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Mittwoch, 10. Januar 2018

Optische Enttäuschung

Kaum ein Tag vergeht, an welchem wir nicht in der Wahrheits- und Qualitätspresse mit neuen Ungeheuerlichkeiten über den Sexismus weißer Männer konfrontiert werden. Unter einem mit der Überschrift "Salma Hayek über Harvey Weinstein: 'Er war mein Monster'" betitelten Artikel – die Schauspielerin ist dort in einer dezidiert antisexistischen Pose abgebildet – hat Spiegel online diesen reizenden Pranger eingerichtet, wo sich der Leser durch die Belästigungs-Delinquenten aus dem überseeischen Showbiz und der amerikanischen Politik klicken kann, beginnend mit dem Schauspieler Ben Affleck, der vor 14 Jahren einer MTV-Moderatorin an die Brust gefasst und sich dafür entschuldigt hat – "Konsequenzen: keine bekannt" (Sex-Verbrechen verjähren nie!). Die Rubrik "Konsequenzen" ist hochinteressant, denn was viele Vorfälle eint, ist die Tatsache, dass sie welche hatten; in der Regel verlor der Beschuldigte seinen Job, und zwar ohne Beweisaufnahme oder Gerichtsurteil, nur aufgrund von Vorwürfen. Für die Zukunft weiblicher Karrieren ist das eine gute Nachricht. Job nicht bekommen? Ich bin belästigt worden! Rolle bekommen? Ja, aber erst nachdem ich belästigt worden bin! Kennen Sie den Witz, wo einer Blondine am Bankschalter mitgeteilt wird, dass ihre Kreditkarte nicht gedeckt sei? "Hilfe, ich bin vergewaltigt worden!" Sogar den alten George W. Bush haben sie dort gelistet, der heute 93jährige soll irgendwann, wahrscheinlich gab es damals die Sowjetunion noch, Frauen begrapscht haben. Also beim Führer gab es so etwas nicht!

Wissen Sie übrigens, was "wohlwollender Sexismus" ist? Bei der Zeit erfährt man’s: "Ich bekam zum Beispiel schon oft zu hören, dass Frauen doch so viel diplomatischer als Männer seien. Oder dass bei Umräumarbeiten im Büro ausschließlich Männer gebeten werden, Tische zu verrücken." Hier ist gut zusammengefasst, dass direkt nach der Biologie die Manieren für den Sexismus verantwortlich sind; deswegen ist es dem eigenen Vorankommen z.B. an der Universität förderlich, keine zu haben (und deswegen gibt es wahrscheinlich auch kaum Sexismus unter minderjährigen unbegeleiteten "Flüchtlingen" jedweden Alters).

Wer jetzt nach einer exakten Definition von Sexismus verlangt, ist wahrscheinlich männlich, will Frauen mit seinem Herrschaftsanspruch auf vermeintlich logische Argumentation demütigen und die Dunkelziffer leugnen. Aber wir haben ja die Fachpresse und das Fachpersonal für solche Fragen! Im Zeit-Interview gibt die Sozialpsychologin Charlotte Diehl – ausweislich ihres beigefügten Konterfeis übrigens eine aparte Person, was im neuen Gewerbe der Belästigungs-Detektorinnen ja eher ungewöhnlich und deshalb aus sexistischer Sicht festhaltenswert ist – Auskunft: "Sexismus heißt, Sie reduzieren eine Person auf ihr Geschlecht". Was ich nie getan habe oder tun würde, ich habe z.B. beim Mauseln, auch wenn es hektisch wurde, stets gedacht: Vergiss nicht, sie ist Lehrerin, Journalistin, Theologin, IT-Spezialistin, Grafikerin, Musikerin, Köchin, Ehefrau, die ist sogar promoviert (kaum zu glauben bei diesem Anblick!). Trotzdem will ich, sozialpsychologisch unterstützt, die These wagen, die ich einst keck Alice Schwarzer entgegenschleuderte: Sex ist sexistisch! Gerade wenn er gut wird! Ohne Sexismus stürbe die Menschheit aus. Aber womöglich bin ich zu pingelig. 

Unsere Sozialpsychologin hat übrigens auch promoviert, nämlich an der Universität Bielefeld zum Thema, na was schon?, sexuelle Belästigung. Momentan arbeitet sie an einem Handbuch "Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz", das sich "speziell an Personalverantwortliche" richtet. Lauschen wir ihr also, denn sie verkündet die Zukunft: 

"Laut dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz handelt es sich bei jedem unerwünschten sexuellen Verhalten, das die Würde einer Person verletzt, um sexuelle Belästigung. Das können Berührungen und Blicke sein, aber auch Worte."

Blicke? Blicke! Die Kollegin trägt ihre Brüste auffällig zur Schau, der Mann muss hinschauen – erwischt! Abmahnung! Oder sie zeigt gar nichts zum Hingucken, und er schaut auch nirgendwo hin. Betriebsfriedensziel erreicht. Wenn er Pech hat, behauptet sie trotzdem: "Kollege K. hat mir auf die Brust geschaut!" "Aber Frau Prantl-Eckardt, Sie haben doch gar keine!" Zack, der Chef ist auch mit dran!

"Sexismus entsteht oft, weil Männer Angst haben, ihre Aufstiegschancen mit Frauen teilen zu müssen. Und er ist ein Werkzeug, mit dem sie ihre Macht sichern können – weil sie ihr Gegenüber auf diese Weise einschüchtern. Es kann aber auch vorkommen, dass dem Kollegen tatsächlich nicht bewusst ist, dass sein Spruch gerade nicht in Ordnung war. Sexistische Verhaltensmuster sind oft auch unbewusst."

Frauen können inzwischen Macht erlangen mit der Unterstellung, Männer versuchten, ihre Macht mit sexistischem Verhalten zu sichern. Ich will hier keineswegs all den Tölpeln und plumpen Heinis ein Fest machen, die nicht wissen, wie sie eine Frau anzusprechen haben. Ich habe einige davon kennenlernen müssen, in den verschiedensten sozialen Mileus übrigens, und wahrscheinlich war ich dann und wann selber einer. Aber ich habe nie erlebt, dass die Frauen sich nicht dagegen zu wehren wussten, und in der Regel steht der Kerl dann als der Trottel da, der er offenbar ist. Es ist ja keineswegs so, dass sich "die Männer" gegen "die Frauen" zusammenschließen, auch in der Werkstatt nicht, sondern sie konkurrieren um deren Gunst. Mit einem treffenden Satz Martin van Crevelds: "Für jeden Mann, der jemals eine Frau unterdrückt hat, steht ein anderer bereit, sie zu befreien." Was wir gerade erleben, ist tatsächlich ein Machtkampf, einige engagierte Schwestern haben eine ideale Möglichkeit entdeckt, an die Jobs der Männer zu kommen, nämlich die Denunziation. Dieser Weg ist insofern ideal, als die Vorwürfe ja auch gelegentlich stimmen – die Kriterien für sexuelle Belästigung ("Worte", "Blicke") sind in den vergangenen Jahren dermaßen geändert worden, dass ich nicht "oft" schreiben mag; es ist wie das immer stärkere Absenken von Grenzwerten bei angeblichen oder tatsächlichen Umweltgiften. Wer nach oben will, musste zu allen Zeiten einiges aushalten, aber auch hier wollen einige mittelhochbegabte Mädels künftig den roten Teppich ausgerollt bekommen. Ich wünsche viel Glück. 

Merke: Wer einer Frau ein Kompliment macht oder ihr auch nur an der Tür den Vortritt lässt, reduziert sie auf ihr Geschlecht und ist also ein Sexist. Frauen sind dazu geschaffen worden, vom Mast der "Gorch Fock" zu fallen.


                                ***


Zum Vorigen und zu dessen Illustration, ja Illumination noch eine Anekdote, die ich bereits am 27. Januar 2013 an dieser Stelle zum Besten gab: Hannah Arendt berichtete, dass ein junger Mann, dessen Namen sie diskret für sich behielt, in einem Pariser Hotelzimmer über sie hergefallen sei – wir sind in den späten 30ern, das Patriarchat herrschte und wütete außer von der Sitte noch durch nichts eingeschränkt –, wild an ihrer Kleidung gezerrt habe und all die schlimmen Dinge mit ihr vorzuhaben schien, die heute wahrscheinlich immer noch nicht dazu führen würden, dass eine wie sie sich bei #metoo zu Wort melden würde. Im Gegenteil, erzählte die vormalige Heideggerkopfverdreherin, sie habe den unwillkommenen Liebhaber zunächst "mit schallendem Gelächter" und, nachdem das nicht half, "mit ein paar Ohrfeigen" zur Besinnung gebracht. Freilich verzichtete sie darauf, die Sache an die große Glocke zu hängen, wahrscheinlich weil sie sich um ihre Karriere viel zu wenige Sorgen zu machen brauchte. Stattdessen kommentierte sie den Vorfall Jahre später mit den biologistischen, sexistischen, frauen-, schwulen-, transgender- und lesbenfeindlichen weisen Worten: "Männer können nur so. Müssen sie vielleicht auch! Oder die Frauen glauben ihnen nicht."     MK am 14. 12. 2017



Mehrere Leser haben mir zum gestern traktierten Thema der sexuellen Belästigung geschrieben. Ich erlaube mir, zwei Zuschriften zu zitieren.

"Ich bin eine Frau (geschminkt, gepflegt angezogen, nur etwas sexier wenn in angenehmer Begleitung oder 'auf Jagd'. Studiert). Was die Sexismus-Debatte betrifft, habe ich so meine eigenen Erfahrungen an männlichen und auch lesbischen Grapschereien. Ja, die gibt es. Eindeutig. Vor allem durch ältere Exemplare. Die können wohl durch ihre natürliche Attraktivität und Ledigkeit (!) nicht mehr punkten und benutzen Macht, Geld, Einfluss, um auch mal 'ran zu dürfen'. Anders schaffen sie's nicht mehr. Oft auch über Alkohol und übertriebenen Charme.

Über einen Kuss auf die Lippen, eine Hand auf dem Schenkel oder Po, würde ich persönlich keinen Herrje machen. Aber es gibt sie: die Rechtsanwälte, Psychologen, Ärzte, Makler, Vermieter, Schriftsteller, Hochschuldozenten etc., die plötzlich 'aufdringlich' werden. Ich habe in drei europäischen Ländern gelebt, von kalt nach warm – immer sind es diese älteren Exemplare. Ja, der alte Mann hat es nicht leicht. Soll er oder soll er nicht? Grapschereien junger Männer gehen noch als Versuche der Sturm und Drang-Zeit durch. Werden auch schneller honoriert. Oder kassieren die Abfuhr. Weil sie mehr Auswahl haben.

Früher habe ich auch in Situationen vertraut, in die ich mich heute nicht mehr bringen würde. Nur – von einem älteren Mann erwarte ich mehr 'Fahrt auf Sicht'... Und als Frau ist es auch nicht einfach. Soll ich das noch zulassen, oder geht das doch zu weit? Beide Geschlechter machen 'shittests'. Ich habe davon mittlerweile gelernt. Und erkenne die Signale. Gehe nicht mehr irgendwohin mit, glaube keinen Versprechen mehr. Und dosiere mich selbst auch.

Aber Sie wissen als Mann nicht, wie es sich als Frau anfühlt, immer Angst haben zu müssen, vergewaltigt zu werden."


Ganz kurz fasst sich Leserin ***: "Ich kann die souveräne Barbara Schöneberger nur aus dem Gedächtnis zitieren: 'Selbstverständlich freue ich mich über Komplimente über mein Dekolleté. Sonst würde ich ja nur auf meine inneren Werte reduziert.' Sehe ich als ehemalige Schönheit genauso wie meine Blickfang-Tochter."  MK am 15. 12. 17

Gott sei Dank gibt es auch Frauen wie Marina Ripa di Meana und Catherine Deneuve.

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