Donald Trump rockt auch die Nato. Das kameradschaftliche
Schulterklopfen und die wortreichen Freundschaftsbekundungen sind
Vergangenheit. Mit dem smarten Lächler Obama und selbst mit dem
breitbeinigen Texaner Bush konnten die Europäer noch leicht über die
Weltläufe parlieren. Vor Trump haben sie Angst. Der Mann ist
unberechenbar und immer für eine Überraschung gut.
Diese Erwartung hat er auch in Brüssel beim Nato-Gipfel erfüllt,
indem er schlicht ein Zeitlimit setzte für die alte Forderung, die
Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttosozialprodukts zu
erhöhen. Tags zuvor gab es beim Frühstück in der amerikanischen
Botschaft zu frisch gepresstem Orangensaft und hart gekochten Eiern noch
eine Breitseite gegen Angela Merkel.
Deutschland sei zu siebzig Prozent von russischen Energielieferungen
abhängig. Die Pipeline durch die Ostsee erhöhe diese Abhängigkeit noch.
Washington wolle nicht mit amerikanischen Steuergeldern eine Sicherheit
Deutschlands gegenüber Moskau garantieren, die Berlin dann nutze, um mit
Russland Geschäfte zu machen. Immerhin gab es am zweiten Tag dann doch
noch eine gemeinsame Erklärung und alle beteuerten ihre Treue und
Partnerschaft.
Abgesehen davon, daß die Energie-Abhängigkeit Deutschlands von Russland
eher bei zehn als bei siebzig Prozent liegt, und daß amerikanische
Firmen auch in Europa und Russland gute Geschäfte machen, und daß ferner
die Bedrohungslage für die europäischen Nachbarn Russlands eine andere
ist als für den Inselkontinent Amerika, ist nicht länger zu verbergen,
daß der Graben zwischen den Europäern und Amerika sich in den letzten
zehn Jahren weiter vertieft hat – durch Nichtstun. Und das vor allem auf
europäischer Seite.
Es ist für den Farmer in Ohio nicht nachvollziehbar, daß sein Sohn in
Nahost oder in der Ukraine westliche Interessen verteidigt, während die
Deutschen zweistellige Milliardenbeträge für Wirtschaftsmigranten
ausgeben. Die Rechnung mag allzu simpel sein, dem Farmer und Wähler
Trumps leuchtet sie ein. Und diese Wähler fragen sich auch, warum Europa
im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen so wenig für seine
Verteidigung ausgibt, wo doch Geld im Überfluss vorhanden ist.
1,2 Prozent des BIP macht Deutschlands Wehretat aus, dagegen stehen
3,5 Prozent in Amerika. Das Pentagon verfügt über anderthalb mal so viel
Geld wie der gesamte Bundesetat. Kaum etwas zeigt so deutlich, wie sehr
die rotgrüne und dann die de facto grün-rot-schwarze Politik der
letzten zwanzig Jahre dieses Land geschwächt hat.
Die Friedensdividende, die sich aus dem Ende des Ost-West-Konflikts
ergeben haben soll, wurde nicht in die Modernisierung der Armee
investiert oder in gemeinsame, strategische Sicherheitsprojekte. Längst
hätten die Europäer sich in der Rüstungsindustrie mal auf ein paar
Standards einigen und dadurch viel Geld sparen können. Geld, das man in
die Wartung und den Aufbau einer wirklich abschreckenden internationalen
Einsatztruppe mit modernster militärischer Ausrüstung oder auch in die
Erforschung neuer Waffensysteme hätte investieren können.
Aber waffentechnisch können die Europäer den Amerikanern nicht das
Wasser reichen. Und im terroristischen Krieg liegen die Einschätzungen
immer noch weit auseinander. Politiker in Europa – vor allem
multikulturell begeisterte und vom alten Orient faszinierte – halten die
islamistische Gefahr für leicht beherrschbar, so als wäre die Welt ein
großer Karl-May-Film und der Held ein Europäer.
Der militärischen Nach- und der politischen Fahrlässigkeit auf
europäischer Seite entspricht ein hegemonistisches Denken auf der
amerikanischen. Das war schon immer so, Trump spricht es jetzt nur
undiplomatisch aus. Man könnte achselzuckend über solche Gipfel
hinweggehen, sie sind aber Symptome eines Auseinanderdriftens. Das
schwächt den Westen insgesamt.
Die Unwucht der militärischen Belastungen und die politische
Divergenz verzerrt und verbiegt die Statik im Bündnis. Das ist nicht nur
ein Problem Trump. Trump artikuliert es nur auf unübliche Weise. Statt
sich arrogant über den Präsidenten der führenden Macht im Westen zu
mokieren und nostalgisch die alten linksliberalen kameradschaftlichen
Zeiten zurückzusehnen, sollten die Europäer lieber darüber nachdenken,
wie sie den Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte begegnen könnten.
Trump hat recht, wenn er ein stärkeres militärisches Engagement
verlangt. Das müssen nicht gleich die vier Prozent sein, aber eine
Sanierung, Modernisierung und Anpassung der Bundeswehr an die neuen
Herausforderungen ist längst geboten. Hier hat letztlich Merkel versagt.
Amerika wird sich mehr dem Pazifik zuwenden und der chinesischen
Gefahr. Europa muss Amerika entlasten, indem es die konventionellen
Optionen auf dem alten Kontinent stärkt und sich auch stärker gegen den
islamistischen Terror engagiert.
Schwärmereien hierzulande über die autoritär denkende Putin-Clique im
Kreml oder die Illusionen über den Sultan in Ankara helfen nicht
weiter. Sicherheit ist heute nicht mehr zum Null-Tarif zu bekommen und
auch nicht mehr im Alleingang zu machen. Nur gemeinsam wird man der
totalitären Bedrohung durch den islamistischen Terror oder aus dem Reich
der Mitte begegnen können.
Die Nato, das einzige Bündnis, das über zwei Kontinente hinweg die
Demokratien verbindet, ist dafür der geeignete Rahmen. Das sieht
offenbar auch Trump so, sonst hätte er nicht der gemeinsamen Erklärung
zugestimmt. Aber wenn der Rahmen weiter verzerrt bleibt, verliert er
seine stabilisierende Funktion. Man sollte Trumps Ultimatum ernst
nehmen. Alles andere wird teurer. Denn auch die Atommächte Frankreich
und Großbritannien können Amerika nicht ersetzen. Liminski
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