Das Gerichtsverfahren gegen 17 führende Akteure und Sympathisanten
der Identitären Bewegung (IB) in Österreich ist ein Witz, bei dem einem
allerdings das Lachen im Halse steckenbleibt. Die Anklage unter anderem
wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Verhetzung und
Sachbeschädigung ist zugleich ein Lehrstück über die Machtverhältnisse,
das bis nach Deutschland hineinwirkt.
Eines haben die Behörden schon erreicht: Die IB ist vom Angriffs- in
den Verteidigungsmodus versetzt worden. Für das Außen- und das
Selbstbild einer Bewegung, deren Sinn und Zweck darin besteht, die
Öffentlichkeit durch Provokationen beziehungsweise Verfremdungseffekte
zu verblüffen und die Gegenseite unter Erklärungsdruck zu setzen,
bedeutet das eine deprimierende Wendung.
Die IB hat die Entschlossenheit ihrer Gegner unterschätzt. Die
demonstrieren, daß sie es gar nicht nötig haben, sich zu erklären und zu
rechtfertigen. Sie haben die Macht, Hausdurchsuchungen und
Beschlagnahmungen anzuordnen, Kontokündigungen zu veranlassen, mit Haft
und finanzieller Strangulation zu drohen. Sie verwandeln die soziale,
private, psychische und sogar physische Existenz der IB-Akteure in einen
Kriegsschauplatz. Weil Frontlinie und Hinterland bei den Identitären
identisch sind, werden auf jeden Fall Schneisen der Zerstörung
zurückbleiben.
Den Konflikt ins gegnerische Lager zu tragen, ist ihnen verwehrt,
denn als Gegner stehen ihnen Vertreter von Institutionen, keine
Privatpersonen gegenüber. Während die eine Seite einen Existenzkampf
führt, kann die andere nur gewinnen, sogar wenn sie juristisch verliert.
„Heimatliebe ist kein Verbrechen“, verteidigt sich die IB, worauf die
Gegner erklären: Ihr zelebriert keine Heimatliebe, sondern Ausgrenzung,
Diskriminierung und die Mißachtung von Menschenrechten. Auch ihre
strikte Gewaltlosigkeit nützt den Identitären wenig, wenn der Staat den
Gewaltbegriff vorverlegt und Gewaltsamkeit bereits beginnen läßt, wo die
identitäre Sprache angeblich „Haß“ sät. „Haß“ ist ein dehnbarer
Begriff, der von den Inhabern der Diskurshegemonie nach Bedarf definiert
wird.
Sie werfen der IB vor, mit ihrem Protest gegen die Masseneinwanderung
insbesondere die Moslems „herabzusetzen“. Die Identitären pochen
darauf, lediglich die Folgen der ethnisch-kulturellen Verschiebungen zu
benennen. Im Austausch der Argumente würde sich schnell herausstellen,
welche der konträren Auffassungen empirisch gedeckt ist. Eben dieser
gesellschaftliche Diskurs wird aber durch die Anklage vorsätzlich
blockiert.
Martin Sellner, der Weiße Ritter, der so virtuos die neuen Medien zu
nutzen versteht, wurde faktisch waffenlos gemacht. Auch das gehört zum
Lehrstück. In seinem Buch „Identitär!“ hat Sellner die Möglichkeit
verstärkter Repression in Rechnung gestellt und eine
„Anti-Repressionstaktik“ aus „Offenheit und Solidarität“ skizziert, die
öffentliche Unterstützung mobilisiert. Doch das Rezept versagt, wenn das
„System“ den Aufbau einer Gegenöffentlichkeit unterbindet, indem es die
nötigen Instrumente beschlagnahmt.
Zum andern sind die neuen Medien und sozialen Netzwerke keine
neutralen, rein technisch zu verstehenden Transportmittel von
Informationen und Ideen. Um das zu erkennen, bedurfte es nicht erst der
Fotos, die Facebook-Chef Mark Zuckerberg beim Plausch mit Angela Merkel
zeigen. Facebook, Twitter, Google, Wikipedia, Amazon und so weiter
verfolgen global angelegte Geschäftsmodelle, die ihr
politisch-ideologisches Gegenstück in der Vision einer Welt ohne Grenzen
haben.
Sie werden auf Dauer keine Ideen verbreiten, die diesem Modell und
dieser Vision widersprechen. Hier betritt man das schwierige Terrain der
Eigentums- und Produktionsverhältnisse. Sellner ist inzwischen zu dem
Schluß gekommen, sich in einer „feindlichen Matrix“ zu befinden.
Auf sie muß man sich einstellen. Dazu gehört die Einsicht, daß die
Kulturrevolution von 1968 sich weder kopieren noch umdrehen läßt und die
identitäre Gegenkultur eine Nischenangelegenheit bleiben wird. Die
politischen, ideologischen, institutionellen, logistischen und nicht
zuletzt demographischen Bedingungen sind heute ganz andere als vor
fünfzig Jahren.
Zudem hatten die 68er ein strategisches Überraschungsmoment auf ihrer
Seite, während das provokative Moment der Identitären lediglich
taktischer Natur ist. Die strategische Überlegenheit der 68er beruhte
vor allem auf der Schlagkraft des Faschismus-Vorwurfs, der die alten,
staatsgläubigen Autoritäten verwirrte und wehrlos machte. Die
Post-68er-Autoritäten dagegen nutzen den antifaschistisch umcodierten
Staat ganz ungeniert als Machtinstrument der herrschenden Klasse, zu der
sie sich selber rechnen.
Wo die Politik die Moral definiert, existiert kein Gefühl für
Fairneß. Moralisch ist, was politisch nützlich erscheint. Im Umgang mit
den Identitären läßt sich beobachten, wie die sogenannte
Zivilgesellschaft als Vorfeldorganisation der Staatsmacht agiert. Ein
ganzes Heer von freiwilligen, teils subventionierten Zuarbeitern sind –
den „Informellen Mitarbeitern“ der DDR-Stasi vergleichbar – damit
beschäftigt, Informationen zu sammeln, Personen auszuspionieren und sie
in vielfältiger Weise zu kujonieren.
Ein „Netz für digitale Zivilgesellschaft“ vermeldet schadenfroh den
Ausschluß der Identitären aus den sozialen Medien: „Frühjahrsputz bei
Instagram und Facebook: Die Identitären verlieren viele Kanäle“, und
feiert ihn als Ausdruck demokratischer Ethik: „Die Bannung demokratie-
und verfassungsfeindlicher Bewegungen aus Sozialen Netzwerken ist eine
Wahrnehmung sozialer Verantwortung durch die Netzwerke, die Mut macht.“
Um solche Sätze zu schreiben, muß man das Regelwerk des
vormundschaftlichen Staates verinnerlicht haben. Um letzte Skrupel zu
unterdrücken, imaginiert man sich als widerständiger David gegen einen
rechten Goliath, obwohl man in Wahrheit nur manipulierter Handlanger der
Macht ist. Beflissenheit, Konformismus, die böse Lust am Aufspüren und
Quälen von Vogelfreien gelten als öffentliche Tugenden. Auch das ist in
Rechnung zu stellen, wenn man die Kräfteverhältnisse ausmißt.
Bei Lichte besehen, haben die Identitären mit ihrer spektakulären
„Defend Europe“-Aktion auf dem Mittelmeer den Kurswechsel der
schwarz-blauen Regierung Österreichs in der Migrationsfrage – samt der
kürzlich stattgefundenen Grenzschutzübung – symbolisch vorweggenommen.
Gerade das könnte ihnen zum Verhängnis geworden sein. Sie sind das
Bauernopfer, an dem die Regierung exekutiert, daß ihre Politik rein
pragmatisch und nicht etwa rechtsideologisch motiviert ist.
Selbst dem SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim ist nicht wohl bei der
Anklage. Er meint, Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sei es „offensichtlich
ein Anliegen, Gruppen, die ihn stören oder lautstark kritisieren, aus
der Öffentlichkeit verschwinden zu lassen“. Vielleicht ist es auch ganz
anders und eine rot-grün eingefärbte Justiz will, indem sie den Sack
schlägt, den Esel – die schwarz-blaue Koalition – treffen. Wie auch
immer: Die unheimlichen Abläufe in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß“ gehen
ganz wesentlich auf die Erfahrungen des Autors bei seiner Arbeit in der
österreichischen Bürokratie zurück.
An diesem Punkt könnten Ohnmacht, Verzweiflung und Wut überhand
nehmen und zu Kurzschlußreaktionen führen. Das aber wäre fatal!
Überhaupt müssen die Angehörigen der Identitären Bewegung jeden Tag neu
abwägen, ob ihr Aktivismus noch die Gefahr rechtfertigt, vielleicht
lebenslang ins berufliche und soziale Abseits zu geraten.
Da sie sich auch als ästhetische Avantgarde verstehen, könnte das in
der Pop-Kultur so wichtige verflixte 27. Jahr für sie eine Grenze
markieren: Für Janis Joplin, Amy Winehouse, Jimmy Hendrix, Jim Morrison,
Kurt Cobain endete es tödlich. Es wäre schade, wenn die Identitären,
die sich so sehr von ihren durchschnittlichen Altersgenossen abheben,
sich sinnlos verschleißen würden.
Denn auch von Märtyrern will unsere Zeit nichts wissen. Der
japanische Schriftsteller Yukio Mishima, der 1970 mit jungen
Gleichgesinnten eine Kaserne besetzt hatte in der Erwartung, eine
Armee-Revolte gegen den Kultur- und Traditionsverlust auszulösen,
erntete bloß Gelächter und beging Seppuku, den rituellen Selbstmord.
Marguerite Yourcenar schrieb dazu in ihrem Mishima-Essay: „Die
letzten Fotos zeigen ihn mit geballter Faust und aufgerissenem Mund, mit
jener Häßlichkeit, wie sie dem Menschen eigen ist, der schreit oder
brüllt, ein physiognomisches Mienenspiel, das vor allem die verzweifelte
Bemühung kenntlich macht, sich Gehör zu verschaffen …“
Es ist keine Schande und bedeutet keinen Gesichtsverlust, vorher einen Gang zurückzuschalten. Im Gegenteil. Thorsten Hinz
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