau gewesen sein soll. Aber eines der ersten Freihandelsabkommen, die die Bundesrepublik Deutschland schloss, war die Montanunion 1951, also der Vorläufer der EU.
Wir können uns jetzt nicht daran erinnern, dass es uns vor 1951 so prächtig ging. Abgesehen von der Tatsache, dass Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in Schutt und Asche lag, war damals die Kindersterblichkeit noch extrem hoch, die Lebenserwartung rund 20 Jahre niedriger als heute, Krankheiten wie Polio oder die Pocken ein virulentes Problem und die Analphabetenrate messbar.
Klar, das ist jetzt nicht alles nur wegen Freihandelsabkommen besser geworden. Aber die haben auch ihren großen Anteil daran. Schließlich beruht unser Wohlstand größtenteils darauf, dass wir Exportweltmeister sind. Und eben für mehr Exporte sind Freihandelsabkommen gedacht.
Zu behaupten, dass es uns ohne diese Abkommen "gut" oder gar "besser als heute" ging, ist blanker Unsinn.   Christoph Sackmann

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