Im Interbankenzahlungssystem Target2 können die Mitglieder des Europäischen Systems der Zentralbanken Zahlungsbilanzdefizite ihrer Länder in unbegrenzter Höhe für unbegrenzte Zeit zum Nulltarif finanzieren. In diesem System ist die Deutsche Bundesbank unfreiwillig der größte Kreditgeber: Ende letzten Monats hatte sie 976 Milliarden Euro an die EZB geliehen. Die Bank von Italien ist der größte Schuldner: Ende Mai stand sie bei der EZB mit 465 Milliarden in der Kreide.
Die EZB und ihr gewogene
Stimmen wiegeln ab. Das seien ja nur Verrechnungssalden, die keine
ökonomische Bedeutung hätten. Das stimmt nicht. Die Targetsalden
spiegeln Zinsdifferenzen zwischen Euroländern wider, die weit geringer
sind, als es der Risikoeinschätzung der Anleger entspricht. Italien ist
dabei der brisanteste Fall.
Da die Höhe der
Rendite auf zehnjährige Staatsanleihen das mit italienischen Papieren
verbundene Risiko der Anleger nicht kompensiert, nutzen sie das
Anleihekaufprogramm der EZB, um ein italienisches Kreditrisiko gegen ein
deutsches zu tauschen. Dazu bieten sie eine italienische Anleihe der
EZB in Frankfurt statt in Mailand an. Eine deutsche Bank schreibt dem
Kunden den Geldbetrag gut und holt sich zu dessen Deckung Reservegeld
von der Bundesbank
im Tausch gegen die Anleihe. Die Bundesbank gibt die Anleihe weiter an
die Bank von Italien. Sie erhält dafür eine Forderung an die EZB und die
Bank von Italien eine entsprechende Verpflichtung, die ihr nicht weh
tut. Der Anleger ist das italienische Risiko los, das nun die EZB trägt.
Da diese aber nicht genügend Eigenkapital hat, um dieses Risiko gegen
einen Zahlungsausfall Italiens abzusichern, bleibt es an der Bundesbank
hängen. Über Target2 werden im Euroraum also Risiken in gigantischer
Höhe weitgehend zu Lasten der Bundesbank umverteilt.
Der in Target2
eingebaute Risikotransfer ist einzigartig und anfangs wohl von keinem
deutschen Politiker verstanden worden. Denn sonst ist nicht zu erklären,
warum es die deutsche Seite zugelassen hat, dass bei der Kopie des
amerikanischen Zahlungssystems Fedwire genau der Teil weggelassen wurde,
der diese Risikotransfers eingrenzt. In Fedwire müssen Salden, die im
Zahlungsverkehr zwischen amerikanischen Regionen entstehen, jährlich
durch Vermögensübertragungen der Zentralbanken, deren Region ein
Zahlungsbilanzdefizit eingefahren hat, ausgeglichen werden. Dies spornt
die regionalen Zentralbanken an, darauf zu achten, dass die Banken in
ihrem Zuständigkeitsbereich Kredite an riskante Kunden nicht zu billig
vergeben.
Die EZB hat
nicht das nötige Geld und wird es auch von ihren Schuldnern nicht
eintreiben können, um ihre Verbindlichkeit an die Bundesbank begleichen
zu können. Diese wird daher wohl auf ihren Forderungen aus der
Vergangenheit sitzenbleiben. Aber sie kann verhindern, dass der Berg
weiter wächst, wenn sie in Zukunft auf einem jährlichen Saldenausgleich
besteht. Dazu sollten die Zentralbanken der Eurostaaten mit
Zahlungsbilanzdefiziten der EZB monatlich Reserven und Eigenkapital in
Höhe des Defizits verpfänden. Um Kapitalflucht anzuhalten und das Pfand
nicht zu verlieren, müssten diese Zentralbanken die unter ihrer Aufsicht
stehenden Banken veranlassen, die Risikoaufschläge auf ihre Kredit- und
Einlagenzinsen zu erhöhen. Anleger, die heute Börsenplatze für ihre
Geschäfte meiden, weil sie dort nur riskante Anleihen gegen noch
riskantere Bankeinlagen tauschen können, würden mit attraktiven Zinsen
angelockt. Mit anderen Worten, es wäre dann lukrativer, italienische
Staatsanleihen in Mailand statt in Frankfurt zu verkaufen.
Es wäre naiv,
zu erwarten, dass die anderen Zentralbanken und ihre Regierungen der
Ablösung von Target 2 durch ein erweitertes System mit Saldenausgleich,
nennen wir es Target3, freiwillig zustimmen würden. Um dies
durchzusetzen, müsste die Bundesbank einseitig erklären, dass sie
Target2 schließen und Zahlungen künftig nur noch über Target 3 abwickeln
wird. Dazu bräuchte es aber politische Rückendeckung.
In ihrer
„Meseberger Erklärung“ haben die Bundeskanzlerin und der französische
Staatspräsident von „Auffangmechanismen“, einer „gemeinsamer
Einlagensicherung“ und einem „Haushalt für die Eurozone“ schwadroniert.
Vom größten bestehenden gemeinsamen Finanztopf, Target2, war nicht die
Rede. Dabei kann man eigentlich nicht über „Risikoteilung“ und
„Solidarität“ im Euroraum sprechen, ohne diese Finanz-Krake zu
berücksichtigen. Thomas Mayer
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