Stationen

Mittwoch, 24. Januar 2018

Generation Savonarola knalldeutsch

Das folgende Gedicht "Avenidas", also "Alleen" des bolivianisch-schweizerischen Dichters Eugen Gomringer wird demnächst tatsächlich aus der Öffentlichkeit verschwinden:
avenidas
avenidas y flores
flores
flores y mujeres
avenidas
avenidas y mujeres
avenidas y flores y mujeres y
un admirador.
Auf Deutsch bedeutet das:
Alleen
Alleen und Blumen
Blumen
Blumen und Frauen
Alleen
Alleen und Frauen
Alleen und Blumen und Frauen und
ein Bewunderer
Sollten Sie sich beim Lesen fragen, warum diese Zeilen unbedingt von einer Hochschulfassade entfernt werden müssen, dann sind Sie offenbar nicht in der Lage, Diskriminierungen in der Sprache zu erkennen. Diese Lyrik ist sexistisch und frauenfeindlich.
Schon vor Monaten hatten eifrige Tugendwächter unter den Studenten der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin den Ungeist der hauseigenen Fassadeninschrift entlarvt. Doch zuerst wurden sie – wie so manch andere Tugendwächter auch – nicht ernst genug genommen. Der Dichter, Eugen Gomringer, war schließlich bekannt und über jeden Verdacht falscher Gesinnung erhaben. Das Deutsche PEN-Zentrum und der Kulturrat forderten den Erhalt der Lyrik an der Fassade und auch in der internationalen Kulturwelt sorgte der Fall für Aufsehen.
Es mag viele kopfschüttelnde Beobachter gegeben haben, die die Eiferer belächelten und darauf vertrauten, dass kunstsinnige Professoren und die doch sicher kulturbeflissene Leitung der Hochschule einen solch barbarischen Akt der Lyrik-Zensur nicht zulassen würden.
Doch offenbar wiegt die Angst schwerer, eventuell von Aktivisten als Sexist, als vorsätzlicher Saboteur an der politischen Korrektheit oder gar als Rechter gebrandmarkt und angeprangert zu werden. So muss man die Meldung wohl deuten, nach der der Akademische Senat mehrheitlich beschloss, das Gedicht zu entfernen. Nehmen wir also Abschied von Eugen Gomringers Zeilen.
Im Herbst wird dieses sexistische Gedicht durch hoffentlich ungefährliche Verse ersetzt. Sollte Ihnen die zensierte Lyrik gefallen haben, dann speichern Sie diese Zeilen am besten, denn wenn etwas erst einmal als „sexistisch“ gebrandmarkt ist, wird es vielleicht auch aus Büchern verschwinden, nicht mehr gedruckt und fällt möglicherweise irgendwann auch der Netzbereinigung zum Opfer.  meint Peter Grimm

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