Stationen

Sonntag, 29. Juli 2018

Mal so, mal so

Erinnert sich noch jemand? In den 70-Jahren war sich die Mehrheit der zuständigen Wissenschaftler und die Medien einig, vor einer neuen Eiszeit zu stehen, weil die globalen Temperaturen zuvor gesunken waren.
Was aus der Rückschau von heute besonders auffällt: Die erwarteten Folgen glichen denen, die heute im Zusammenhang mit der Erderwärmung diskutiert werden, wie ein Ei dem anderen: Unbewohnbarkeit der Erde, Extremereignisse, Hurrikane, Dürren, Fluten, Hungerkrisen und andere Katastrophen, die CIA erwartete Klimakriege. Auch machte man den Menschen verantwortlich für den sich abzeichnenden Klimawandel.
Anzumerken ist: Es gab damals auch Gegenstimmen, und seit Ende der 70er Jahre mehrten sich dann die Warnungen vor der Erwärmung – ebenfalls aufgrund menschlichen Verhaltens. Zur Erinnerung dokumentieren wir die Angst vor der Eiszeit in gekürzten Presseausschnitten von damals:
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Amerikanische Journalisten beschrieben die Kälte im Osten des Landes als „Vorgeschmack auf die nächste Eiszeit“. Frost bis minus 50 Grad und Schnee bis sechs Meter Höhe verwandelten große Teile der Vereinigten Staaten in eine Polarlandschaft. Unter diesen Vorzeichen gewinnt eine Klima-Studie des amerikanischen Geheimdienstes CIA höchste Aktualität. Die Verfasser der Studie sehen als Folge schon soziale Unruhen, ein Abwandern aus Notstandsgebieten und politischen Krisen. Sie meinen: „Die mächtigen Staaten der Erde werden versuchen, sich mit allen Mitteln des Getreides zu bemächtigen. Die Nahrungsmittel-Politik wird zum zentralen Problem jeder Regierung werden. Politische und wirtschaftliche Unsicherheit bestimmen den Alltag. Die Klimaveränderung, so befürchtet es auch der amerikanische Chemiker und Nobelpreisträger Linus Pauling, könne „in eine globale Katastrophe münden“, in den bisher härtesten Test für die Zivilisation. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.2.1977)
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Das Ende der Welt beginnt mit einem Sommer, der keiner mehr ist. Es bleibt kalt. Der Schnee vom letzten Winter bleibt liegen. Für Nigel Calder, ehemals Herausgeber des angesehenen britischen New Scientist, ist diese „Götterdämmerung“ im Mythos nordischer Völker realistisches Szenarium für unsere Zukunft, den Beginn der nächsten Eiszeit. Droht eine neue Eiszeit? Calder hält dies für wahrscheinlich und veröffentlichte jüngst zum Beleg ein Buch mit aktuellen Forschungsergebnissen. (Süddeutsche Zeitung, 10.4.1975)
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Der Klimatologe Prof. R.A. Bryson von der Wisconsin-Universität sagte voraus, dass sich durch den zivilen Überschall-Luftverkehr ein breiter Streifen zwischen Europa und Amerika mit einer Cirrus-Wolkenschicht bedecken wird. Nur fünf Prozent zusätzliche Wolken durch Luftverschmutzung würden die mittlere Temperatur um vier Grad herabsetzen. Damit käme die nächste Eiszeit bestimmt. Sie könnte ein unerwünschtes Beiprodukt der Zivilisation sein, sozusagen ein „Industrie-Erzeugnis“. Ob sich die irdische Luftverschmutzung im gegenwärtig kühler werdenden Klima schon bemerkbar macht, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Seit zehn Jahren sinken die Temperaturen. Dennoch befürchten viele Meteorologen, dass es einen „Punkt ohne Umkehr“ geben mag, von dem aus die verschmutzte Luft zwangsläufig und unaufhaltsam das Klima beeinflusst. Der Winter 1968/69 brachte für den Nordatlantik eine Eisbedeckung, wie es sie schon seit fast sechzig Jahren nicht mehr gab. Viel Eis reflektiert viel Sonnenstrahlung wieder in den Weltraum hinaus und verbraucht viel Wärme zum Schmelzen.“ (Hamburger Abendblatt, 21.3.1970)

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Kassandras unter den Klimatologen werden zunehmend besorgt über Abweichungen des Wetters, die sie als Vorboten einer Eiszeit ansehen. Als der Klimatologe George J. Kukla von der Columbia University Satelliten-Wetterdaten analysierte, bemerkte er eine Zunahme bei der Eis- und Schneebedeckung im Jahre 1971 um 12 Prozent – und die Zunahme hielt seither weiter an. Wissenschaftler fanden auch andere Hinweise auf eine globale Abkühlung: Die Ausdehnung der Polarwinde in großer Höhe, der sogenannte „Zirkumpolare Vortex“. Diese Verstärkung der kalten Luftströme sind unmittelbare Ursache für die Dürren in Afrika, für die Ausweitung der Sahara und anderer Wüsten nach Süden. Kalte Luft wird herabgezogen über den Westen der USA, warme Luft in Richtung Nordosten geschoben. Die Kollision der unterschiedlich feuchten und warmen Luftmassen kann gewaltige Stürme auslösen, wie beim kürzlichen Ausbruch von desaströsen Tornados im mittleren Westen. (Time, 24.6.1974)

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Murray Mitchell, Chefklimatologe der nordamerikanischen „Environmental Sciences Services Administration“, sieht die Welt seit dem Jahr 1950 unter dem plötzlichen Einfluss eines „Cold Snap“ (Kälteeinbruchs). Seit diesem Jahr ist die durchschnittliche Erdtemperatur um ein drittel Grad (Celsius) gesunken. Stimmen die Beobachtungen über einen neuerlichen Temperatureinbruch oder „Snap“ seit 1950, dann ist auch die Frage von Interesse, welche Umwelteinflüsse dazu geführt haben. Handelt es sich um eine vorübergehende Abkühlung der Sonne oder um einen Dunstschleier der Erdatmosphäre, der die ungebremste Soneneinstrahlung abbremst? Und wenn das der Fall ist: Wir dieser Dunstschleier vom Menschen verursacht oder handelt es sich um einen vom Menschen unabhängigen Vorgang? Bläst die Industrie zuviel Qualm und Abgase in die Luft? Haben die Wasserstoffbomben dazu beigetragen, den höheren Luftraum mit Massen von feinst verteiltem Staub zu durchsetzen? (Christ und Welt, 13.2.1970)
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Das wärmeliebende Gürteltier wandert in Amerikas Mittlerem Westen immer weiter nach Süden. Afrika wurde sechs Jahre hintereinander von mörderischer Dürre heimgesucht, über eine Million Menschen fielen ihr bisher zum Opfer. Während Europa den mildesten Winter dieses Jahrhunderts durchlebte, erstarrte die Pazifik-Küste der USA im Frost ungewöhnlich eisiger Monate. Rekord-Regen und Überschwemmungen dezimierten 1972 die Ernten Pakistans, Amerikas und Japans. In diesem Jahr scheinen in Kanada und der Sowjetunion verheerende Missernten aus klimatischen Gründen unvermeidlich.


Es gibt keinen Zweifel mehr: Das Wetter spielt verrückt. In der bisher umfassendsten meteorologischen Operation der Geschichte versuchen Forscher von 70 Nationen derzeit zu ergründen, ob der Wahnsinn auch Methode hat: Das Global Atmospheric Research Program (GARP) soll feststellen, ob sich der Planet einer neuen Eiszeit entgegendreht.


Eines steht schon fest: Es wird seit 30 Jahren kälter. Seit 1940 ist die globale Durchschnittstemperatur um 1,5 Grad gesunken. Weite Gebiete Kanadas, die eins im Sommer stets eisfrei waren, sind heute das ganze Jahr hindurch kristallbedeckt. Was den Temperatur-Rückgang ausgelöst hat (der seinerseits verantwortlich ist für die meisten anderen Klima-Veränderungen), darüber sind sich die GARP-Wissenschafler noch nicht einig. Die Theorien reichen vom Einfluss der Sonnenflecken bis zur Aussperrung von Sonnen-Energie durch eine umweltverschmutzte Atmosphäre. (Wirtschaftswoche, 28.4.1974)
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Spätestens seit 1960 wächst bei den Meteorologen und Klimaforschern die Überzeugung, dass etwas faul ist im System des Weltwetters: Das irdische Klima sei im Begriff umzuschlagen. Symptome dafür entdeckten die Experten inzwischen in fast allen Weltenregionen. Am Anfang standen Messdaten über eine fortschreitende Abkühlung des Nordatlantiks. Dort sank während der letzten 20 Jahre die Meerestemperatur von zwölf Grad Celsius im Jahresdurchschnitt auf 11,5 Grad. Seither wandern die Eisberge weiter südwärts bis auf die Höhe von Lissabon, mehr als 400 Kilometer weiter südlich als in den Wintern zuvor. Am Polarkreis wurden die kältesten Wintertemperaturen seit 200 Jahren gemessen. Auf Island ging die Heuernte um 25 Prozent zurück, auf der Britischen Insel schrumpfte die jährliche Wachstumsperiode um zwei Wochen.



Die sich in den letzten Jahren häufenden Meldungen über Naturkatastrophen und extreme Wetteränderungen in aller Welt glichen anfangs eher den Bruchstücken eines Puzzle-Spiels: Ein Orkan, der heftigste seit einem Jahrhundert, verwüstete im November 1972 weite Teile Niedersachsens. Im selben Jahr richtete im Osten der USA der Hurrikan „Agnes“ für mehr als drei Milliarden Dollar Schäden an; 122 Menschen kamen ums Leben, das folgenschwerste Unwetter, das je in Nordamerika registriert wurde.


Ein Schneesturm ruinierte im August 1973 große Getreideanbaugebiete im Weizengürtel Kanadas. Und im November und Dezember letzten Jahres brandeten innerhalb von fünf Wochen sechs schwere Sturmfluten gegen die norddeutschen Küsten – die dichteste Sturmflut-Folge seit rund 50 Jahren.


Weit dramatischer kündigte sich unterdes der globale Klima-Umschwung in Südostasien, Afrika oder auf dem südamerikanischen Kontinent an. Sintflutartige Regenfälle überschwemmten jüngst immer öfter Teile Japans oder Perus. In Argentinien, in Indien und Südafrika sanken im letzten Winter die Temperaturen auf Werte, wie sie seit Beginn der wissenschaftlichen Wetterbeobachtung vor etwa 300 Jahren noch nie registriert wurden.


Ungewöhnlich ergiebige Regengüsse – und im Winter Schneeschauer – gingen auch im Nahen Osten nieder, etwa im Libanon, in der Türkei und in Israel, aber auch in Italien und in manchen Regionen der USA: In San Francisco beispielsweise wurden in diesem Sommer schon die stärksten Niederschläge seit 125 Jahren gemessen.


Und während im Osten Afrikas und im Norden der USA die Wasserspiegel der großen Binnenseen stetig steigen, herrscht in den Ländern südlich der Sahara seit nunmehr sieben Jahren Dürre.


Missernten, Hungersnot und Wassermangel gab es seit Ende der sechziger Jahre auch immer häufiger in anderen Regionen der Subtropen, in Mexiko, auf den Kapverdischen Inseln im Atlantik sowie im Norden Indiens, wo der Monsunregen neuerdings spärlicher fällt.



Nach Studium des beunruhigenden Datenmosaiks halten es viele Klimaforscher für wahrscheinlich, dass der Trend, der den Erdbewohnern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die – klimatisch – besten Jahre seit langem bescherte, sich nun umkehrt.


Halte die gegenwärtige Klimaverschlechterung an, so warnt etwa der US-Wissenschaftler Reid Bryson, Direktor des Instituts für Umweltstudien an der Universität von Wisconsin, so werde sie demnächst womöglich „die ganze Menschheit in Mitleidenschaft ziehen“ – „eine Milliarde Menschen würde verhungern“. Schon jetzt „zeigen sich die Folgen auf drastische Weise“: Die Getreideernten in Kanada und in den USA stagnieren; Missernten häuften sich in der Sowjet-Union, Indien und Pakistan. In Peru gingen die Anchovis-Fänge um 55 Prozent zurück. Die Chancen für eine rasche Rückkehr des günstigen Klimas etwa der dreißiger Jahre, so taxierte der US-Wetterforscher James McQuigg, stünden „bestenfalls eins zu 10000“. (Der Spiegel, 12.8.1974)  WeLT


Siehe auch 1540...

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