Als Thomas Wawerka Anfang 2014 seine ersten Kommentare
auf diesem Blog verfaßte, freuten wir uns an dem hübschen &
subtilen Pseudonym. Der „Wawerka“ aus Erich Kästners Fliegendem
Klassenzimmer! Nach weiteren klugen und besonnenen Beiträgen googleten
wir diesem „Wawerka“ ein bißchen hinterher. Witzig war, daß es einen
evangelischen Pastor mit Namen „Thomas Wawerka“ (Jahrgang 1975) gleich
um die Ecke, im sächsischen Frohburg gab!
Als sich der Verdacht erhärtete, daß hier einer mit offenem
Visier schrieb, nahmen wir Kontakt auf. Ob das nicht ein bißchen
tollkühn sei, in heutigen Zeiten unter Klarnamen zu schreiben? Nein,
beschied Wawerka, er habe ein reines Gewissen. Er predige auf der Kanzel
niemals politisch und äußere im Kommentarbereich hier ja nichts, was
irgendwie krude oder nicht von dem verbrieften Recht auf freie
Meinungsäußerung gedeckt sei. Und doch: Die Einschläge kamen näher.
Beizeiten wurde Pfarrer Wawerka „ins Gebet“ genommen und seit September
ist der Pfarrer arbeitslos. Sein Vertrag wurde nicht
verlängert. “Natürlich“ habe das nichts mit seiner politischen
Einstellung zu tun. Ich habe mit Thomas Wawerka ein Gespräch über seinen
Fall geführt, er selbst ist für Nachfragen oder
Unterstützungsvorschläge ab sofort erreichbar unter
wawerka(at)sezession.de. Ich leite die Nachrichten an ihn weiter.
Kositza: Herr Wawerka, wen haben Sie vor den Kopf gestoßen? Teile Ihrer alten Gemeinde?
Wawerka: Da ist etliches hinter verschlossenen Türen
geschehen, das ich nur zum Teil erfahren habe oder durchschaue. Meine
Gemeinde hat jedoch nichts damit zu tun, die hätte mich gern als Pfarrer
behalten. Ich pflegte ein gutes Verhältnis zu den Mitarbeitern und eine
konstruktive Zusammenarbeit mit dem Kirchenvorstand, die allermeisten
Gemeindeglieder kamen gut mit mir klar, und ich mit ihnen ebenfalls. Ich
bin von Herzen begrüßt und eher unter Schmerzen verabschiedet worden.
Die Entscheidung, meinen Arbeitsvertrag nicht zu verlängern, wurde von
meinen Vorgesetzten (dem Superintendenten in Borna und der
Personaldezernentin im Landeskirchenamt in Dresden) ohne jegliche
Rücksprache mit der Gemeinde getroffen. Das bedeutet, daß es bei dieser
Entscheidung nicht um die Beurteilung meiner Arbeit ging, sondern um
mich persönlich; darum, ob ich ins Profil der Evangelisch-Lutherischen
Landeskirche Sachsens passe. Offensichtlich ist das nicht der Fall.
Kositza: Wie hat man das denn begründet?
Wawerka: Die Begründungen waren zum Teil an den
Haaren herbeigezogen. Beispielsweise wurde mir vorgeworfen, daß ich mit
der kirchlichen Ämterhierarchie nicht klar käme – dabei habe ich das
bißchen Hierarchie, das es noch gibt, gegen die fast schon
selbstverständlichen Nivellierungstendenzen verteidigt. Oder daß ich
illoyal gegenüber meinen Amtskollegen wäre, was ich geradezu grotesk
finde, da meine Loyalität schwer zu brechen ist und ich auch mit den
linken und/oder liberalen Kollegen stets das theologisch
und zwischenmenschlich Einende als Basis suchte – Sie wissen, wie ich
mich geziert habe, diesem Interview zuzustimmen, aus Sorge, es könne als
Illoyalität aufgefaßt werden.
Der Kern war der für mich absurde Vorwurf der
„Menschenfeindlichkeit“. Es gab da einen gut gefüllten Aktenordner, der
alle Kommentare enthielt, die ich auf SiN, auf Facebook und wohl auch
anderswo gepostet habe. Ich habe immer unter meinem Klarnamen gepostet,
und zuweilen habe ich gewiß zugespitzt oder in ironischer Übertreibung
formuliert, manchmal auch grob.
Kositza: Ich kenn durchaus solche Zuspitzer und
Grobiane aus unserem Kommentarbereich, die aber dennoch ein gutes Herz
haben. Nun erinnere ich mich an ü b e r h a u p t keine Überspitzungen
aus Ihrer Feder!…
Wawerka: Naja, vielleicht empfindet das jeder
anders. Aber auch mir als Pfarrer muß das zugespitzte oder grobe Wort
erlaubt sein. Wenn man sich nur noch zitierfähig äußern kann, bleiben am
Ende nicht mehr als nichtssagende Wortblasen übrig. Denken Sie nur mal
an Martin Luthers Sprache … Offensichtlich hat jemand alle meine
Kommentare gesammelt und sich bei der EKD-Leitung über mich beschwert.
Ich ahne auch, wer es ist. Die EKD hat wiederum Druck auf die sächsische
Kirchenleitung ausgeübt. „Ihretwegen haben wir jetzt richtig große
Probleme“, wurde mir im Landeskirchenamt beschieden. Die sächsische
Kirche steht ohnehin unter dem permanenten Verdacht, zu wenig gegen
„rechts“ zu tun, und mir war vom Landeskirchenamt das Etikett des
„Pegida-Verstehers“ zugeteilt worden. Die Auskunft, es ginge nicht um
meine persönliche politische Orientierung, sondern um die
„Menschenfeindlichkeit“ meiner Kommentare, erscheint mir ehrlich gesagt
hanebüchen. Ich vermute eher, hier sollte ein Exempel statuiert werden.
Kositza: Politische Predigten gibt es in Kirchen ja
bekanntlich zuhauf. Die sogenannte Flüchtlingskrise bot ja gerade
linksfühlenden Pfarrern reichlich Gelegenheit. Haben Sie die Kanzel denn
als Ort genutzt, um ein bißchen Wasser in den süßen Willkommenswein zu
gießen?
Wawerka: Nein. Das hat hauptsächlich zwei Gründe.
Zum einen nimmt man ja wahr, daß selbst sehr vorsichtige und
zurückhaltend kritische Äußerungen schnell skandalisiert werden können.
Mir steht das Beispiel einer Kollegin aus Brandenburg vor Augen, die im
Gottesdienst für verfolgte Christen betete, kurz darauf ein
Dienstaufsichtsverfahren wegen „Fremdenfeindlichkeit“ am Hals hatte und
seitdem unter dauernder Beobachtung ihrer Vorgesetzten steht. Das begann
wie auch bei mir mit der Pressure-group-Taktik linker
„Aktivisten“. Gegen Vorwürfe wie „Fremdenfeindlichkeit“ oder
„Menschenfeindlichkeit“ kann man sich nicht wehren, weil es um nichts
Objektives geht, das man widerlegen könnte oder das überhaupt
nachgewiesen werden müßte. Vielmehr kann der, der den Vorwurf erhebt,
den Begriff füllen, wie es ihm beliebt – und man findet sich plötzlich
in einer Ecke wieder, aus der man nicht mehr rauskommt, zumindest nicht
rhetorisch.
Zum anderen, und das ist für mich das schwerer wiegende Argument,
verstehe ich mich auf der Kanzel vorrangig als Ausleger der biblischen
Texte und als Glaubenslehrer, so altbacken das jetzt auch klingen mag,
aber das ist doch die eigentliche Aufgabe des Theologen und Predigers,
nicht das Bewerben oder Verwerfen politischer Positionen. Freilich
predigt man nicht in ein Nirwana hinein, sondern in eine konkrete
geschichtliche Situation mit ihren ethischen Herausforderungen; freilich
besteht eine Wechselwirkung zwischen Kirche und Welt, Glauben und
Leben. Mitunter kann es fruchtbar sein, politische Phänomene in der
Predigt mitzubedenken, wenn der Bibeltext das hergibt – obwohl ich das
brennend Aktuelle lieber ins Fürbittengebet hineinnehme, statt es mit
vielen Worten zu zerreden.
In den letzten zwei Jahren habe ich jedoch an keinem Gottesdienst
teilgenommen, in dem die Predigt nicht früher oder später auf die
Flüchtlingsproblematik zurechtgebogen wurde und in einem Gewitter
moralischer Appelle gegen „rechts“ endete, und das betrifft beide
Kirchen. Es ist für mich kaum zu begreifen und nur schwer zu ertragen,
dass so viele meiner Kollegen persönlich und die Kirchen insgesamt, als
Institutionen, sich derart politisch instrumentalisieren lassen. Das hat
sicher einiges mit den zeitgeschichtlichen Entwicklungen seit 68 zu
tun, muß darüber hinaus aber tiefere, geistliche Ursachen haben. Ich
habe mich jeglicher Instrumentalisierung entschieden verweigert und auf
der Kanzel ein strenges Regiment der „politischen Hygiene“ betrieben –
das schien mir notwendig, um meiner Berufung als Prediger gerecht werden
zu können.
Kositza: Gut. Nun steht man als Pastor doch aber „in
der Welt“ und kann daher nicht nur vom Himmel reden, wenn die Leute auf
Antworten auf diesseitige Fragestellungen warten, oder?
Wawerka: Genau. In meine Predigten aufgenommen habe
ich konkrete, anschauliche Begebenheiten. So schilderte ich im letzten
Weihnachtsgottesdienst die Geschichte einer Flüchtlingsfamilie aus dem
kurdischen Irak. Mann und Frau waren von ihren Eltern für jeweils andere
Partner bestimmt, verliebten sich aber und verweigerten die
Zwangsheirat. Die Frau gebar einen Sohn, blind und mit Gaumenspalte. Die
Eltern des Ehepaars erklärten, dies sei die Strafe Allahs für ihre
Sünde. Der behinderte Sohn sollte mit Drogen getötet werden. In ihrer
Verzweiflung besuchten die jungen Eltern den Gottesdienst einer
christlichen Gemeinde. Dort hörten sie als Evangelium Johannes 9,1-3.
Dieses Wort befreite sie aus ihrer Angst und Verzweiflung. Sie wurden
Christen, ließen sich taufen und nahmen als neue Namen „Josef“ und
„Maria“ an. Ihre Familien verstießen sie, sie erhielten Asyl in
Deutschland. Ich lernte sie in Borna kennen – eine Familie, die Asyl bei
uns benötigt, weil sonst ihr Leben in Gefahr ist; eine Familie, die
sich mit all ihrer Kraft bei uns zu integrieren versucht.
Mittlerweile sollen sie abgeschoben werden, irgendein Beamter hat den
Vorwurf erhoben, sie hätten sich nur taufen lassen, um sich Vorteile
für die Aufenthaltsgenehmigung zu verschaffen. Mit meinem katholischen
Kollegen habe ich einen Brief verfaßt, in dem wir diesen Vorwurf
widerlegen und für die Beibehaltung des Asyls plädieren. Zur Not hätten
wir ihnen auch Kirchenasyl gewährt. Diese persönliche Begegnung, diese
Geschichte mit all ihren Härten, in der doch gleichzeitig die Kraft des
Evangeliums so klar und deutlich aufscheint, schien mir ein gutes
Gegengewicht zur üblichen sentimentalen Weihnachtsfolklore zu bilden.
Auch die Anschläge in Paris vom 7.1. und 13.11. letzten Jahres habe ich
in meine Predigten und ins Gebet aufgenommen.
Als Pegida Fahrt aufnahm und in der Berichterstattung eine dumpfe,
ressentimentgeladene Hysterie dominierte, habe ich einen „offenen Abend“
veranstaltet, über die Unterschiede zwischen Christentum und Islam
informiert und den Fragen, die Pegida stellt, einen Raum zur Diskussion
gegeben. Das war ein Abend mit anregenden Gesprächen, mit offenem,
ehrlichem Suchen. Und auch das Gebet für die verfolgten Christen hatte
in meinen Gottesdiensten selbstverständlich einen festen Platz.
Jenseits der Kanzel habe ich mich mit meinen politischen Ansichten zu
erkennen gegeben. Ich habe sie niemandem aufgedrängt, sie aber auch
nicht zurückgehalten, wenn ich gefragt wurde. Die meisten Leute konnten
gut damit umgehen, etliche äußerten auch Anerkennung dafür, dass ich ins
Marschblasen des Mainstreams nicht mit einstimmte. Die meisten Leute in
den Gemeinden hier neigen zum strukturellen Konservatismus, und die
Erinnerung an die sozialen Mechanismen der DDR-Gesellschaft und die
befreiende Wirkung der Demonstrationen zur Wendezeit sind noch lebendig.
Kositza: Die Beendigung des Vertrags geschah ja nun nicht aus heiterem Himmel. Es gab Warnschüsse.
Wawerka: Los ging das vor etwa anderthalb Jahren.
Ich wurde von meinem direkten Vorgesetzten, dem Superintendenten, zu
Gesprächen eingeladen, die ganz freundlich mit der Frage begannen, wie
es mir ginge, ob ich mich eingelebt hätte usw., die aber mit der Warnung
endeten, genauer darauf zu achten, wo im Netz ich unter Klarnamen
schriebe – „damit sind Sie ja identifizierbar“. Ich nickte und wartete,
aber mehr kam nicht. Weder beim Superintendenten noch im
Landeskirchenamt kam es zu irgendeiner Art inhaltlicher Debatte. Nie.
Diese Debatte wurde vielmehr mit allen Mitteln verweigert. Ich wartete
darauf, aber mittlerweile habe ich begriffen, dass ich nicht mit dem,
WAS ich geschrieben habe, eine „rote Linie“ überschritt, sondern mit dem
WIE und WO.
Ziemlich zügig folgten weitere Gespräche, abwechselnd beim
Superintendenten und im Landeskirchenamt, zuletzt mit einem
Kirchenjuristen als Gegenpart. Mir war völlig klar, daß man mich „auf
dem Kieker“ hatte, aber damit konnte ich umgehen. Theologisch konnte man
mir ja nichts vorwerfen, von der praktischen Amtsführung her auch
nicht, und was meine Äußerungen im Netz betrifft, so halte ich diese für
überwiegend reflektiert und differenziert und durchweg innerhalb des
politisch und kirchlich-theologisch akzeptierten Meinungsspektrums
positioniert – ich dachte also, was soll mir schon passieren?! Die
Kaltschnäuzigkeit, mit der ich dann abserviert wurde, hat mich
überrascht und auch entsetzt.
Kositza: Und nun? Wie geht es weiter für Sie? Oder, in Coachingsprache gefragt: Wo sehen Sie sich in einem, in zwei Jahren?
Wawerka: Zunächst einmal muß ich erstaunt
feststellen, daß ich mich u.a. auch erleichtert fühle. Die Entbindung
von Amt und Würden bringt mehr Freiheit mit sich. Das Korsett, in dem
man sich als amtskirchlich ordinierter Gemeindepfarrer bewegt, ist schon
recht eng. Jetzt kann ich mich leichter bei Dingen einbringen, die ich
für wichtig halte, die mir vorher aber verwehrt waren bzw. zu
problematischen Folgen geführt hätten. Ein schönes Beispiel ist die
Friedensandacht, die ich in Schnellroda anläßlich des Aufmarschs
linksextremer/autonomer Demonstranten gehalten habe. (Für einen Lothar König
beispielsweise ist dergleichen natürlich kein Problem, aber er steht
eben auf der „richtigen Seite“.) Vielleicht ergibt sich so etwas in
Zukunft öfter.
Durch das, was ich im Lauf der Zeit erfahren habe, was ich selbst
erlebt oder mit anderen besprochen habe, ist in mir ein Bild gewachsen –
eine Vision, wenn Sie so wollen: Eine kleine Kirche, eine kleine
Kommunität, die dort im Rahmen eines traditionalen, kulturell
selbstbewußten, heimatverbundenen Christentums lebt und arbeitet. Die
mit anderer Stimme spricht und in der moralischen Debatte, von der jede
politische Äußerung begleitet und gerechtfertigt wird, entsprechend
andere Akzente zu setzen vermag. Die vielleicht jene Leute auffangen und
seelsorgerlich begleiten kann, die die Amtskirchen verlassen, weil sie
sich dort geistlich und politisch nicht mehr vertreten fühlen. – Ich
weiß, das ist eine sehr vage Vorstellung, und man bräuchte vor allem die
richtigen Leute, weiterhin auch Finanzen und andere Ressourcen, über
die ich nicht verfüge … Aber so ist das mit Visionen, wenn was dran ist,
wird Gott auch etwas fügen und wachsen lassen. Ellen Kositza
Man sollte sich mal fragen, wer eigentloch der Verräter ist. Mit Entsetzen stelle ich fest, dass in vielen Institutionen so viel gelogen und denunziert wird. DIe Stasi ist nichts dagegen! Selbst in der Kirche wird heute angeschwärzt und ausgestoßen und dann jubeln alle "Tugendwächter" darüber:
AntwortenLöschenhttp://www.theologiestudierende.de/2017/01/04/der-verlorene-sohn/
Es gibt überhaupt keine positive Haltung mehr zu Treue und Verpflichtung gegenüber von Tradition und GEschichte. Wohin soll das alles noch führen? Wer keine Geschichte und keinen Glauben und kein reines Gewissen mehr hat, der wird untergehen!!!