Stationen

Montag, 5. September 2016

Die Dummheit fläzt sich auf dem Thron

Die Habilitierung Bachs zum Judenfeind und Quasi-Wegbereiter Hitlers durch angeblich antijüdische Botschaften in seiner Kirchenmusik, endlich und gerade noch rechtzeitig enthüllt von der Eisenacher Ausstellung „Luther, Bach – und die Juden“ sowie einige jene Schau noch locker übertrumpfende Qualitätsjournalisten, lassen den Lesern meines schöngeistigen Diariums offenbar keine Ruhe. Ich gestatte mir, zwei der Zuschriften zu zitieren.
 
Leser*** schickt mir in Kopie sein Schreiben an die Neue Bach-Gesellschaft (NBG), welches da lautet:

„Als jahrzehntelanges Mitglied der NBG protestiere ich energisch gegen die Zweckentfremdung des Bachschen Werkes für die politisch-korrekte Klimapflege. Wie Ihnen möglicherweise bekannt ist, hat Bach die sogenannte heilige Schrift nicht selbst verfasst, sondern – einschließlich entlehnter Libretti – nur vertont. Eine antizipierende historische Auseinandersetzung mit dem Stoff, ob er für die nächsten hunderte Jahre politisch korrekt interpretationsfähig und -beständig bleiben werde, war zu keiner Zeit Aufgabe irgendeines Kirchenkantors und auch nicht die Aufgabe Bachs.
Die Frage, ob Bach ‚antisemitisch’ gewesen sei, ist genau so unsinnig wie die Frage, ob ein ausführendes Organ konstitutiv für eine jahrhundertealte Vorlage sein kann. Ich verbitte mir als Mitglied der NBG die obszöne Vereinnahmung des Bachschen Werkes zu politischen Zwecken.“
 
Und Leser ***, Musikwissenschaftler und Jude, nimmt vor allem auf einen Artikel in der Welt Bezug, der unter der Überschrift „Warum Bach ein Antisemit war“ mit Julius-Streicher-Charme loslärmt: „Wenn das Reformationsjubiläum beginnt, sollen die braunen Ecken ausgefegt sein. Bach ist nun auch bearbeitet. Die Eisenacher Ausstellung 'Bach, Luther – und die Juden' überführt ihn als Antijudaisten.“ Worauf *** repliziert: „Irgendwie erinnert mich dieser Säuberungszwang sowie die Erfolgsmeldung des Autors an einen anderen Text: ‚Die Reinigung unseres Kultur- und damit auch unseres Musik­lebens von allen jüdischen Elementen ist erfolgt.’ (Theo Stengel und Herbert Gerigk, Lexikon der Juden in der Musik, Berlin 1940, S. 5).“




Der Welt-Text verdient aufgrund seiner Wesensverwandtschaft mit dem, was er zu bekämpfen vorgibt, etwas mehr Raum.

Bachs Musik, befindet eine Feuilleton-Redakteurin der Gazette keck, „trägt bis heute antijüdische Botschaften in die Welt. Aus Deutschland. Aus dem Land des Holocausts.“ Und dann folgt die Frage aller nachkriegsdeutschen Fragen in der x-ten Variation: „Führt eine Blutspur vom Matthäus-Wort ‚Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!’ nach Auschwitz? Muss man den von Bach vertonten Text nicht umschreiben? (Einen solchen Versuch hat es mit der Johannespassion ja vor drei Jahren gegeben.) Oder Informationsblätter verteilen, wie es der Superintendent der Leipziger Thomaskirche tat? Dieser Johannes Richter schrieb: ‚Betrachten wir den Gesamtzusammenhang der im Neuen Testament überlieferten Passion Jesu, so erkennen wir, dass dort, wo 'die Juden' ausdrücklich genannt sind, auch andere Personen oder Personengruppen einsetzbar wären! Unter diesem Blickwinkel wird der Text zu einem Zeugnis der Betroffenheit, aus der heraus das Zeugnis der Versöhnung und der Liebe mit zwingender Logik erwächst.’
Schön, wenn's so einfach wäre. Ist es nicht. So leicht sind braune Flecken nicht zu entfernen. Wegdiskutieren kann man sie jetzt auch nicht mehr. Bach ist jetzt auch bearbeitet. Gerade noch rechtzeitig vor dem großen Reformationsjubiläum.“ Also stoßseufzt befriedigt die Welt-Autorin.

So lieblich klingt es, wenn anständig Gebliebene die braunen Dreckecken auskehren und NS-„Wegbereiter“ dingfest machen. Doch es bleiben Fragen offen. Zum Beispiel, warum der Herr Superintendent an Bach herumschraubt, anstatt die fraglichen Seiten von frommen Betschwestern und freiwilligen jungsozialistischen Helfern aus sämtlichen in seiner Kirche zirkulierenden Exemplaren des Neuen Testaments herausreißen zu lassen. Immerhin hat Bach nur den biblischen Text in Töne gesetzt, mithin also zitiert, und es ist doch absurd, zwar den Zitierer seiner gewiss verdienten Strafe zuzuführen, aber das kontaminierte Original unbehelligt zu lassen. Die Gerechten sollten diesmal nicht die Arena verlassen, ohne eine Umschrift des Neuen Testaments und das Verbot, die fraglichen Passagen je wieder beim Gottesdienst zu lesen, erwirkt zu haben.

Was indes die Bemerkung angeht, anstelle von „den Juden“ könnten an den schwefligen Stellen auch andere Gruppen eingesetzt werden (die Gottlosen? die Rassisten? die Schnacksler?), ziehen wir am besten und naheliegenderweise die jüdische Tradition zu Rate. Was schreibt etwa der Talmud zur Frage, ob es "die Juden" waren, die die Tötung des Christus veranlasst und gebilligt haben? Ans Kreuz geschlagen haben ihn ja offenbar "die Römer".

Während der biblische Pontius Pilatus als messianischen Prophezeiungen unzugänglicher Römer den Angeklagten Jesus von Nazareth für einen politischen Aufrührer hielt, der von sich behauptete, der Juden König zu sein, war Jesus für den Sanhedrin, das oberste jüdische Gericht, wegen der Anmaßung, er sei der Sohn Gottes und der Messias, nichts anderes als ein Gotteslästerer. In seinem Buch „Jesus im Talmud“ (deutsche Ausgabe bei Mohr Siebeck, Tübingen 2010) erinnert Peter Schäfer, Judaistik-Professor an der Universität Princeton, zunächst an die „simple Tatsache", dass der Hohe Rat die Todesstrafe nicht ausführen konnte, sondern dies der römischen Obrigkeit überlassen musste, die natürlich dem römischen und nicht dem talmudischem Recht folgte. (Gemäß Letzterem wäre Jesus nämlich „nur“ gesteinigt worden, was speziell Mel Gibson bedauert hätte, dessen Film dann erheblich an Länge eingebüßt haben würde.)

Schäfer konstatiert, dass der Babylonische Talmud gleichwohl „darauf besteht, daß Jesus nach rabbinischem Recht hingerichtet wurde (...), weil genau hierin der Kern einer polemischen Gegenerzählung zu den Evangelien liegt“. Der Talmudist argumentiere nämlich wie folgt: „Wir, die Juden, haben ihn vor Gericht gebracht und für das verurteilt, was er war: ein Gotteslästerer, der behauptete, Gott zu sein und nach unserem jüdischen Recht dafür die Todesstrafe verdiente.“

Damit hole der Talmud Jesus übrigens zurück ins jüdische Volk. Da das gesamte Personal der Passionsgeschichte ohnehin aus Juden besteht, die römischen Besatzer natürlich ausgenommen, ist es schwer möglich, die Akteure durch andere Gruppen zu ersetzen. Die einzig relevante Frage ist, wer da hingerichtet wurde: der Heiland der späteren Christen oder ein jüdischer Häretiker? Oder, spätantik-präluhmannesk, beides zugleich?

„Was wir im Bavli (Babylonischen Talmud – M.K.) vor uns haben, ist eine eindrückliche Bestätigung der neutestamentlichen Passionsgeschichte, jedoch eine kreative Neuinterpretation, die (...) selbstbewußt die Verantwortung für Jesu Hinrichtung auf sich nimmt“, führt Schäfer aus. „Wir akzeptieren – so der Talmud – die Verantwortung für den Tod dieses Häretikers, aber es gibt keinen Grund für Scham oder Schuldgefühle. Wir sind nicht die Mörder des Messias oder Gottessohnes, auch nicht des Königs der Juden, wie es Pilatus gerne gehabt hätte. Wir sind vielmehr die rechtmäßigen Vollstrecker des Urteils über einen Gotteslästerer und Götzendiener.“ Und weiter: „Wenn diese Interpretation zutrifft, sind wir hier mit einer Botschaft konfrontiert, die stolz und geradezu aggressiv die Beschuldigung, die Juden seien die Mörder Jesu, pariert. Zum ersten Mal in der Geschichte treffen wir Juden an, die, anstatt in die Defensive zu gehen, ihre Stimme erheben und sich gegen das wehren, was bald die ewig gültige Botschaft der triumphierenden Kirche werden sollte.

Ein spätes Echo dieses militanten jüdischen theologischen Selbstbewusstseins stammt aus dem Jahr 1916. „Sie wissen so gut wie ich“, schrieb der Philosoph Franz Rosenzweig („Der Stern der Erlösung“) an Eugen Rosenstock-Huessy, „daß wir die weltüberwindende Fiktion des christlichen Dogmas nicht mitmachen (...), gebildet formuliert: daß wir die Grundlage der gegenwärtigen Kultur verleugnen (...) und ungebildet formuliert: daß wir Christus gekreuzigt haben und es, glauben sie mir, jederzeit wieder tun würden, wir allein auf der weiten Welt.“

In diesen Zusammenhang gehört auch die bizarre Story von Jesu Höllensturz und Bestrafung, sozusagen als jüdische Gegengeschichte zu Christi Auferstehung und Himmelfahrt. Drei Erzfrevler sitzen im biblischen Scheol: Titus, der Zerstörer des zweiten Tempels und spätere Caesar, der falsche Prophet Bileam – und Jesus von Nazareth. Titus gilt als der Judenfeinde Allerschlimmster, was er aus jüdischer Sicht jahrhundertelang wohl auch gewesen ist, bis sich 1947/48 die geheimen Pläne Gottes zu offenbaren begannen; seither besetzt er im Heilsgeschehen eine Art Judas-Rolle als dramaturgisch notwendiger Unhold. Zur Strafe für den Tempelfrevel schickte der erzürnte Jahwe jedenfalls eine Mücke zu ihm, die durch seine Nase ins Gehirn eindrang und sich sieben Jahre vom zuletzt kaiserlichen Cerebrum ernährte und dabei erheblich an Wuchs zulegte. Bevor der Kaiser an diesem Parasiten starb, bestimmte er, wie der Talmud berichtet, seine Strafe selbst: „Verbrennt mich und zerstreut meine Asche über die sieben Weltmeere, damit der Gott der Juden mich nicht findet und vor Gericht bringt.“ Dieser Vorgang wiederholt sich seither täglich.

Die Strafe Jesu indes besteht darin, in kochendem Kot gegart zu werden (Bileam muss dasselbe übrigens in kochendem Sperma über sich ergehen lassen). So steht’s im Babylonischen Talmud, neben Petitessen wie jener, dass Maria wohl eine Hure war, Jesus folglich ein Bastard.

Hui – dann ist der Talmud wohl ziemlich antichristlich? Und wenn ja, ist diese Feststellung nicht wiederum ziemlich antisemitisch? Für den modernen, in der Regel historisch, philologisch und theologisch völlig ahnungslosen Leser enthält die jüdische Tradition einiges an Zumutungen. Besonders engagierte Zeitgenossen meinen deswegen wohl, es sei bereits antisemitisch, sie zu zitieren. Auf der anderen Seite läuft einer Schar verschwiemelter antisemitischer Juchtenkäfer bei solchen Zitaten der weltverschwörerisch-welträtsellösungsverheißende Seim im Munde zusammen. Beide Fraktionen mögen bitte davon ausgehen, dass mir egal ist, was Sie so meinen und wähnen.

Tatsächlich handelt es sich bei den Traditionstexten um Werke des schöpferischen Ressentiments. Das jüdische Volk war ein Volk in permanenter Bedrängnis, und wenn es anno 722 und 587 v. Chr. sowie 70 und 135 n. Chr. bereits Wettbüros gegeben hätte, die Quoten für denjenigen, der auf die dauerhafte Existenz oder gar neuerliche Staatwerdung dieses Völkchens gesetzt hätte, wären traumhaft gewesen. Trotzdem wollten sich diese Juden nicht den „Siegern der Geschichte“ ringsum assimilieren, ob es sich nun um Ägypter, Assyrer, Babylonier, Römer oder christliche Völker handelte. Da die anderen immer die Stärkeren waren, führten nur Schleichwege zur Selbsterhaltung. Im Ghetto blühte jahrhundertelang die Treue Israels, mitsamt der Geldwirtschaft und der geradezu planmäßigen Erzeugung von Intelligenz. Die Interpretation des christlichen Heilands als jüdischen Häretiker, der keineswegs die Menschheit erlöst, sondern seine angemessene Strafe erhält, war zunächst ein innerjüdischer Zwist, auf längere Sicht aber ein Werk der geistig-theologischen Selbsterhaltung der Juden in einer überwiegend christlichen Welt.

Sowohl das Neue Testament als auch der Talmud berichten jedenfalls dasselbe über die Rolle „der Juden“ bei der Hinrichtung Jesu, wenn auch mit sehr verschiedenem Zungenschlag. Was uns zurück zu Bach führt.

In beiden Passionswerken hat der Thomaskantor den Text des neuen Testaments vertont. (In keinem anderen Werk Bachs findet sich irgendein Bezug zum Judentum.) Als er das tat, hatten die deutschen Juden die schlimmsten Verfolgungen wegen ihrer Religion lange hinter sich. Dass sie dereinst wegen ihrer Rasse verfolgt werden und auch die Annahme der Taufe keine Rettung bedeuten würde, konnte damals wahrlich niemand ahnen. Braune Flecken bei Bach: Wer derartiges unterstellt, dem müssen ganze Mückenschwärme des Zeitgeistes ins Hirn gekrochen sein und vor allem jene Stellen weggefressen haben, wo bei gesunden Menschen das Schamgefühl sitzt.

„Es ist für mich befremdlich zu beobachten, dass ausgerechnet Bach, dessen Musik von tiefstem Humanismus geprägt ist, in den letzten Jahren als Gegenstand einer Scheindebatte ausgesucht wurde. Solche Debatten sind Ausdruck eines in die Vergangenheit gerichteten Pseudo-Widerstands, einer ‚retroaktiven Zivilcourage‘, die die Gleichgültigkeit gegenüber den gegenwärtigen Formen des Antisemitismus kaschieren soll. In der Tat ist es auf alle Fälle viel weniger gefährlich, den konstruierten Antisemitismus von Bach zu bekämpfen, als den ganz realen heutigen Antisemiten und Feinden Israels entgegenzutreten“, erklärte der Pianist Jascha Nemtsov, Professor für Geschichte der jüdischen Musik an der Hochschule für Musik in Weimar und selber Jude, in einem Interview.

Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen.



3. September 2016
Neben den biologischen Eltern sollen bis zu zwei "soziale Eltern" die "elterliche Mitverantwortung" erhalten, unabhängig von Trauscheinen. Das „verlangen“ laut Pressemeldungen die grünen Bundestagsabgeordneten Volker Beck und Katja Dörner, Experten für mancherlei und speziell in Familienfragen ein Kompetenzteam, wie es kaum eine Partei zu bieten hat. Über Becks Expertise im angemessenen Umgang mit Kindern muss hier kein Wort verloren werden. Was Frau Dörner angeht, so war sie zwar kinder- und familienpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion und sitzt heute für die Grünen im Familienausschuss, aber eigene Kinder hat die selbstlose inzwischen 40-Jährige keine. Stattdessen immerhin die Kater „Lucky und Sparky“, wie sie auf ihrer Webseite verrät. Obendrein „bevölkern ungezählte Frösche, Lurche und Fische unseren kleinen Garten(teich)“. Im Hause lebt zudem noch ein Ehemann, mit dem sie sich „auf dem Kicker im Wohnzimmer beinahe täglich Duelle“ liefert, in allen Ehren natürlich und ohne die Kater- und Froschpflege zu vernachlässigen. Wenn sie sich jetzt noch in den Gartenteich- und Haustierausschuss ihrer Fraktion wählen ließe und sich dort für mehr Lurchbabys und Laichgelegenheiten engagierte, ihr bliebe kaum mehr zum Kickern Zeit. Geschweige denn für die Einmischung in das Familienleben der anderen.   MK am 3. und 4. September 2016






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