Die
Bundesregierung hat sich von der Türkei so sehr abhängig und erpreßbar
gemacht, daß sie sich Selbstachtung und Anstand nicht leisten kann. Das
ist die Botschaft, die sie mit ihrem jüngsten Bubenstück um die
Armenien-Resolution des Bundestags aussendet.
Zuerst wurde die Meldung durchgestochen, die Regierung sei zum
Kniefall in Richtung Ankara bereit und wolle sich distanzieren. Dann goß
der Regierungssprecher Öl auf die Wogen des öffentlichen Unmuts und
erklärte, man distanziere sich keineswegs, Gott bewahre, das stünde der
Bundesregierung gar nicht zu, der Bundestag habe das Recht und die
Möglichkeit, sich zu jedem Thema zu äußern. Allerdings habe der Beschluß
keinerlei rechtliche Bindung.
Das ist der korrekte Sachverhalt, doch ihn bei der Gelegenheit
auszusprechen, war genau der Kotau, auf den Erdoğan gewartet hatte.
Ihm
wurde zu verstehen gegeben, das deutsche Parlament sei nicht ernst zu
nehmen. Das entsprach dem Gebaren Wilhelms II., der den Reichstag schon
mal als „Reichsaffenhaus“ tituliert hatte. Wie soll das Ausland, wie
sollen die Migranten ein Land respektieren, das sich und seine
Institutionen so wenig achtet?
Der Bundestag hat gleichfalls zum Respektverlust beigetragen. Die
Flüchtlingspolitik, die die Erpreßbarkeit Deutschlands verstärkt hat,
wird von ihm mitgetragen. Die wenigen kritischen Anmerkungen und
Alternativvorschläge verraten mehr moralischen Wilhelminismus als
realpolitischen Weitblick. Von Erdoğan mag man halten, was man will, die
Türkei bleibt auf jeden Fall ein wichtiger Bündnispartner innerhalb der
Nato.
Man hätte vorher wissen müssen: Den türkischen Präsidenten mit einer
Resolution zu desavouieren kommt einer außenpolitischen Sabotage gleich.
Was die Osmanen den Armenien angetan haben, erfüllt die Merkmale des
Völkermords, doch es steht dem Bundestag nicht zu, den Türken die
Bewertung ihrer Geschichte vorzuschreiben. Die Einsichten müssen in ihnen selbst reifen; abgepreßte Bekenntnisse
sind nicht nur wertlos, sie wecken auch neuen Groll. Im übrigen drohen
der Bundestag und die deutsche Außenpolitik damit zu Plattformen für
innertürkische und andere Nationalitätenkonflikte zu verkommen.
Die Bilder vom Treffen der Kanzlerin mit Erdoğan am Rande des
G-20-Gipfels sprechen eine deutliche Sprache. Im Hintergrund sind zwei
türkische Flaggen drapiert, während die deutsche lediglich als
Tischfähnchen geduldet wird. Um so grotesker wirkt Merkels Aufforderung
an die Türken hierzulande, loyal zum deutschen Staat zu sein.
Loyalität ist eine Tauschbeziehung von Schutz und Gehorsam. Warum
aber soll man dem Staat Gehorsam leisten, wenn er einem ohnehin alles
gewährt, was man will, und die Kanzlerin persönlich den Eindruck
vermittelt, den letzten Rest an Autorität dem Sultan übergeben zu haben. Thorsten Hinz
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