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Dienstag, 24. Juli 2018

Lasst es uns wie Australien machen

Wer in Australien arbeiten will oder Asyl begehrt, darf den Boden des Landes erst betreten, wenn er alle vorgeschriebenen Schritte bei diplomatischen Vertretungen oder per Korrespondenz erfolgreich abgeschlossen hat. Versuche der illegalen Einreise blockieren in der Regel auch den legalen Zugang auf immer. Canberra besteht auf diesem Prozedere, weil bei seiner Zielgröße von 190.000 Einwanderern jährlich zu viele kommen könnten, die ein soziales, kriminelles oder terroristisches Risiko darstellen. Sie dann wieder herauszuschaffen, ist juristisch aufwendig und für die Steuerzahler teuer.
Die Strenge ist mithin die Voraussetzung für die migratorische Großzügigkeit. Rechnet man die Aufnahmebereitschaft der 24 Millionen Australier auf die 82 Millionen Menschen in Deutschland um, wären zwischen Rhein und Oder jedes Jahr 650.000 Neuankömmlinge unterzubringen. Das entspricht einem Stuttgart.
Australien bleibt allerdings unter diesem Limit, wenn die Vorsichtsmaßnahmen durch Missbrauch und Betrug ausgehebelt werden. So begrüßt der kleine Kontinent aufgrund genauerer Überprüfungen nicht nur der Kandidaten, sondern auch der zuständigen Beamten im Rechenjahr 2017/2018 „nur“ 162.000 zusätzliche Bürger.
Der zuständige Minister Peter Dutton ruft – fünf Jahre nach Beginn der Operation Sovereign Borders im September 2013 – noch einmal in Erinnerung, warum das Land so vielen Menschen eine Chance bieten kann: „Wir sorgen dafür, dass Menschen, die Teil unserer australischen Familie werden, hier arbeiten und nicht von Sozialhilfe leben. Wer ein so robustes Migrationsprogramm fährt wie wir, bekommt produktive Neubürger, die dem Land wachsenden Wohlstand bescheren, weil sie nicht vom Staat abhängen, sondern fleißig arbeiten.“

71 Prozent der Australier unterstützen die Regierung

Von 2.700 auf fast 21.000 steigt zwischen 2009 und 2013 die Zahl der ins Land Geschmuggelten.  2014 kommen – bei lediglich drei Zerstörern für die Kontrolle von 24.000 km Küstenlinie – noch 160 Menschen durch. Danach geben die Schlepper auf. Bei ihren Aktionen gibt es von 2009 bis 2013 rund 1.200 Todesopfer. Zwischen 2014 und 2018 sind es noch 32.
Die Kritik an Canberras Politik bleibt gleichwohl heftig. So bekämpft Amnesty International „die Politik der Zurückweisung von Booten, weil sie für die Menschen an Bord gefährlich ist.“ Doch bereits 2014 unterstützen 71 Prozent der Australier die Schritte der Regierung, solange das Risiko für die Passagiere nicht wächst.
Die Todeszahlen gehen gerade deshalb zurück, weil die weltweit angekündigte Unterbindung der illegalen Einreise die Menschen dazu bringt, ihre Ersparnisse nicht mehr für ein immer schon lebensgefährliches und jetzt auch noch aussichtloses Unternehmen einzusetzen. Sobald sie ein Boot betreten haben, ist ihr Geld auch dann weg, wenn es vor der Küste abgefangen wird. Die Menschen können kalkulieren und meiden das Risiko.

Man weiß naturgemäß nicht, wer seitdem nicht mehr zu kommen versucht. Man weiß allerdings, dass 26 Nationen jeweils mehr als 50.000 Menschen an Australien abgegeben haben. Unter den im Ausland Geborenen liegt Deutschland mit 103.000 (2016) hinter Sri Lanka auf dem 11. Platz. Aus dem Subsahara-Raum schafft es nur die Republik Südafrika – hinter Italien – auf den 8. Platz dieser Ländergruppe. Zwischen 10.000 und 50.000 stammen aus Sudan, Kenia und Simbabwe (früher South Rhodesia). Es geht dabei oft um Europäer, die in Afrika keine Zukunft mehr sehen.
Bekannt ist auch, dass die seit den 1970er Jahren geltenden und stetig aktualisierten Anforderungen für Hereingelassene ihre Wirkungen nicht verfehlen. Es gibt rund 180 maßgeschneiderte Visaklassen. Allen gemein ist ein aufwändiger Skills Assessment Process. Sehr gute Englischkenntnisse, ein Alter unter 44 Jahren, hohe Qualifikation und guter Verdienst im bisherigen Berufsleben sichern den Einstieg in die neue Heimat.

Außergewöhnliche Hilfe zur Selbsthilfe

Australien wird damit zum ersten westlich geprägten Land, bei dessen Zuwanderern ein höherer IQ (100) gemessen wird als bei dort Geborenen (99). Es gibt mit Singapur überhaupt nur eine weitere Nation, der dieses Kunststück gelingt (106 zu 105). Im europäiden Raum schafft das oft genannte Einwanderungsvorbild Kanada immerhin noch 100 zu 102, während Deutschland mit 92 zu 100 eine typisch westeuropäische Relation aufweist. Auch daran liegt es, dass die Bundesrepublik bei der Schülerolympiade TIMSS vom 12. Platz 2007 über den 16. im Jahr 2011 auf den 24. im Jahr 2015 abgerutscht ist.
Dass deshalb die groß angekündigte Initiative zu Künstlicher Intelligenz nicht mehr vom hiesigen Nachwuchs gestemmt werden kann, gesteht der zuständige Minister Altmaier am 17. Juli unumwunden zu. Als letzten Ausweg will er „weltweit die besten Forscher unter Vertrag“ nehmen. Da das Konkurrenznationen genau so entschlossen versuchen, dürfte der Verlust an kognitiver Kompetenz unumkehrbar bleiben. Dabei sind die seit 2015 Hinzugekommenen noch nicht erfasst. Die Kanzlerin hat das Bildungsfiasko also nur vergrößert, aber nicht selbst hervorgerufen. 

Australiens Weg hingegen hilft nicht nur den Hereingelassenen, sondern auch ihren nicht akzeptierten Angehörigen. Die bestens qualifizierten Neubürger verdienen schnell so hohe Einkommen, dass sie jährlich rund 21 Milliarden australischen Dollar an ihre Familien überweisen können. Die staatliche Entwicklungshilfe dagegen erreicht nur knappe 4 Milliarden australische Dollar.
Gleichwohl wird die Migrantennation auch in Zukunft zu hören bekommen, dass sie zu wenig Abgeschlagene aus aller Welt lebenslänglich versorge. Der unverstellte Eigennutz in der Bevorzugung von Talenten, die dann ihrerseits Leid lindern können, führt zum Ausbleiben moralischer Hochachtung. Die Freude der Zurückgebliebenen, die Geld aufs Konto bekommen und nicht aufs Wasser müssen, hat dagegen kaum Nachrichtenwert. Und doch bezeugt sie eine außergewöhnliche Hilfe zur Selbsthilfe.   Gunnar Heinsohn
DIE WELT brachte eine kürzere Fassung dieses Textes am 20. Juli 2018.

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