Auf die Formel C19H28O2
lässt sich ein großer Teil der deutschen Politik bringen. Darüber
wissen und geben ausgewiesene Gesellschaftschemiker der Grünen wie der
Medien Bescheid, selbst wenn ihnen das Kürzel oben auf die Schnelle
nichts sagen sollte. Es handelt sich
nämlich um die Summenformel von Testosteron, dem Stoff also, ohne den es
Horst Seehofer, Markus Söder und den Masterplan gar nicht gäbe. Von der
zusätzlich nach 16S (Sulfur, Schwefel) stinkenden Partei einmal ganz abgesehen.
Testosteron
gehört zu den Sexualhormonen, es kommt bei männlichen und weiblichen
Tieren und bei Männern und Frauen in unterschiedlicher Stärke vor. Ein
hoher Testosteronspiegel fördert Barthaarwuchs, leider aber auch
Kopfhaarausfall, Aggressivität, aber auch, je nach Perspektive,
Entschlussfreude. Von dem Hormon allein hängt bei Menschen relativ wenig
ab; seine Wirkung ergibt sich erst aus dem Zusammenspiel mit anderen
Hormonen – etwa Cortisol – und einer ganzen Reihe von seelischen und
sozialen Bedingungen. Bemerkenswerterweise, jedenfalls legt das eine Untersuchung der Universität Bonn nahe, lügen Männer mit höherem Testosteron im Schnitt weniger als Geschlechtsgenossen mit einem niedrigeren C19H28O2-Spiegel.
Solche
komplizierten Darlegungen sind natürlich nichts für Qualitätsmedien und
Qualitätspolitiker. Beide Milieus bestehen zwar darauf, dass einfache
Erklärungen immer die falschen sind, aber das gilt selbstredend nur für
die einfachen Erklärungen, die andere Leute abgeben. In der fast
vergangenen Woche stand für die meisten Grünen-Politiker und Angehörigen
des Berliner Kommentariats fest, wer oder vielmehr was schuld war an
die Regierungskrise: das Testosteron, der Stoff des Bösen.
„Was ist da nur los mit diesen ganzen testosterongesteuerten Männern in Bayern?“,
fragte die Klima-, Hormon- und Frauenkirchenexpertin Katrin
Göring-Eckardt am vergangenen Sonntag bei „Anne Will“, als um 22.47 die
etwas voreilige Meldung über Seehofers Rücktritt in die Runde gereicht
wurde.
„Bei der CSU regieren Ego und Testosteron“, fand Anton Hofreiter – ein Missstand, der bei den Grünen nie vorstellbar war, da sei Joseph Fischer vor.
„Politik nach persönlichem Hormonhaushalt“
diagnostizierte auch Tagesschau-Chefredakteur Kai Gniffke in seinem
Kommentar über den Seehofer-Rücktritt. Immerhin stimmte in Gniffkes
Monolog die Feststellung, dass CSU-Politiker über einen Hormonhaushalt
verfügen.
Im Vollgefühl der „Seehofer-ist-weg“-Sondermeldung
tippte die „Welt“-Feuilletonredakteurin Hannah Lühmann eine Art
Siegeserklärung gegen das Testosteron herunter:
„Wie die
Kanzlerin einen Mann nach dem anderen dazu bringt, sich vor den Augen
der Welt selbst zu zerlegen, ist grandios. Warum ist sie nicht längst
eine Ikone des neuen Feminismus?“
Denn:
„Merkel
ist eben keines von diesen wildschweinhaften Machttieren, die sich
gegenseitig in ihren Volten und Finten zu überbieten suchen. Sich in der
Sache auskennend, lässt sie die Männer sich in ihr Unheil verstricken,
ohne mit der Wimper zu zucken. Und aus diesem Grund übernehme ich jetzt
einfach mal die Rolle des kritiklosen Fans: Danke, Angela Merkel!“
Wobei
kritisch-skrupulöse Kanzlerinnenfans ja generell selten und unter
berlinmittigen Medienschaffenden praktisch nie vorkommen, aber das nur
nebenbei. Und noch ein Warnhinweis an die Leser und vor allem Schreiber:
Wenn Sie ihrerseits Grünenpolitikerinnen und Feuilletonredakteurinnen
kritisieren möchten, dann meiden Sie in jedem Fall hormonbasierte
Erklärungen, denken Sie noch nicht einmal an ein Wort wie
„Östrogenrausch“ und benutzen Sie auf keinen Fall Tiervergleiche. Don’t try this at home! Anderenfalls
handeln Sie sich lange, lange Hashtag-Debatten über Alltagssexismus und
Biologismus und brandneue, mit keinem Steuergeld der Welt zu
befriedigende Kampfvereine sonder Zahl ein.
Um auf Hannah Lühmann zurückzukommen: „Sich in der Sache auskennend.“
Das ist kein schlechtes Stichwort. Vor kurzem hielt der ehemalige
Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier in
Frauenchiemsee einen Vortrag über Migration, Verfassung und Völkerrecht,
der es kaum in die Medien schaffte, vermutlich auch deshalb, weil
Erörterungen dieser Art als zu dröge für Feuilletons und
ARD-Plauderrunden gelten. Außerdem steht Papier natürlich unter
Hormonverdacht. Trotzdem hier die schon einmal auf Publico zitiert
zentrale Sätze des Vortrags:
„Unter rechtlichen
Gesichtspunkten ist festzuhalten, dass es weder nach deutschem
Verfassungs- und Verwaltungsrecht noch nach europäischem Recht noch nach
dem Völkerrecht für Nicht-EU-Ausländer ein vorbehaltloses Recht auf
Einreise in das und auf Aufenthalt im Bundesgebiet gibt. Ein
vorbehaltloses Recht auf Aufnahme in der Europäischen Union zum Zwecke
der Durchführung eines – von vornherein aussichtslosen – Asylverfahrens
besteht ebenfalls nicht. Es gibt ein solches individuelles Menschenrecht
auf einen Aufenthalt und auf ein Leben in einem fremden Staat der
eigenen Wahl, also auf Einwanderung in den Staat der eigenen Präferenz
nicht, selbst wenn die Einreise formal mit einem ersichtlich
unzulässigen oder offensichtlich unbegründeten Antrag auf Asyl verbunden
wird oder wenn der Asylantrag in einem erkennbar unzuständigen
Mitgliedsstaat der EU gestellt werden soll. Ohne eine solche
Einreiseerlaubnis ist die Einreise nach Deutschland oder in die
Europäische Union illegal; sie ist de iure grundsätzlich zu verweigern.
Die Verwaltungspraxis in Deutschland entsprach und entspricht dem
eindeutig nicht.
In der Folge der Fehlentwicklungen leben
in Deutschland sehr viele Ausländer, die den materiellen Status als
Flüchtling nicht erlangt haben, ihn nie erlangen werden oder ihn
aufgrund unkorrekter, oberflächlicher, zum Teil sogar absichtlich
fehlerhafter Anwendung geltenden Rechts in fragwürdiger Weise erlangt
haben.
Die Handhabung des Asylrechts muss sich strikt
auf das konzentrieren, was es leisten kann und was es leisten soll:
Nämlich aktuell politisch verfolgten Menschen Schutz zu gewähren, in der
Regel durch ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht.
Die
unverzichtbaren Elemente der verfassungsrechtlichen Identität
Deutschlands, nämlich Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat, setzen
souveräne Staatlichkeit voraus. Die Existenz eines Staates setzt aber
die Fähigkeit voraus, seine Grenzen zu schützen.“
Bei
dem, was Seehofer, Söder, die CSU und außerdem etwa zwei Drittel der
deutschen Wähler wildschweinhaft und hormongetrieben wollen, handelt es
sich um die Anwendung des deutschen Rechts an der deutschen Grenze. Um
es noch weiter zu konkretisieren: Es geht darum, zwei Migrantengruppen
die Einreise zu verwehren, nämlich denjenigen, für die ein
Einreiseverbot besteht, und denen, die schon mit ihrem Asylantrag in
einem anderen EU-Land erfasst sind. Also um eine begrenzte Zahl von
Migranten, die unter keinen nur denkbaren Umständen in Deutschland
asylberechtigt sind.
Der gesamte Streit der vergangenen zwei
Wochen einschließlich Fast-Koalitionsbruch und schon einmal in den Raum
geworfener Neuwahlen rührte einzig und allein von der Weigerung Merkels
her, ihre Asylpolitik wenigstens in diesen beiden Fußnoten an das
geltende Recht anzupassen. Mittlerweile ruht die Hoffnung Merkels und
ihrer Verehrer darauf, dass die entsprechenden Rücknahmeabkommen mit
anderen EU-Ländern nicht zustande kommen, beziehungsweise darauf, dass
sich der Versuch einer zaghaften Ordnung an den Grenzen noch irgendwie
juristisch vereiteln lässt.
Ein Argument im
Göring-Hofreiter-Lühmann-Gniffke-Kosmos lautet neuerdings auch: Aber die
Zurückweisung würde doch so wenige betreffen. Nur fünf Migranten am
Tag! Ja eben, könnte man mit ruhigem Hormonspiegel sagen. Deshalb, wegen
dieser eher bescheidenen technischen Korrekturen sollte ja nach fester
Auffassung der Tugendpartei gerade noch ganz Europa zerbrechen, Putin
und Trump triumphieren und der bekanntlich komplett aus tiefgefrorenem
Testosteron geschnitzte Saruman seine Oberherrschaft über den Erdkreis
antreten.
Die Fähigkeit, jedes politische Thema auf
hormonküchenpsychologische Ebene herunterzuschwatzen, während derweil
anderswo harte Fakten geschaffen werden beziehungsweise sich selbst
schaffen – diese Fähigkeit gehört sicherlich zu den Kernkompetenzen in
Politik und Medien der Merkel-Ära.
Dabei gibt es eine Pointe: Dank
der Politik Merkels, dank des von den Lühmanns und Göring-Eckardts und
Anja Reschkes geschaffenen Klimas gedeiht testosterongesteuerte,
toxische und gelegentlich wildeberhafte Männlichkeit so prächtig wie
noch nie in diesem Land. Sie wandert ein, sie kommt, um zu bleiben, sie
schafft sich Respekt mit dem Messer, prügelt auf dem Weg der frommen Anstrengung Kippaträger und schwule Paare aus der Öffentlichkeit und
senkt die Frauenquote in nächtlichen S-Bahnen und auf öffentlichen
Silvesterfeiern ruckzuck auf das Niveau der 50er Jahre und demnächst
noch tief darunter.
Wie oben zitiert – es spricht einiges dafür,
dass Testosteron in höheren Dosen dazu führt, dass Männer die Wahrheit
sagen. Vor allem dann, wenn sie sich statusbedingt sowieso nicht
verstellen müssen.
Wer beobachtet, wie kurdisch-libanesische Clans
in Berlin mehr und mehr zu quasistaatlichen Ordnungsmächten aufsteigen,
die vielleicht die Straßenschläger dann einhegen, vielleicht auch
nicht, der sieht schon einmal ein Zukunftsmodell für ein halbes Dutzend
weiterer Großstädte in Deutschland. Dort entsteht gerade ein Milieu, in
dem Mann aus tiefster Seele sowohl Ja zum Testosteron sagt als auch zu
offenen Grenzen, zu privatem Waffenbesitz, 200-PS-Autos und
Freudenschüssen aus Hochzeitskonvois heraus auf Berliner Straßen, zu
Schweinefleischverzicht und einer ausgeprägt polizeikritischen Haltung.
Auch
wenn man es nicht sofort sieht: es gibt sogar eine wichtige
Überschneidung zwischen den Göring-Gniffke-Lühmanns und den neuen
Testosteronmännern des Landes. Beide halten jeden anderen Innenminister
als Anton Hofreiter für ein Problem. Wendt
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.