Die
Habilitierung Bachs zum Judenfeind und Quasi-Wegbereiter Hitlers durch
angeblich antijüdische Botschaften in seiner Kirchenmusik, endlich und
gerade noch rechtzeitig enthüllt von der Eisenacher Ausstellung „Luther,
Bach – und die Juden“ sowie einige jene Schau noch locker
übertrumpfende Qualitätsjournalisten, lassen den Lesern meines
schöngeistigen Diariums offenbar keine Ruhe. Ich gestatte mir, zwei der
Zuschriften zu zitieren.
Leser*** schickt mir in Kopie sein Schreiben an die Neue Bach-Gesellschaft (NBG), welches da lautet:
„Als
jahrzehntelanges Mitglied der NBG protestiere ich energisch gegen die
Zweckentfremdung des Bachschen Werkes für die politisch-korrekte
Klimapflege. Wie Ihnen möglicherweise bekannt ist, hat Bach die
sogenannte heilige Schrift nicht selbst verfasst, sondern –
einschließlich entlehnter Libretti – nur vertont. Eine antizipierende
historische Auseinandersetzung mit dem Stoff, ob er für die nächsten
hunderte Jahre politisch korrekt interpretationsfähig und -beständig
bleiben werde, war zu keiner Zeit Aufgabe irgendeines Kirchenkantors und
auch nicht die Aufgabe Bachs.
Die Frage, ob Bach ‚antisemitisch’
gewesen sei, ist genau so unsinnig wie die Frage, ob ein ausführendes
Organ konstitutiv für eine jahrhundertealte Vorlage sein kann. Ich
verbitte mir als Mitglied der NBG die obszöne Vereinnahmung des
Bachschen Werkes zu politischen Zwecken.“
Und Leser ***, Musikwissenschaftler und Jude, nimmt vor allem auf einen Artikel in der Welt
Bezug, der unter der Überschrift „Warum Bach ein Antisemit war“ mit
Julius-Streicher-Charme loslärmt: „Wenn das Reformationsjubiläum
beginnt, sollen die braunen Ecken ausgefegt sein. Bach ist nun auch
bearbeitet. Die Eisenacher Ausstellung 'Bach, Luther – und die Juden'
überführt ihn als Antijudaisten.“ Worauf *** repliziert: „Irgendwie
erinnert mich dieser Säuberungszwang sowie die Erfolgsmeldung des Autors
an einen anderen Text: ‚Die Reinigung unseres Kultur- und damit auch
unseres Musiklebens von allen jüdischen Elementen ist erfolgt.’ (Theo
Stengel und Herbert Gerigk, Lexikon der Juden in der Musik, Berlin 1940,
S. 5).“
Der Welt-Text verdient aufgrund seiner Wesensverwandtschaft mit dem, was er zu bekämpfen vorgibt, etwas mehr Raum.
Bachs
Musik, befindet eine Feuilleton-Redakteurin der Gazette keck, „trägt
bis heute antijüdische Botschaften in die Welt. Aus Deutschland. Aus dem
Land des Holocausts.“ Und dann folgt die Frage aller
nachkriegsdeutschen Fragen in der x-ten Variation: „Führt eine Blutspur
vom Matthäus-Wort ‚Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!’ nach
Auschwitz? Muss man den von Bach vertonten Text nicht umschreiben?
(Einen solchen Versuch hat es mit der Johannespassion ja vor drei Jahren
gegeben.) Oder Informationsblätter verteilen, wie es der Superintendent
der Leipziger Thomaskirche tat? Dieser Johannes Richter schrieb:
‚Betrachten wir den Gesamtzusammenhang der im Neuen Testament
überlieferten Passion Jesu, so erkennen wir, dass dort, wo 'die Juden'
ausdrücklich genannt sind, auch andere Personen oder Personengruppen
einsetzbar wären! Unter diesem Blickwinkel wird der Text zu einem
Zeugnis der Betroffenheit, aus der heraus das Zeugnis der Versöhnung und
der Liebe mit zwingender Logik erwächst.’
Schön, wenn's so einfach
wäre. Ist es nicht. So leicht sind braune Flecken nicht zu entfernen.
Wegdiskutieren kann man sie jetzt auch nicht mehr. Bach ist jetzt auch
bearbeitet. Gerade noch rechtzeitig vor dem großen
Reformationsjubiläum.“ Also stoßseufzt befriedigt die Welt-Autorin.
So
lieblich klingt es, wenn anständig Gebliebene die braunen Dreckecken
auskehren und NS-„Wegbereiter“ dingfest machen. Doch es bleiben Fragen
offen. Zum Beispiel, warum der Herr Superintendent an Bach
herumschraubt, anstatt die fraglichen Seiten von frommen Betschwestern
und freiwilligen jungsozialistischen Helfern aus sämtlichen in seiner
Kirche zirkulierenden Exemplaren des Neuen Testaments herausreißen zu
lassen. Immerhin hat Bach nur den biblischen Text in Töne gesetzt,
mithin also zitiert, und es ist doch absurd, zwar den Zitierer seiner
gewiss verdienten Strafe zuzuführen, aber das kontaminierte Original
unbehelligt zu lassen. Die Gerechten sollten diesmal nicht die Arena
verlassen, ohne eine Umschrift des Neuen Testaments und das Verbot, die
fraglichen Passagen je wieder beim Gottesdienst zu lesen, erwirkt
zu haben.
Was indes die Bemerkung angeht, anstelle von „den
Juden“ könnten an den schwefligen Stellen auch andere Gruppen eingesetzt
werden (die Gottlosen? die Rassisten? die Schnacksler?), ziehen wir am
besten und naheliegenderweise die jüdische Tradition zu Rate. Was
schreibt etwa der Talmud zur Frage, ob es "die Juden" waren, die die
Tötung des Christus veranlasst und gebilligt haben? Ans Kreuz geschlagen
haben ihn ja offenbar "die Römer".
Während der biblische
Pontius Pilatus als messianischen Prophezeiungen unzugänglicher Römer
den Angeklagten Jesus von Nazareth für einen politischen Aufrührer
hielt, der von sich behauptete, der Juden König zu sein, war Jesus für
den Sanhedrin, das oberste jüdische Gericht, wegen der Anmaßung, er sei
der Sohn Gottes und der Messias, nichts anderes als ein Gotteslästerer.
In seinem Buch „Jesus im Talmud“ (deutsche Ausgabe bei Mohr Siebeck,
Tübingen 2010) erinnert Peter Schäfer, Judaistik-Professor an der
Universität Princeton, zunächst an die „simple Tatsache", dass der Hohe
Rat die Todesstrafe nicht ausführen konnte, sondern dies der römischen
Obrigkeit überlassen musste, die natürlich dem römischen und nicht dem
talmudischem Recht folgte. (Gemäß Letzterem wäre Jesus nämlich „nur“
gesteinigt worden, was speziell Mel Gibson bedauert hätte, dessen Film
dann erheblich an Länge eingebüßt haben würde.)
Schäfer
konstatiert, dass der Babylonische Talmud gleichwohl „darauf besteht,
daß Jesus nach rabbinischem Recht hingerichtet wurde (...), weil genau
hierin der Kern einer polemischen Gegenerzählung zu den Evangelien
liegt“. Der Talmudist argumentiere nämlich wie folgt: „Wir, die Juden,
haben ihn vor Gericht gebracht und für das verurteilt, was er war: ein
Gotteslästerer, der behauptete, Gott zu sein und nach unserem jüdischen
Recht dafür die Todesstrafe verdiente.“
Damit hole der Talmud
Jesus übrigens zurück ins jüdische Volk. Da das gesamte Personal der
Passionsgeschichte ohnehin aus Juden besteht, die römischen Besatzer
natürlich ausgenommen, ist es schwer möglich, die Akteure durch andere
Gruppen zu ersetzen. Die einzig relevante Frage ist, wer da hingerichtet
wurde: der Heiland der späteren Christen oder ein jüdischer Häretiker?
Oder, spätantik-präluhmannesk, beides zugleich?
„Was wir im
Bavli (Babylonischen Talmud – M.K.) vor uns haben, ist eine
eindrückliche Bestätigung der neutestamentlichen Passionsgeschichte,
jedoch eine kreative Neuinterpretation, die (...) selbstbewußt die
Verantwortung für Jesu Hinrichtung auf sich nimmt“, führt Schäfer aus.
„Wir akzeptieren – so der Talmud – die Verantwortung für den Tod dieses
Häretikers, aber es gibt keinen Grund für Scham oder Schuldgefühle. Wir
sind nicht die Mörder des Messias oder Gottessohnes, auch nicht des
Königs der Juden, wie es Pilatus gerne gehabt hätte. Wir sind vielmehr
die rechtmäßigen Vollstrecker des Urteils über einen Gotteslästerer und
Götzendiener.“ Und weiter: „Wenn diese Interpretation zutrifft, sind wir
hier mit einer Botschaft konfrontiert, die stolz und geradezu aggressiv
die Beschuldigung, die Juden seien die Mörder Jesu, pariert. Zum ersten
Mal in der Geschichte treffen wir Juden an, die, anstatt in die
Defensive zu gehen, ihre Stimme erheben und sich gegen das wehren, was
bald die ewig gültige Botschaft der triumphierenden Kirche werden
sollte.“
Ein spätes Echo dieses militanten jüdischen
theologischen Selbstbewusstseins stammt aus dem Jahr 1916. „Sie wissen
so gut wie ich“, schrieb der Philosoph Franz Rosenzweig („Der Stern der
Erlösung“) an Eugen Rosenstock-Huessy, „daß wir die weltüberwindende
Fiktion des christlichen Dogmas nicht mitmachen (...), gebildet
formuliert: daß wir die Grundlage der gegenwärtigen Kultur verleugnen
(...) und ungebildet formuliert: daß wir Christus gekreuzigt haben und
es, glauben sie mir, jederzeit wieder tun würden, wir allein auf der
weiten Welt.“
In diesen Zusammenhang gehört auch die bizarre
Story von Jesu Höllensturz und Bestrafung, sozusagen als jüdische
Gegengeschichte zu Christi Auferstehung und Himmelfahrt. Drei Erzfrevler
sitzen im biblischen Scheol: Titus, der Zerstörer des zweiten Tempels
und spätere Caesar, der falsche Prophet Bileam – und Jesus von Nazareth.
Titus gilt als der Judenfeinde Allerschlimmster, was er aus jüdischer
Sicht jahrhundertelang wohl auch gewesen ist, bis sich 1947/48 die
geheimen Pläne Gottes zu offenbaren begannen; seither besetzt er im
Heilsgeschehen eine Art Judas-Rolle als dramaturgisch notwendiger
Unhold. Zur Strafe für den Tempelfrevel schickte der erzürnte Jahwe
jedenfalls eine Mücke zu ihm, die durch seine Nase ins Gehirn eindrang
und sich sieben Jahre vom zuletzt kaiserlichen Cerebrum ernährte und
dabei erheblich an Wuchs zulegte. Bevor der Kaiser an diesem Parasiten
starb, bestimmte er, wie der Talmud berichtet, seine Strafe selbst:
„Verbrennt mich und zerstreut meine Asche über die sieben Weltmeere,
damit der Gott der Juden mich nicht findet und vor Gericht bringt.“
Dieser Vorgang wiederholt sich seither täglich.
Die Strafe Jesu
indes besteht darin, in kochendem Kot gegart zu werden (Bileam muss
dasselbe übrigens in kochendem Sperma über sich ergehen lassen). So
steht’s im Babylonischen Talmud, neben Petitessen wie jener, dass Maria
wohl eine Hure war, Jesus folglich ein Bastard.
Hui – dann ist
der Talmud wohl ziemlich antichristlich? Und wenn ja, ist diese
Feststellung nicht wiederum ziemlich antisemitisch? Für den modernen, in
der Regel historisch, philologisch und theologisch völlig ahnungslosen
Leser enthält die jüdische Tradition einiges an Zumutungen. Besonders
engagierte Zeitgenossen meinen deswegen wohl, es sei bereits
antisemitisch, sie zu zitieren. Auf der anderen Seite läuft einer Schar
verschwiemelter antisemitischer Juchtenkäfer bei solchen Zitaten der
weltverschwörerisch-welträtsellösungsverheißende Seim im Munde zusammen.
Beide Fraktionen mögen bitte davon ausgehen, dass mir egal ist, was Sie
so meinen und wähnen.
Tatsächlich handelt es sich bei den
Traditionstexten um Werke des schöpferischen Ressentiments. Das jüdische
Volk war ein Volk in permanenter Bedrängnis, und wenn es anno 722 und
587 v. Chr. sowie 70 und 135 n. Chr. bereits Wettbüros gegeben hätte,
die Quoten für denjenigen, der auf die dauerhafte Existenz oder gar
neuerliche Staatwerdung dieses Völkchens gesetzt hätte, wären traumhaft
gewesen. Trotzdem wollten sich diese Juden nicht den „Siegern der
Geschichte“ ringsum assimilieren, ob es sich nun um Ägypter, Assyrer,
Babylonier, Römer oder christliche Völker handelte. Da die anderen immer
die Stärkeren waren, führten nur Schleichwege zur Selbsterhaltung. Im
Ghetto blühte jahrhundertelang die Treue Israels, mitsamt der
Geldwirtschaft und der geradezu planmäßigen Erzeugung von Intelligenz.
Die Interpretation des christlichen Heilands als jüdischen Häretiker,
der keineswegs die Menschheit erlöst, sondern seine angemessene Strafe
erhält, war zunächst ein innerjüdischer Zwist, auf längere Sicht aber
ein Werk der geistig-theologischen Selbsterhaltung der Juden in einer
überwiegend christlichen Welt.
Sowohl das Neue Testament als
auch der Talmud berichten jedenfalls dasselbe über die Rolle „der Juden“
bei der Hinrichtung Jesu, wenn auch mit sehr verschiedenem
Zungenschlag. Was uns zurück zu Bach führt.
In beiden
Passionswerken hat der Thomaskantor den Text des neuen Testaments
vertont. (In keinem anderen Werk Bachs findet sich irgendein Bezug zum
Judentum.) Als er das tat, hatten die deutschen Juden die schlimmsten
Verfolgungen wegen ihrer Religion lange hinter sich. Dass sie dereinst
wegen ihrer Rasse verfolgt werden und auch die Annahme der Taufe keine
Rettung bedeuten würde, konnte damals wahrlich niemand ahnen. Braune
Flecken bei Bach: Wer derartiges unterstellt, dem müssen ganze
Mückenschwärme des Zeitgeistes ins Hirn gekrochen sein und vor allem
jene Stellen weggefressen haben, wo bei gesunden Menschen das
Schamgefühl sitzt.
„Es ist für mich befremdlich zu beobachten,
dass ausgerechnet Bach, dessen Musik von tiefstem Humanismus geprägt
ist, in den letzten Jahren als Gegenstand einer Scheindebatte ausgesucht
wurde. Solche Debatten sind Ausdruck eines in die Vergangenheit
gerichteten Pseudo-Widerstands, einer ‚retroaktiven Zivilcourage‘, die
die Gleichgültigkeit gegenüber den gegenwärtigen Formen des
Antisemitismus kaschieren soll. In der Tat ist es auf alle Fälle viel
weniger gefährlich, den konstruierten Antisemitismus von Bach zu
bekämpfen, als den ganz realen heutigen Antisemiten und Feinden Israels
entgegenzutreten“, erklärte der Pianist Jascha Nemtsov, Professor für
Geschichte der jüdischen Musik an der Hochschule für Musik in Weimar und
selber Jude, in einem Interview.
Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen.
3. September 2016Neben
den biologischen Eltern sollen bis zu zwei "soziale Eltern" die
"elterliche Mitverantwortung" erhalten, unabhängig von Trauscheinen. Das
„verlangen“ laut Pressemeldungen die grünen Bundestagsabgeordneten
Volker Beck und Katja Dörner, Experten für mancherlei und speziell in
Familienfragen ein Kompetenzteam, wie es kaum eine Partei zu bieten hat.
Über Becks Expertise im angemessenen Umgang mit Kindern muss hier kein
Wort verloren werden. Was Frau Dörner angeht, so war sie zwar kinder-
und familienpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion und sitzt heute
für die Grünen im Familienausschuss, aber eigene Kinder hat die
selbstlose inzwischen 40-Jährige keine. Stattdessen immerhin die Kater
„Lucky und Sparky“, wie sie auf ihrer Webseite verrät. Obendrein
„bevölkern ungezählte Frösche, Lurche und Fische unseren kleinen
Garten(teich)“. Im Hause lebt zudem noch ein Ehemann, mit dem sie sich
„auf dem Kicker im Wohnzimmer beinahe täglich Duelle“ liefert, in allen
Ehren natürlich und ohne die Kater- und Froschpflege zu vernachlässigen.
Wenn sie sich jetzt noch in den Gartenteich- und Haustierausschuss
ihrer Fraktion wählen ließe und sich dort für mehr Lurchbabys und
Laichgelegenheiten engagierte, ihr bliebe kaum mehr zum Kickern Zeit.
Geschweige denn für die Einmischung in das Familienleben der anderen. MK am 3. und 4. September 2016
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