Vor einer reichlichen Woche traf ich Seyran
Ates in ihrer Ibn Ruschd-Goethe-Moschee in Berlin. Um die Anwältin herum
gruppierten sich drei Personenschützer des Berliner
Landeskriminalamtes. Eine Frau, die in der sehr kleinen Moschee predigt –
ihr Raum hat nur die Größe einer mittleren Wohnung – führt in weiten
Teilen der islamischen Welt zu einer Besessenheit.
Von der Universität Kairo, der höchsten Rechtsinstanz der Umma, erging
eine Fatwa, die feststellt, dieser Raum in Moabit sei keine Moschee. Die
türkische Religionsbehörde Diyanet verbreitete, Ates sei Anhängerin der
Gülen-Bewegung. Seit sie das Land Berlin gegen eine Klägerin vertrat,
die als Lehramtsanwärterin das Recht durchsetzen wollte, mit Kopftuch
unterrichten zu dürfen, und alle vier Verfahren gewann, sagt sie, habe
der Hass gegen sie in Berlin noch einmal zugenommen.
Ates lebt
mittlerweile über dreißig Jahre lang unter Dauerbewachung. Ihr
polizeilicher Schutzstatus entspricht dem der Bundeskanzlerin. Im Jahr
1984 hatte ein Mitglied der „Grauen Wölfe“ auf die Anwältin geschossen.
Sie überlebte das Attentat knapp.
Davon, dass der Personenschutz
der Kanzlerin tatsächlich mit dem gleichen Aufwand wie bei Ates
betrieben wird, konnte ich mich in der vergangenen Woche an der
Brottheke der Galleries Lafayette überzeugen. Links neben mir tauchte
Merkel in Schwarz mit dunkler Perlenkette auf. Drei verkabelte Herren
bildeten ein Dreieck um die Frau. Eine Begegnung beim
Freitagabendeinkauf gibt einen schlechten Rahmen für eine Konversation
ab, aber wenn ich sie nach etwas hätte fragen wollen, dann nach ihrem
Händedruck mit Cemal Cetin auf dem Nato-Gipfel von Brüssel in der
vergangenen Woche. Cemal Cetin, der zur Delegation von Präsident Erdogan
gehörte, sitzt der Partei MHP vor. Daneben leitet er die europäischen
Ableger der „Grauen Wölfe“, der Organisation, die damals den Attentäter
zu Ates geschickt hatte. Zu den Grauen Wölfen gehörte auch Mehmet Ali
Agca, der 1981 versuchte, den Papst zu erschießen, und den Chefredakteur
einer türkischen Zeitung getötet hatte. Nach offiziellen Quellen
früherer türkischer Regierungen werden den „Grauen Wölfen allein
zwischen 1974 und 1980 insgesamt 694 Morde zugerechnet.
Über die
Organisation teilte die Bundesregierung in der Antwort auf eine kleine
Anfrage am 3. Juli 2015 mit (Drucksache 18/5466):
„Das
Spektrum der „inneren“ und „äußeren“ Feinde reicht dabei von den
Kurden, Griechen und Armeniern bis zu den Juden, von den Europäern über
die Chinesen bis zu den USA und dem Vatikan. Je nach aktueller
politischer Lage wird ein Feindbild besonders in den Fokus genommen.
Diese Überhöhung der eigenen Ethnie bei gleichzeitiger Herabsetzung
anderer Ethnien widerspricht der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland“.
Ein
Foto von der Begegnung der Bundeskanzlerin mit dem Repräsentanten einer
Organisation mit langer Mordgeschichte verbreitete die „Almanya Türk
Federasyon“ auf ihrer Facebook-Seite.
Auf Anfrage sagte der Regierungssprecher, über den Inhalt des Gesprächs zwischen Merkel und Cetin werde er nichts mitteilen.
Zu
den so genannten Islamgipfeln wird Seyran Ates schon seit mehreren
Jahren nicht mehr eingeladen. Sie wurde auch nicht zu der
Gedenkveranstaltung für die Opfer des Weihnachtsattentats vom
Breitscheidplatz gebeten. Das Land Berlin und die Humboldt-Universität
planen die Gründung eines Islam-Zentrums an der Hochschule; die drei
islamischen Verbände im Beirat – unter anderem der Zentralrat der
Muslime – sprachen sich gegen eine Mitgliedschaft der Moscheegründerin
aus. Das Land Berlin gesteht den Verbänden ein Vetorecht zu.
Welche
Reden und Verlautbarungen auch immer, nirgends findet sich bei Merkel
irgendeine Auseinandersetzung mit dem politischen Islam, die über
sparsamste Kommentare nach Anschlägen hinausgehen würde.
Ein
Grüppchen junger arabischer Männer im Park Sanssouci biegt plaudernd in
das Rondell am Fuß der Freitreppe vor dem Schloss ein. Keiner von ihnen
widmet den Marmorfiguren Aufmerksamkeit, sie laufen wie durch eine
Fußgängerzone, den Blick geradeaus. Vor der Freitreppe bleiben sie
stehen, um sich dort gegenseitig zu fotografieren. Ihre symmetrische
Achse erkennen sie offenbar als geeigneten Hintergrund. Am Parkeingang
noch eine Gruppe junger Araber. Drei von ihnen klettern über eine
Absperrung und stellen sich auf ein Parkbeet, um sich dort von einem
vierten fotografieren zu lassen.
Vor einigen Wochen gab es in
Berlin-Gesundbrunnen einen Polizeieinsatz an einer überwiegend von
türkisch- und arabischstämmigen Kindern besuchten Schule: ein Anrufer
wollte einen Bewaffneten an der Schule gesehen haben, die Beamten
räumten vorsichtshalber das Gebäude (später stellte sich der Alarm als
falsch heraus). Etliche Kinder hatten ihren Eltern mit ihrem
Mobiltelefonen etwas über die unübersichtliche Situation erzählt, sehr
viele der Erwachsenen liefen an diesem Mittag zur Schule. Die
zusätzliche Aufregung, um die es hier geht, entstand, weil es der
Polizei nicht gelang, die Eltern zu beruhigen. Die Beamten teilten ihnen
mit, ihre Kinder seien in Sicherheit, und baten sie, hinter einer
provisorischen Absperrung zu bleiben. Aber selbst diese einfachen Sätze
verstanden die meisten nicht. Am Tag darauf zitierten mehrere Berliner
Zeitungen Klagen der Eltern: die Berliner Polizei habe keine türkisch- und arabischsprechenden Beamten zu dem Einsatz geschickt, das sei ein schweres Versäumnis.
Ihr
aus Palästina stammender Vater, sagte die Berliner Staatssekretärin für
internationale Angelegenheiten Sawsan Chebli, habe dreißig Jahre in
Deutschland gelebt und auch zum Schluss kaum Deutsch gesprochen.
Trotzdem, meinte sie, sei er gut integriert gewesen.
Wie dicht
muss eine Schicht sein, die bei vielen in Jahren und manchmal
Jahrzehnten kaum einen Satz aus der Sprache des besiedelten Landes
durchlässt, geschweige denn mehr?
Natürlich trifft das bei weitem
nicht auf alle Einwanderer aus muslimischen Ländern zu. Seyran Ates, der
Autor Hamad Abdel-Samad, der Filmautor Imad Karim und viele andere
sind Deutsche geworden, Demokraten sowieso. Auch Abdel-Samad brauchte
für einige seiner Lesungen Polizeischutz.
Als Imad Karim kürzlich
als Sachverständiger zu einer Bundestagsanhörung über gewaltbereiten
Islamismus und Radikalisierung redete, sagte der Abgeordnete der Grünen
Konstantin von Notz am Ende der Ausführungen: „Anekdotische Evidenzen sind hier nicht gefragt“.
Karim hatte im wesentlichen ausgeführt: im Arabischen gebe es den
Begriff Islamismus als Unterscheidung von islamisch nicht; die
allermeisten Araber wüssten auch gar nicht, was er besagen solle. Der
Terminus “Islamismus” sei eine westliche Prägung.
Das Holländische Viertel in Potsdam ist ein auch heute noch sehr vorzeigbares ehemaliges Migrantenquartier.
Das Deutsche Historische Museum zeigt die Ausstellung „Europa und das Meer“.
Die Schau ist exzellent zusammengestellt, allein wegen der frühen
Weltkarten, der Seekarten und der nautischen Geräte, der Schiffsmodelle
und dem Diorama, das Werft und Gebäude der Ostindischen
Handelskompaniegebäude in Amsterdam zeigt, lohnt sich der Besuch. Der
Sklavenhandel der Europäer nimmt einen großen Teil der Ausstellung ein.
Völlig ausgespart wird dagegen der zeitgleiche arabische Sklavenexport
aus Afrika. Er überstieg in seinen Ausmaßen den europäischen, aber auch
in der Grausamkeit seiner Praxis: in arabischen Länder wurden die
schwarzen Sklaven kastriert, damit sie keine Nachkommen zeugen konnten.
Man könnte einwenden, die Ausstellung habe ja Europa zum Thema. Aber
immerhin wird das ehemalige südafrikanische Königreich Monomotapa
(afrikanisch: Mutapa) erwähnt, das seinen Reichtum mit Gold- und
Sklavenhandel erwarb. Weder Europäer und Araber nahmen ihre menschliche
Ware üblicherweise selbst gefangen. Sie bedienten sich teilweise der
gleichen Lieferanten.
Mit Europa wären allerdings zwingend die
Beutefahrten muslimischer Trupps aus Nordafrika verbunden gewesen, die
jahrhundertelang Küstenstädte Italiens und Frankreichs heimsuchten und
Europäer als Sklaven entführten, von denen nicht alle, aber viele auf
osmanischen Kriegsgaleeren landeten. Die Leerstelle ist bemerkenswert,
da die Seeschlacht von Lepanto ausführlich erwähnt wird, allerdings
nicht mit dem Detail, wer die osmanischen Kriegsgaleeren ruderte. Der
Historiker Egon Flaig hatte in seiner Weltgeschichte der Sklaverei die muslimische Sklaventradition ausführlich beschrieben. Seitdem gilt er allen Linken, die sich zu ihm äußern, als „neu-rechts“.
Flaig
weist immer wieder darauf hin, dass Sklaverei in der Geschichte weit
verbreitet gewesen sei – aber nur der Westen den Abolitionismus und eine
Schulddebatte hervorgebracht habe. Übrigens, sagt Flaig, gebe es auch
nur im Westen ein tatsächliches Interesse an anderen Kulturen.
Ethnologische Museen und überhaupt die Ethnologie seien westliche
Erfindungen.
Das Problem besteht gar nicht in dem selbstverletzenden Schuldbegriff
des Westens. Sondern in dem Umstand, dass dieser Begriff ausschließlich
im Westen existiert. Wendt
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