Wir haben Kriegsverbrecher im bosnisch-montenegrinischen Grenzgebiet
gesucht. Wir sind in der Nacht losgezogen, um Taliban aufzuspüren, die
unser Feldlager mit Raketen beschießen wollten. Wir konnten, was es dazu
braucht und konnten uns aufeinander sowie auf unsere militärische
Führung verlassen. Als junger Leutnant der Kampftruppe war ich froh, daß
General Christian Trull die 14. Panzergrenadierdivision „Hanse“ führte,
zu der auch mein Verband gehörte.
Dieser General war ein Mann, vor dem jeder seiner Untergebenen
ehrfürchtig zitterte. Ein Mann, der wußte, daß sich das Soldatsein auf
die Bereitschaft zum äußersten Opfer für das Vaterland reduzieren läßt,
der oft „Beliebigkeit“ und den „Geist der Zeit“ tadelte. Kurz: Ihm ging
es immer um den Erhalt von Maßstäben.
Und so appellierte er im Januar
2005, als er das Kommando über die Division übergab: „Dies Land kann
jederzeit vor Herausforderungen stehen, die ein Heer erfordern, dessen
Soldaten tapfer und ohne Zögern zu den Waffen greifen und helfen und
schützen. Alles muß getan werden, um uns auf diese Fälle vorzubereiten. Die
Fähigkeit, sie vorherzusagen, ist gleich Null.“ Er sah damals schon
deutlich, daß ein weiterer Verfall der Einsatz- und Wehrfähigkeit um
jeden Preis verhindert werden muß.
Seit der deutschen Wiedervereinigung und mit den Nato- und
EU-Beitritten von osteuropäischen Ländern des ehemaligen Warschauer
Pakts sind die deutschen Streitkräfte in beispielloser Weise reduziert
worden. Die günstige territoriale Positionierung im neuen Kern Europas
ließ in den Augen der politischen Leitung die Fähigkeit zur
Landesverteidigung an den deutschen Außengrenzen über die Zeit immer
weniger wichtig erscheinen.
Seit jener Zeit ordneten Weißbücher, Verteidigungspolitische
Richtlinien sowie Bundeswehrkonzeptionen die nationale Wehrfähigkeit
einer avisierten kollektiven europäischen und transatlantischen
Sicherheitsarchitektur unter, deren Funktionsfähigkeit in Frage gestellt
werden durfte und darf. Mit der Konsequenz, daß Deutschland nicht mehr
zur Landesverteidigung imstande ist. Es kann seinen Bündnisverpflichtungen nicht nachkommen, hält Zusagen
nicht ein. Kurz: Deutschland ist kein zuverlässiger Partner.
Ein
Wirtschaftsgigant, der militärisch zu schwach ist, seine legitimen
Interessen im Ernstfall eigenständig durchzusetzen und einen seinem
Gewicht angemessenen Beitrag zu mandatsgestützten Operationen im
internationalen Verbund nicht zu leisten vermag.
Ein Lippenbekenntnis zu traditionellen Imperativen ist indes
beobachtbar und gibt Anlaß zur Hoffnung: Mit der vom Westen behaupteten
Krim-Annexion durch Rußland tritt die Landesverteidigung im Weißbuch
2016 als Hauptaufgabe der Bundeswehr wieder in den Vordergrund. Die von
Bundeskanzlerin Angela Merkel im Vorfeld des Nato-Gipfels in Brüssel
verteidigte langwierige Wehretataufstockung von 1,2 auf 1,5 Prozent des
Bundesinlandsprodukts bis 2024 liegt allerdings nicht nur deutlich unter
den beim Gipfel 2014 zugesagten zwei Prozent, sondern reicht zudem
alleine nicht aus.
Was den deutschen Streitkräften neben mehr Geld für Ausrüstung und
moderne Systeme fehlt, ist die Wertschätzung in der Öffentlichkeit, die
auch potentiellen Nachwuchs motiviert.
Denn die eigentliche Katastrophe liegt in der Personalsituation. Nach
dem Aussetzen der Wehrpflicht hat die Armee noch immer kein tragfähiges
Konzept gefunden, die Reihen zu schließen.
Bisher halfen weder flexiblere Verpflichtungskonzepte noch
Flachbildschirme in den Unterkünften oder Eltern-Kind-Arbeitszimmer. Und
selbst die massiv betriebene Wiederverpflichtung Altgedienter deckt den
Bedarf nicht annähernd. Die Armee ist kein Wirtschaftsbetrieb. Soldaten
motiviert nicht primär die Aussicht auf halbwegs anständigen Sold und
zivilberufliche Aus- und Weiterbildung, sondern die gesellschaftliche
Anerkennung ihres Dienstes.
Im Kern handelt es sich um ein politikverschuldetes Renommeeproblem.
Der Soldatenberuf ist unvergleichlich. Wer, so nannte das General Trull,
für das Vaterland in die erste Reihe gestellt wird, darf angemessene
Würdigung erwarten. Der Soldat unterliegt dem Primat der Politik, muß
gehorchen, wenn ihn der Souverän ins Feld schickt. Und so erwächst eine
gegenseitige Abhängigkeit, die in den meisten Ländern der Welt ein
Bekenntnis zueinander hervorbringt. Dem ist hierzulande nicht so.
Deutschland hat, anders als viele Nachbarn und Partner, noch immer
kein Veteranenkonzept. Verdienten Soldaten wird die
öffentlichkeitswirksame Ehrung vorenthalten. Sie findet, nicht
wahrnehmbar, verstohlen und versteckt statt, als wäre der Dienst für die
Heimat eine antößige Verirrung oder eine gerade noch tolerierbare Notwehrhandlung. Die
Nachwuchswerbung der Streitkräfte an Schulen ist der politischen Linken
ein kriminalisierungswürdiger Akt der Barbarei und des
Rüstungslobbyismus. Die Ministerin hat den Traditionserlaß der Truppe
erfolgreich enttraditionalisiert.
Ein Cafébesuch in Uniform wäre in Kreuzberg eine interessante
Milieustudie. Derlei unwürdige Belege für die Wertigkeit der Truppe bei
großen Teilen des Volkes und seiner parlamentarischen Vertreter ließen
sich seitenweise ergänzen. Doch unser Land erlebt ein Erstarken
konservativer Kräfte. Und in den Streitkräften gelangen nach Jahrzehnten
wieder Offiziere in ministerielle Führungsebenen und höchste Ämter, die
selbst gekämpft haben. Sie wissen, was geboten ist. Mathias Wegner
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