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Samstag, 13. Januar 2018

Onore a questi prodi

Verdi war ein engagierter Patriot. Die grossen patriotischen Chorgesänge «Va, pensiero, sull'ali dorate» aus «Nabucco» (Uraufführung Mailand 1842), «O Signore, dal tetto natìo» aus «I Lombardi alla prima crociata» (Mailand 1843), «Si ridesti il Leon di Castiglia» aus der Verschwörerszene im III. Akt von «Ernani» (Venedig 1844), «Patria oppressa, o dolce nome» aus «Macbeth» (Florenz 1847) und Forestos Arie «Cara patria, già madre e reina» aus «Attila» (Venedig 1846) thematisieren den Verlust der Heimat, den Gedanken der Einheit und den Widerstand gegen Fremdherrschaft.
Unbestritten ist auch Verdis persönliche und aktive Teilhabe am Schicksal seines Vaterlandes. Sie zeigt sich in vielen seiner Briefe, vor allem in jenen der Revolutionsjahre, in seinem (regional-) politischen Engagement 1859 bis 1861, in seiner auf Anregung des Republikaners Giuseppe Mazzini 1848 geschriebenen patriotischen Hymne «Suona la tromba» und in seiner Reise von Paris nach Mailand, nachdem er von der Vertreibung der österreichischen Truppen aus der lombardischen Hauptstadt im März 1848 gehört hatte.
Der politische «Einfluss» und die patriotische Rezeption von Verdis frühen Opern, wie sie Folchetto Ende des 19. Jahrhunderts schildert, lassen sich anhand zeitgenössischer Quellen hingegen nicht belegen. Tatsächlich sprechen der Misserfolg der «Lombardi» bei der Erstaufführung in Venedig (Dezember 1843) und die 57 Reprisen von «Nabucco» allein im Jahr 1842 - eine in der Geschichte der Scala bisher unübertroffene Aufführungszahl einer Oper - eher dafür, dass diese Opern keinen aussergewöhnlichen patriotischen Enthusiasmus beim Publikum auslösten («Lombardi») bzw. von den zuständigen österreichischen Behörden keineswegs als politisch besonders gefährlich angesehen wurden («Nabucco»).
Erst in der unmittelbaren vorrevolutionären Phase 1846 bis 1848 - in der Zeit der liberalen Reformen des neuen Papstes Pius IX. (seit Juni 1846) und der zunehmenden Politisierung der italienischen Öffentlichkeit - wurde das Theater vermehrt zum Schauplatz politischer Demonstrationen. Patriotisch im Sinne des Risorgimento wurde unter Verdis Opern in dieser Zeit einzig der Chor aus «Macbeth» rezipiert (Dezember 1847, Venedig). Aufführungen seiner Opern «Ernani» (1846/47, Rom und Bologna) und «Attila» (Januar 1848, Neapel) boten dagegen Anlass zu Huldigungen für den jeweiligen Herrscher: einerseits für den Papst und seinen liberalen Reformkurs und andererseits für den neapolitanischen König, der kurz zuvor für das Königreich beider Sizilien eine Verfassung verkündet hatte.
Unter den zahlreichen patriotischen Kundgebungen, die in den Revolutionsjahren 1848/49 und 1859/60 vielfach spontan und als Reaktion auf politische Tagesereignisse während Ballettaufführungen, Theater- und Opernvorstellungen stattfanden, spielten Verdis Opern keine besondere Rolle. Um einige Beispiele zu nennen: 1848 verliefen Vorstellungen von «Attila» in Rom sowie von «Macbeth» und «Nabucco» in Neapel ohne nennenswerte Vorkommnisse. Die «Lombardi» wurden Mitte 1848 in Bologna und Ende 1859 in Rom durch andere Stücke ersetzt. In Mailand hatten bis zur Rückeroberung durch die Österreicher (August 1848) weder die kurzzeitig von österreichischer Zensur befreite Theaterpresse noch die Öffentlichkeit besonderes Interesse an Verdis Musik. Offensichtlich als politisch unbedenklich eingestuft, wurden «Ernani, «Attila» und «Nabucco» (1848/49) von den zurückgekehrten Österreichern für Aufführungen an der Mailänder Scala freigegeben.
Selbst in Wien, der Hauptstadt der Habsburger Monarchie, standen 1849 «Ernani», «Nabucco» und erstmals auch «Macbeth» auf dem Spielplan. Die Monate vor dem Krieg gegen Österreich 1859 ergeben ein ähnliches Bild: keine Kundgebungen bei Aufführungen von Verdis Opern «Simon Boccanegra» (Mailand), «Il trovatore» (Florenz) und «La battaglia di Legnano» (Turin), sehr wohl dagegen bei Bellinis «Norma» (Mailand und Venedig), Meyerbeers «Il Profeta» (Venedig) und Aubers «La muetta di Portici» (Florenz). Aus all dem lässt sich folgern, dass die patriotische Rezeption von Verdis Musik in den Jahren bis 1859 ein Mythos ist, den Folchetto erstmals in Buchform präsentierte und den nachfolgende Verdi-Biographen bereitwillig tradierten und weiter ausschmückten.

«VIVA V.E.R.D.I.»

Wie aber ist Verdi dennoch zu einer zentralen Figur in der Geschichte des italienischen Nationalstaates geworden? Bei dieser Frage hat man sich die damalige geschichtliche Situation zu vergegenwärtigen. Das noch junge Königreich, 1861 offiziell proklamiert und damit erstmals seit Jahrhunderten frei von spanischer, französischer und österreichischer Fremdherrschaft, konnte auf keine historischen Vorläufer zurückblicken. Die nationalstaatliche Identität musste zwangsläufig «konstruiert» werden, sei es durch nationale Helden, Mythen oder Legenden.
Um 1859/60 erfreute sich in Gelehrtenkreisen besonders Dante grösster Beliebtheit. In einem Wissenschaftsdiskurs, der weitestgehend unter nationalen Vorzeichen stand, wurde der Florentiner Dichter kurzerhand zum «Propheten» und «Künder» der Einheit Italiens erklärt. Die Dante- Feier 1865 in Florenz im Gedenken an seinen 600. Geburtstag gestaltete sich so zu einer politischen Veranstaltung ganz im Sinne des monarchischen Risorgimento.
Verdi dagegen kam die Rolle des volkstümlichen nationalen Helden zu. Im Winter 1858/59, in der Zeit der aufgeheizten Stimmung vor dem Waffengang mit Österreich im Frühjahr 1859, entdeckten findige italienische Patrioten die politische Deutbarkeit von Verdis Namen: V.E.R.D.I. - das stand für «Vittorio Emanuele Re D'Italia» und das wiederum für Befreiung von österreichischer Fremdherrschaft in Norditalien und ein geeintes Italien unter Führung des piemontesischen Königs.
Laut Folchetto waren in ganz Italien Mauern und Wände mit der Inschrift «Viva V.E.R.D.I.» bedeckt. Folchettos recht allgemeine Aussage, wie jene zur patriotischen Rezeption von Verdis frühen Opern ebenfalls ohne nähere Quellenangaben, bot bis heute Generationen von Verdi-Forschern genügend Freiraum für Spekulationen über die Herkunft des Akrostichons V.E.R.D.I.: Julian Budden zum Beispiel nennt das Jahr 1858 und Neapel, Charles Osborne Rom und die Uraufführung von «Un ballo in maschera» im Teatro Apollo am 17. Februar 1859. Birgit Pauls dagegen sieht in dem Akrostichon einen wesentlichen Aspekt der späteren retrospektiven Mythenbildung des Königreiches Italien.
Anhand neuester Quellenforschungen lässt sich nun Näheres über den Ursprung des Akrostichons und seine Bedeutung für die Herausbildung des politischen Verdi-Mythos sagen. Mehrere Zeitungen aus dem Königreich Piemont-Sardinien, dem einzigen Staat Italiens, in dem seinerzeit Pressefreiheit herrschte, berichten im Dezember 1858 und Januar 1859 von seinem Gebrauch. In Florenz begrüssten sich italienische Patrioten auf den Strassen mit «Viva Verdi», in Modena und Mailand schmierten Jugendliche Graffiti mit Verdis Namen auf Mauern und Wände. Weitere Artikel in der «Neuen Preussischen Zeitung» (Berlin) und der «Allgemeinen Zeitung» (Augsburg), dort unter anderem ein Bericht des preussischen Diplomaten und Historikers Alfred von Reumont aus Rom, belegen die Bekanntheit des Akrostichons über Norditalien hinaus.
Die in der Verdi-Literatur häufig anzutreffende Behauptung, bei der Uraufführung von «Un ballo in maschera» sei es zu patriotischen Kundgebungen gekommen, widerlegt eine römische Korrespondenz der Turiner «L'Opinione» vom 24. Februar 1859, die von umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen der römischen Polizei vor der Aufführung berichtet: «Aus Furcht vor Demonstrationen für Verdi, wie sie in Mailand stattgefunden hatten, ergriff sie solche Massnahmen, als handelte es sich um die Verhinderung eines Aufstandes. Carabinieri auf den Strassen und verkleidete Agenten im Parkett sorgten dafür, dass ja kein Evviva auf Verdi zu hören war.»
So ist Verdi schon 1859/60 und nicht erst Ende des 19. Jahrhunderts, wie von Birgit Pauls angenommen, ein italienischer Nationalheld. Beredtes Beispiel hierfür sind die Ovationen der Turiner Bevölkerung und die panegyrisch-patriotischen Artikel der italienischen Presse anlässlich von Verdis Auftritt als Deputierter des Herzogtums Parma in Turin im September 1859. Bereits hier wird der Komponist in der historischen Rückschau als «genio musicale» gerühmt, das instinktiv die Gefühle von «patria» und «libertà» in Töne gesetzt und in seinen frühen Opern «Nabucco» und «I Lombardi» die Einigung Italiens gewissermassen musikalisch vorweggenommen habe.
Die auffällige Rezeptionslücke in den 1860er Jahren lässt sich wohl mit seinen Auslandsarbeiten erklären. Erst das Requiem, 1874 im Gedenken an den ersten Todestag des grossen italienischen Schriftstellers Alessandro Manzoni komponiert, sollte den Patrioten Verdi wieder nachhaltig ins Gedächtnis rufen. Folchettos nur wenige Jahre später erschienene Verdi-Biographie (1881) stellt dann den rezeptionsgeschichtlich bedeutsamen Ausgangspunkt dar für die Verbreitung eines politischen Verdi-Bildes, das noch heute im kollektiven Bewusstsein Italiens präsent ist.  NZZ

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