Wem in Deutschland sagt der Name Ömer Güney
etwas? Selbst Ermittler, Journalisten und Politiker, die sich über Jahre
in viele Details des NSU-Komplexes eingearbeitet hatten, können mit dem
Namen in der Regel nichts anfangen.
Juristisch gilt der Komplex des Nationalsozialistischen Untergrunds mit
dem Urteil gegen Beate Zschäpe und eine Reihe weiterer Angeklagter seit
dieser Woche als abgeschlossen. Die beiden, die als Köpfe des NSU
galten, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, kamen bekanntlich schon am 4.
November 2011 ums Leben. Das Urteil gegen ihre Komplizin Zschäpe –
lebenslange Haft – geht als Novum in die Rechtsgeschichte ein: einer
Frau, der die Staatsanwaltschaft nicht in einem Fall nachweisen konnte,
an einem der 27 NSU-Tatorte dabei gewesen zu sein, wurde die
Mittäterschaft zur Last gelegt aufgrund ihrer Verbindung mit zwei
Männern, deren DNA sich an keinem der 27 Tatorte fand.
Aber
zurück zu Ömer Güney. Er gehört nicht zu den neun Toten der so genannten
Ceska-Serie – den Morden an türkisch-kurdischen Kleinunternehmern, die
zwischen den Jahren 2000 und 2006 dem NSU-Urteil zufolge mit einer
schallgedämpften 7,65-Millimeter-Ceska-Pistole in Deutschland erschossen
wurden. Güney war ein Täter – ein mutmaßlicher Agent des türkischen
Geheimdienstes MIT. Er erschoss am 19. Januar 2013 im Kurdistan
Informations-Center in Paris die drei kurdischen PKK-Aktivistinnen Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Söylmez.
Als
Waffe benutzte er eine schallgedämpfte Browning des Kalibers 7,65
Millimeter. Nicht nur in Kaliber und Ausstattung der Tatwaffe glich der
Dreifachmord den Morden der Ceska-Serie, sondern auch in den anderen
Umständen: Es waren professionelle Hinrichtungsmorde am Arbeitsort der
Opfer. Die französische Polizei überführte Güney; die Tat führte zu
erheblichen diplomatischen Verwerfungen zwischen Paris und Ankara. Die
türkische Regierung wies jede Verantwortung für die Exekutionen zurück.
Für Januar 2017 war der Mordprozess angesetzt. Kurz vorher klagte Güney
über unklare Kopfbeschwerden, er wurde aus der U-Haft in ein Pariser
Krankenhaus verlegt. Dort verstarb er am 17. Dezember 2016 unter
ungeklärten Umständen.
Die französischen Ermittler fanden einiges
über Güneys Lebensweg heraus. Unter anderem, dass er von 2003 bis 2011
in Deutschland gelebt hatte, genauer, in Bayern. Drei Opfer der
Ceska-Serie starben bekanntlich in Nürnberg, zwei in München. In
französischen und englischsprachigen Medien gab es eine Fülle von
Berichten über Güney und die Morde, in Deutschland nur sehr wenige. Aber
kein Artikel stellte einen Zusammenhang mit den Exekutionsmorden
gleichen Stils in Deutschland her. Auch der Autor verfügt nicht über
einen bisher unbekannten Beleg. Dieser Artikel dient nur der
Zusammenstellung von Fakten, die möglicherweise überhaupt nichts
miteinander zu tun haben. Natürlich dient diese Zusammenstellung auch
weder der verbotenen PKK, noch stellt sie die Existenz des NSU in Frage.
Dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in Jena versucht hatten, eine Bombe
zu bauen, dass sie für eine Serie von Banküberfällen und einen
Sprengstoffanschlag verantwortlich waren – dafür gibt es Belege. Das
Blut der 2007 in Heilbronn erschossenen Polizistin Michèle Kiesewetter
fand sich auf einer Jogginghose, die Uwe Böhnhardt zugeordnet wurde.
Die
Frage, die sich aus Sicht von etlichen Mitgliedern des
Bundestags-Untersuchungsausschusses zum Komplex NSU nie befriedigend
klären ließ, lautet: Wie passen die Hinrichtungen von acht türkischen
Kleingewerbetreibern und einem Griechen in Ladenlokalen zwischen München
und Rostock – jedes Mal ohne verwertbare Spuren – zu dem Täterprofil
der beiden Uwes? Woher hatten reisende Täter derart gute Ortskenntnisse?
Das Ladenschild des im August 2001 in München ermordeten Habil Kilic
beispielsweise lautete „Lebensmittel Getränkehandel Gerd Simon“. Dass
ein türkischstämmiger Unternehmer das Geschäft führte, konnte kein
Durchreisender wissen.
Warum endet die Ceska-Serie 2006, obwohl
die NSU-Täter bis November 2011 aktiv waren und über ein ganzes Arsenal
an Waffen verfügten, inklusive der Ceska? Warum kam die Ceska nur bei
den Hinrichtungen der Geschäftsleute zum Einsatz, aber weder bei einem
der Banküberfälle noch bei der Ermordung Michèle Kiesewetters?
Auf
Nachfrage wollte Zschäpes Anwalt Wolfgang Heer nicht kommentieren, ob
der Fall Güney in Paris in seiner Verteidigung eine Rolle gespielt
hatte. Der ehemalige Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses
Clemens Binninger sagte, wenn der Name und die Morde in Paris
vorgekommen sein sollten, dann jedenfalls nicht prominent.
In dem
Komplex NSU finden sich sehr viele lose Fäden, von denen viele ins Leere
führen. Manche wurden möglicherweise nicht ausreichend verfolgt. Zu den
ungeklärten Punkten gehören auch die so genannten Bekenner-Kassetten –
aufwendig geschnittene DVDs mit Bildern der Ermordeten aus der
Ceska-Serie, unterlegt mit rechtsradikaler Musik und dem NSU-Logo.
Obwohl die Mordserie 2006 endete, wurden einige DVDs erst nach dem Tod
von Böhnhardt und Mundlos verschickt, die meisten fielen in die Hände
der Polizei. In der von Explosion, Feuer und Löschwasser verwüsteten
Wohnung Zschäpes in der Zwickauer Frühlingsstraße fanden die Beamten
2011 nach Angaben der Bundesanwaltschaft 35 versandfertige
Briefumschläge mit Kassetten. Sechs weitere Exemplare fanden sich in
einem Rucksack aus dem ausgebrannten Wohnmobil von Böhnhardt und Mundlos
– allerdings erst bei einer nochmaligen Durchsuchung des Rucksacks nach
dem 4. 11. 2011. Zu dem Rucksack fand sich sogar eine Kaufquittung – er
wurde zwei Tage vor dem Tod der beiden Uwes erworben.
Fest steht,
dass eine DVD zu einem Zeitpunkt in den Briefkasten einer Zeitung
gesteckt wurde, als Zschäpe schon in U-Haft saß. Dokumentiert durch
Aussagen von BKA-Beamten in dem Prozess ist außerdem, dass Strom- und
Wasserverbrauch der Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße – dem
Quartier also, das bis zuletzt Quartier des NSU-Trios gewesen sein
sollte – eher für eine Person passte als für drei. Der
NSU-Untersuchungsausschuss hielt auch fest, dass die Ermittler den
Rechner nie aufspürten, auf dem die Endversion des Bekennervideos
hergestellt wurde.
Möglicherweise gibt es – wie gesagt – einfach
nur viele offene Fragen zum NSU und gleichzeitig erstaunliche
Ähnlichkeiten der Ceska-Morde mit der dreifachen Hinrichtung in Paris
2013. Vielleicht finden französische und/oder deutsche Fahnder
irgendwann etwas zu den deutschen Jahren von Ömer Güney, und es stellt
sich heraus, dass sich keine Fäden seines Falls mit dem des NSU
berühren.
Die Familien der drei erschossenen PKK-Aktivistinnen setzten jedenfalls im Februar 2017 durch, dass der Komplex Güney und Paris noch einmal untersucht wird. Wendt
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