EU-Parlamentspräsident Martin Schulz jubelt und mit ihm alle
Brüsseler Zentralisten: Das ungarische Referendum zur Verteilung von
Asylsuchern auf die EU-Mitgliedsstaaten hat das Quorum von 50 Prozent
verfehlt. Gleich ihm haben viele Medien von einem Scheitern der
Volksabstimmung in Ungarn gesprochen. Doch ist eine Teilnahme von nur
45 Prozent tatsächlich eine Ohrfeige für den ungarischen
Ministerpräsidenten Viktor Orbán?
„Dank des ungarischen
Volkes wurde Schaden von Europa abgewendet, den die Regierung bewusst in
Kauf genommen hatte“, interpretierte der EU-Parlamentspräsident das
Ergebnis des ungarischen Referendums. Bei der allgemeinen Analyse des
Ergebnisses fällt meist unter den Tisch, dass diejenigen, die ihre
Stimme abgegeben haben, zu rund 98 Prozent gegen die Verteilung gestimmt
haben. In absoluten Zahlen sprachen sich bei dem Referendum von den
rund zehn Millionen Magyaren über drei Millionen in Sinne des
Ministerpräsidenten Orbán aus – das sind mehr, als seinerzeit für den
Beitritt des Landes zur EU votiert hatten. Daraus eine Niederlage für
Orbán zu konstruieren, erscheint sehr gewagt.
Österreichs Bundesminister
für Europa, Integration und Äußeres, Sebastian Kurz, von der
Österreichischen Volkspartei meinte dazu: „Man sollte nicht den Fehler
machen, es so zu interpretieren, dass man sagt, die Ungarn wollen mehr
Migranten aufnehmen. Das, glaube ich, wäre eine etwas falsche
Interpretation.“
Das Ziel der EU, die Asylsucher in den
Mitgliedsländern zu verteilen, sei „völlig unrealistisch“, so Kurz. In
einem Interview mit einer großen deutschen Sonntagszeitung machte er
folgende Rechnung auf: „Sollten wir – und davon ist auszugehen – die
Flüchtlinge weiter wie bisher auf die einzelnen Länder verteilen,
brauchten wir 30 Jahre für 160000 Menschen. Hinzu kommt, dass die
Debatte über die Verteilung von Flüchtlingen nach Quoten den
Zusammenhalt der gesamten Europäischen Union gefährden kann.“ In der Tat
ist es so, dass nicht, wie von Schulz behauptet, das Ungarn-Referendum –
egal mit welchem Ausgang – die EU gefährdet, sondern das Beharren auf
der Verteilungsquote.
Das Thema führt zu einer auffallenden
Annäherung Österreichs an Ungarn, wenn auch nicht mehr im dynastischen
Sinn. In Wien hat sich auch der sozialdemokratische Bundeskanzler
Christian Kern der Richtung angeschlossen, die sein Außenminister
vorgegeben hat. Er bekennt: „Wir wissen, dass wir die Verteilung der
Flüchtlinge jetzt nicht durchsetzen können“, und verwies dabei auf die
Visegrádstaaten Polen, Tschechei, Slowakei und Ungarn, die beim
Asylproblem gemeinsam eine sehr ablehnende Haltung einnehmen.
Der
österreichische Sozialdemokrat sieht im verfehlten Quorum der Ungarn
kein Problem und erwartet auch keine Folgen davon. „Der Ausgang des
Referendums in Ungarn“, so Kern, „wird die Spielaufstellung nicht
ändern.“ Das bedeutet, weder die EU noch Ungarn werden ihre Politik
ändern. Schon vor dem Referendum und daher ohne Wissen um dessen
Ergebnis hatte der ungarische Ministerpräsident angekündigt, dass die
Volksbefragung rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen würde. Das
ungarische Rechtssystem werde sich künftig an dem Prinzip orientieren,
dass nur das ungarische Parlament (und nicht die EU) bestimme, „mit wem
die Ungarn zusammenleben wollen und mit wem nicht“.
Orbán hat mit
den Eurokraten längst genug Ärger gehabt, um zu wissen, dass er durch
diese Entscheidung einen Grundsatzkonflikt mit Brüssel riskiert,
vielleicht legt er es sogar darauf an. Die EU nimmt die Zuständigkeit
für das Asylrecht für sich in Anspruch. Orbán nun macht sich die
Hilflosigkeit der EU zunutze, die daran erkennbar wird, dass sie sich
außerstande zeigt, die bewussten 160000 Immigranten unterzubringen. Eine
Zuständigkeit zu beanspruchen, zum Vollzug aber nicht fähig zu sein –
das schwächt die politische Position Brüssels, und Orbán wäre nicht der,
der er ist, wenn er sich diese Gelegenheit entgehen ließe.
Dabei
weiß er ganz genau, dass er nicht allein ist, sondern eine
Vorreiterrolle spielt. Neben den Visegrádstaaten ist es eben auch
Österreich, das seine Position festigt, und außerdem tun das alle
politischen Kräfte in den EU-Mitgliedsstaaten bis nach Frankreich, die
der momentanen, der „Merkel’schen“ Zuwanderungspolitik den Kampf
angesagt haben. Wie schwach Brüssel und Berlin dastehen, sieht man
daran, dass das Prinzip der quotenweisen Verteilung nicht vollzogen
wird, allmählich in Vergessenheit gerät und auf künftige Zuwanderer
überhaupt keine Anwendung mehr findet.
Im Jahr 2018 finden in Ungarn
Parlamentswahlen statt. Orbán weiß, dass er in einzelnen
Politikbereichen im Verzug ist, umso mehr verlegt er sich auf die
Themen, bei denen er die Mehrheit der Ungarn hinter sich weiß, und das
sind eben Themen im Zusammenhang mit EU und Asylsuchern. Er weiß um den
durchgehenden Wunsch seiner Landsleute, wieder mehr Souveränität
gegenüber Brüssel zu erlangen. Das Volk der Magyaren befindet sich
ethnisch in einem Insel-Dasein und fühlt sich stets herausgefordert,
seine nationale Eigenheit zu verteidigen. Die Gleichmacherei der EU
passt dazu überhaupt nicht. Unter diesem Aspekt darf sich Orbán auf
einen historischen Auftrag berufen. Florian Stumfall
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