Bevor der französische Staatspräsident Emmanuel Macron den größeren
Skandal entfesselte, gab es einen kleineren. Ende Juni hatte er am Rande
seiner Audienz bei Papst Franziskus den Satz fallen lassen „Die
Bretonen sind überall. Sie sind die französische Mafia.“
Selbstverständlich wollte Macron das scherzhaft verstanden wissen, aber
einigen stieß die Äußerung doch übel auf, den Bretonen vor allem, die
sich von seiner Regierung im Stich gelassen fühlen, die im Hinblick auf
die Lage von Landwirtschaft und Fischerei, die Probleme mit der
Jugendarbeitslosigkeit und dem „vivre ensemble“ nichts wirkungsvolles
unternimmt.
Das republikanische „Zusammen-Leben“ hat selbstverständlich auch eine
Definition dafür parat, wer denn eigentlich Bretone ist: jeder, der auf
dem Gebiet der Bretagne (dauerhaft) lebt. Eine Vorstellung, die indes
so weit an der Realität vorbeigeht wie jede politisch-korrekte
Vorstellung von Völkern als spontanen Gebilden, die aus diversen
Elementen mal so mal so kombiniert werden.
Völker sind Phänomene langer Dauer
In Wirklichkeit – und diese Wirklichkeit ist auch heute noch
sinnfällig, wenn man durch Europa reist – sind Völker Phänomene langer
Dauer, deren Existenz sich über Epochen erstrecken und in eine Zeit
zurückreichen kann, von der diese Völker nichts mehr wissen, als sie
möglicherweise noch andere Namen führten und andere Götter verehrten.
Das hat damit zu tun, daß sie niemals nur auf der Gemeinsamkeit von
Sprache, Sitte und Mentalität beruhten, sondern im Regelfall
Heiratsgemeinschaften bildeten, die für die Wahrung der Identität eine
ausschlaggebende Rolle spielten.
Andreas Vonderach hat diesen Sachverhalt für einen Fall in einem
brillanten kleinen Buch analysiert. Es trägt den Titel „Gab es
Germanen?“ (Schnellroda: Antaios 2017) und beantwortet die Frage mit
einem klaren „Ja“. Man könnte daneben die Frage stellen „Gab es Kelten?“
Dann würde man zunächst darauf stoßen, daß deren Existenz ähnlich
lebhaft bestritten wird wie die der Germanen. Denn seit dem Ende des
letzten Jahrhunderts kam es in Mode, das Vorhandensein keltischer Völker
in Frage zu stellen und anzunehmen, daß es im Grunde einen Prozeß der
„Keltisierung“ gegeben habe, dem alle möglichen Ethnien ganz
verschiedener Herkunft unterworfen wurden.
Dem hat die britische Autorin Jean Manco mit Nachdruck widersprochen.
In Blood of the Celts (London: Thames & Hudson 2015), einem ihrer
letzten Bücher – sie verstarb am 25. März dieses Jahres – ergänzte sie
eine von ihr bereits in früheren Veröffentlichungen aufgestellte These:
daß sich die europäische Bevölkerung bisher ganz wesentlich nur aus drei
Elementen zusammensetzte.
Die Kelten waren organisatorisch und politisch schwach
Gemeint sind die Nachfahren jener Ureinwohner, die den Kontinent seit
langem als Jäger und Sammler bewohnt hatten, die Nachfahren einer
Gruppe von Viehzüchtern, die in der Jungsteinzeit aus Kleinasien hierher
gekommen waren und die Nachfahren jener Reiterkrieger, die ihre Heimat
in der Steppe verließen und sich mit Beginn der Kupferzeit nach Westen
in Marsch setzten. Das waren die Träger der „Kurgan-Kultur“, die sich
mit einiger Sicherheit als Indoeuropäer identifizieren lassen.
Auch die Indoeuropäer erschienen Jean Manco nicht als linguistisches
Phantom wie vielen ihrer Kollegen, sondern als Einheit im ethnischen
Sinne, aus der die Kelten hervorgegangen sind. Die werden ihrer Meinung
nach zuerst historisch faßbar in jenen Menschen, die die anthropomorphen
Stelen an der Schwarzmeerküste, im Donauraum, an der heutigen Südküste
Frankreichs, in Spanien und in der Bretagne errichteten, und dann als
die sogenannten „Glockenbecherleute“ auftraten, bevor sie in der
Eisenzeit einen Machtbereich schufen, der sich von Spanien über
Frankreich und Mitteleuropa bis nach Kleinasien erstreckte.
Von einem „Imperium“ kann allerdings keine Rede sein, denn auch wenn
die Kelten nichts fürchteten, außer daß ihnen der Himmel auf den Kopf
fallen werde, besaßen sie offenbar weder organisatorisches noch
politisches Talent. Im Konflikt mit den Römern unterlagen sie rasch.
Die Kelten schufen eine funktionierende Infrastruktur
Die Tatsache, daß die Kelten schon eine Hochkultur geschaffen hatten,
Städte und ein Straßensystem besaßen, erlaubte den Römern die zügige
Durchdringung und dauerhafte Kontrolle ihrer Gebiete, den Kelten die
rasche Assimilierung. Nach wenigen Generationen waren sie mit den neuen
Herren zu einer neuen Einheit verschmolzen.
Vollständig verschwunden sind sie deshalb nicht, so wenig wie in
Folge ihrer späteren Niederlagen gegen die Germanen. In dem erwähnten
Buch von Jean Manco gibt es eine sehr aufschlußreiche Karte, die das
zeigt, was sie die besondere genetische „Signatur“ im westlichen Europa
nannte: die Konzentration der Y-DNA-Untergruppe R1b1a2a1a2c (L21) in
Irland sowie Schottland, Wales und Cornwall, den bekannten
Rückzugsgebieten der Kelten. Auf dem Kontinent gibt es nur eine Region,
die diese Auffälligkeit zeigt: die Bretagne. Karlheinz Weißmann
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.