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Sonntag, 11. Dezember 2016

Lob vom Leibhaftigen

„Da wirst du aber von Rechts viel Beifall bekommen“. Zwischen den Zeilen: „Schäm dich!“. Das habe ich in letzter Zeit öfters gehört. Anlass waren Essays, Blogs, Facebook-Posts oder ähnliche Äußerungen, in denen ich meines Erachtens ganz konkrete aber haltlose Anschuldigungen „gegen Rechts“, oft genug gegen die AfD, kritisierte, die in Einzelfällen wie eine Lawine durch die deutsche Presselandschaft rollten, von der Wahrheit nicht zu stoppen.

Allein die bloße Vorstellung, dass es auch haltlose Vorwürfe gegen rechte Gruppierungen oder Äußerungen geben könne und dass man sie zur Sprache bringt, reichte für den Vorwurf. Nach dem Motto: Warum gehst du dem überhaupt nach? Bist du Funktionär der AfD?

Wenn wir die Gesellschaft noch tiefer spalten wollen, dann sollten wir weiterhin tunlichst darauf achten, keinen solchen Beifall von der anderen Seite aufkommen zu lassen, niemals, nirgends. Schön dichotom bleiben, jeder in seinem Lager, aufpassen, dass man nur Dinge von sich gibt, die die jeweils andere Seite in Rage bringt, provoziert, damit der Schlagabtausch weiter gehen kann, sich zuspitzt. Und vor allem: Niemals vergessen, auf welcher Seite man überhaupt steht. Aufweichung der Fronten: unstatthaft. Die gegnerische Gedankenwelt: eine No-go-Area.
Für viele scheint das in Fleisch und Blut übergegangen zu sein. Leider vor allem in den Medien, insbesondere in den Sendeanstalten. Jüngstes Beispiel: Die Debatte um die Tagesschau und die offensichtliche Angst, das bestehende öffentliche Interesse an dem Sexualmord in Freiburg und seiner Aufklärung Anfang Dezember zu bedienen. Immer schön darauf achten, die anderen nicht mit Informationen zu munitionieren. Der Haken an der Sache: Die – in dem Fall ja korrekten – Informationen kreisen sowieso, und der einzige Effekt, den Sendeanstalten mit ihrem gut gemeinten Schweigen erzielen, ist Vertrauensverlust. Bis hin zum abgenudelten – und weitgehend blödsinnigen – Vorhalt der „Lügenpresse“.


Besonders peinlich ist es, wenn die Informationen vorher bereits auf dem Tisch liegen, für alle sattsam bekannt, breit durchdiskutiert – und man trotzdem um den heißen Brei herumredet, um jeden Eindruck eines „falschen“ Schulterschlusses zu vermeiden. Hier ein Beispiel, auch wenn es schon einige Tage zurück liegt: Der öffentlich-rechtliche Berliner RBB lädt zur TV-Abendschau die Chefin der Berliner Kältehilfe ein, die für Obdachlose im Winter warme Schlafplätze besorgt. Der Verein schlägt Alarm, weil noch 100 von insgesamt etwa 700 Plätzen fehlen. Drei, vier Minuten dauert das ausführliche Gespräch, Moderatorin wie Befragte sind ratlos, klagen, dass nirgendwo in der Stadt Platz für jene 100 Betten sei. Auf die Frage nach den Gründen fällt der Interviewten ein: Die horrenden Mietpreise in der Stadt, vulgo: Geldgier der Investoren. Das klingt gut und trifft immer die Richtigen, natürlich. Man verspricht, dran zu bleiben, lotet die Chancen aus, das Problem bis zum ersten Kälteeinbruch irgendwie einer Lösung näher zu bringen. Fazit: Erst muss die Gentrifizierung beendet und der soziale Wohnungsbau gefördert werden, dann gibt’s die 100 Betten für Obdachlose.
Es ist in dem Moment nur sehr schwer erträglich für die Zuschauer, die natürlich wissen, was in der Stadt los ist. 100 Plätze fehlen, wie bitte? Keinerlei Hinweis, Frage, Erwähnung der rund 40.000 Flüchtlinge, die in Berlin in Massenlagern wohnen, und darüberhinaus unzählige weitere, zwischen 10.000 und 30.000 in Wohnungen. Natürlich wissen das auch

die beiden im Fernsehstudio, die sich gerade unterhalten, aber sie sagen dazu nichts, kein Wort, ganz offenbar aus Angst, Ressentiments zu wecken – mit anderen Worten: Beifall von den Falschen zu erheischen.
Dabei geht es ja gar nicht darum, Obdachlose gegen Flüchtlinge auszuspielen, kein Syrer müsste auf die Straße gejagt werden. Allein die Existenz der vielen Zehntausend Flüchtlinge aber, für die bestens gesorgt ist, macht die Not bei den 100 (!) Obdachlosenplätzen schlicht absurd. Es kann nicht sein, dass 60.000 Asylbewerber (Platz wäre ja für noch weitere Zehntausende mehr geschaffen worden) unterkommen, die paar Dutzend Obdachlose aber im Winter erfrieren müssen. Warum erwähnt man das nicht? Genau, um nicht ungewollt denen Argumentationsfutter zu liefern, die sagen könnten: Den Flüchtlingen gibt man’s, für einheimische Obdachlose ist kein Platz, „wir müssen leider draußen bleiben“. Dann erwähnt man lieber das böse hohe Mietniveau in Berlin, statt jene Absurdität, die eklatante Verhältnisunmäßigkeit anzusprechen.
„Wer sich vor der Furcht vor Beifall von der falschen Seite abhängig macht, beginnt in wichtigen Augenblicken zu schweigen“, hat Günter Grass einmal gesagt. Keiner kann sagen, ob er das in diesem Zusammenhang auch gesagt hätte. Zutreffend wäre es allemal.
In der Sache war es ja völlig egal, ob in dem Fall das naheliegende Thema, die bestehenden Massenunterkünfte für Asylbewerber, angesprochen wird oder nicht. In den Köpfen sind die sowieso. Verschweigen nützt eben nichts, es schadet nur.


Nur vordergründig können die Akteure bei einer derart massiven Verdrängung mit sich selbst im Reinen sein: In solchen Situationen ist Platz im Kopf allein für das – womöglich ja auch nur imaginäre – eigene Lager, und das soll nichts zu meckern haben, man will Angriffsflächen vermeiden, insbesondere dem Vorwurf mit dem Beifall von den Falschen ausweichen.
Unterm Strich aber sind die Folgen fatal: Gerade auch bei gutwilligen Sympathisanten der Flüchtlinge und beileibe nicht nur bei den vielzitierten „Populisten“ (was genau ist das eigentlich?) kommen Zweifel an der Lauterkeit, am objektiven Erkenntnisinteresse des Journalismus auf. Und schon wieder geistert der Gedanke an die „Lügenpresse“ – mindestens aber „Lückenpresse“ – in einigen zusätzlichen Köpfen herum, denen man dies vorher nie zugetraut hätte. Wieder verstummt irgendwo das überlegene Lachen über diesen Begriff. Im Übrigen sind die Lager verfestigt, verharren im engeren Horizont. Aber sind sie das auch in der Breite, ist die Diskussion so eng? Vielleicht wollen viele das ja nur, nichts geht schließlich über ein klares Weltbild.

 
Nur so ist wohl auch der Hinweis auf dem Schaufenser eines gehobenen Berliner Lokals zu verstehen, wo unter einigen anderen Logos – mit Verboten von Handys, Fotoapparaten, Waffen – mit einem weiteren ausdrücklich auch die AfD ausgeschlossen wird. So wie anderswo Hunde angesprochen werden: „Wir müssen leider draußen bleiben“. So welche von der AfD werde er nicht bedienen, sagt der Inhaber. Wahrscheinlich sähe er den Vergleich mit den Hunden nicht einmal als unangemessen. Man stelle sich vor, ein Logo klebe auf einem Geschäft: „Ausländer unerwünscht“. Wie lange die Scheibe wohl halten würde?
Die Kehrseite solcher Exklusion: Das klare Weltbild verfestigt sich auch im anderen Lager. Diejenigen die so verfahren, nehmen sich unnötigerweise selbst die Chance, mit ihren Argumenten auf der „anderen Seite“ Verständnis zu wecken, Nachdenklichkeit für die eigene Position zu erzeugen, wenigstens zarte Zweifel am Hassgebaren zu säen. Ein solches Tabu hindert Bereitwillige auf allen Seiten schon im Ansatz, Brücken zu bauen. Vor allem, wenn man dort, wo sich solche Brückenbauten zart abzeichnen, dieselben als Teufelszeug sofort wieder einzureißen trachtet. Der harte Kern der linksliberalen Szene reagiert geradezu allergisch, wenn beim einen oder anderen Politiker, den man im eigenen Lager wähnt, selbst Nachdenklichkeit aufkommt. Etwa bei profilierten, aber auch offenen, nachdenklichen Grünen wie dem Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann oder dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, die Merkels Flüchtlingspolitik kritisieren.
Die Webseite der ARD zitiert Palmer, die mit ihm sprach, hinterher indirekt so: „Schwieriger als die Kritik aus der eigenen Partei sei für ihn der Beifall von der falschen Seite. So lobte ihn etwa die Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling als ‚vernünftigen, klar denkenden und mutigen Politiker’.“ Ist das so schlimm für ihn? Schwierig, ja, wegen der eigenen Klientel. Aber was heißt das denn? Fühlt er sich schon als Nazi? Anders herum wird ein Schuh daraus: Selbst, nein, gerade dann, wenn Festerling damit nur die Hoffnung verbindet, die andere Seite zu spalten, gibt es keinen Grund, Palmer deshalb zu kritisieren, im Gegenteil. Tut man es, ist Festerling wieder einen Schritt näher am Ziel. Aber vielleicht will man ja auch genau das, einfach von der Hand zu weisen ist es nicht. Die Zuspitzung als strategisches Ziel ist sattsam bekannt, auf allen Seiten, seit Strauß’ Zeiten.
Wenn es nur um Festerling und die Grünen ginge, wäre die Standortbestimmung, die Grenzziehung ja vielleicht noch leicht. Ansonsten, im alltäglichen Diskurs ist die „andere Seite“, die „falsche Seite“ längst nicht mehr so klar. In den Sozialen Medien tummelt sich alles nur Denkbare zwischen Total-Altruisten auf der einen Seite, die am liebsten für sämtliche ausreisewilligen Afrikaner einen kostenlosen Shuttle nach Europa einrichten wollen, und auf der anderen Seite Ausländerfeinden, die allen Migranten den Laufpass geben oder sie lieber gleich erschießen wollen. Dazwischen findet sich ein flächendeckender Parcour an Nachdenklichkeit, an Fragezeichen, ja auch an offenen Diskussionen, über Obergrenzen für Flüchtlinge, über den Pressecodex, über Integrationswillige und Unwillige, über Abschiebungen, über Auffangstationen in Afrika, über Tabus in der Diskussion und ihre Aufhebungen, und dies beileibe nicht nur am (sowieso völlig verkannten) Stammtisch, sondern durchaus auch im teuren Weinlokal. Im Idealfall, ja, so sollte es doch auch sein, schwanken dabei die persönlichen Meinungen im Zeitverlauf. Die „Grenzen“ sind fließend. Wo beginnt da die „andere Seite“, die „falsche“, wie weit reicht die „richtige“? Mit der wachsenden Unschärfe dieser Grenzen jedenfalls steigt die Absurdität des Vorwurfs: „Beifall vom Falschen“.

In vielen Redaktionsstuben – in denen man viel zu lange Jahre im eigenen Saft schmorte, dies pflegte und offenbar genoss – hat man es immer noch nicht kapiert: Was man dort als Rechtspopulismus beklagt (was immer das sein mag), ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, als Diskurs, nicht als vorgefestigte Haltung. Wer heute noch meint, bei den „Populisten“ handele es sich nur um finanziell und intellektuell Abgehängte, die man getrost durch mediale Herabwürdigung isolieren und zurückdrängen könne, indem man durch Lautstärke und vor allem Geschlossenheit jene Grenze des „Erlaubten“ immer enger um die eigenen Maximen herumführt – der hat nichts kapiert. 
Wer angesichts der im Privaten und in den Netzwerken immer offener geführten Diskussion sich vornehmlich von der Angst vorm Beifall von den Falschen treiben lässt, dem ist einfach nicht mehr zu helfen.
Übrigens, nicht ganz unwichtig: Wer bereit ist hinzuhören, der vernimmt auch von hier wohnenden Ausländern oder Menschen mit Migrationshintergrund Äußerungen wie „zu viele Ausländer in Deutschland“.

Oder auch gegen eine zu laxe Einstellung gegenüber Integrationsunwilligen, gegen die Defizite in der Abschiebepraxis, gegen eine grundlegend falsche Zuwanderungspolitik. Stehen die auch alle auf der falschen Seite?
An anderer Stelle ist man da schon „weiter“, und da wird es brisant. Dort wo es für die „Mitte“ unangenehm werden kann, bahnt sich solch grenzüberschreitender Beifall längst an. Der Teil der Gesellschaft, der sich selbst so gern als aufgeklärt und ihr Hassobjekt, den sogenannten Populismus, als Inbegriff des Postfaktischen betrachtet, wird aufpassen müssen, dass man rechts und links um ihn herum nicht vorführt, wie man die Scheu vorm „falschen Beifall“ gerade auf den Außenflügeln auch ablegen kann, wird aufpassen müssen, wenn Jandls Wortspiel vom lechts und rinks im politischen Spektrum der Wahrheit näher kommt, als einem lieb sein kann. Die sogenannte Querfront macht es auf andere, auf fatale Weise vor, wie jene Angst vor der anderen Seite überwunden werden kann. Aus taktischen Gesichtspunkten, na klar.
Aber warum sollte man nicht (auch) aus taktischen Gründen versuchen, die extremen Rechten durch eigene Flexibilität bloß zu stellen, sie auch in der Öffentlichkeit zu beschämen durch eine offene Diskussion, so wie diese privat – in Teilmengen auch in der eigenen, linken Szene, dem eigenen Milieu – sich längst Raum geschaffen hat.
Wir werden uns umschauen, was die Wahl Donald Trumps womöglich an geistigen Grenzüberschreitungen in Europa bewirken könnte. Das muss man sich mal vorstellen: Jahrzehnte lang hat die Linke die Globalisierung bekämpft, hat Attac bei dem Thema völlig neue Aktionsformen dagegen generiert. Der Protest gegen den alles durchdringenden Welthandel war und ist immer noch sinnstiftend für die internationalistische Solidaritätsbewegung, die Globalisierung wurde für allen Hunger und jedes Elend verantwortlich gemacht. Freihandel tötet, lautete die implizite Devise. Und jetzt, da in diesem imperialistischen Teufelsspiel der Leibhaftige, die USA nämlich, umzuschwenken scheint, und sich den eigenen Forderungen annähert, da macht sich zwar erst mal Sprachlosigkeit breit, blieb die Spucke weg. Doch es zeichnet sich – übrigens nicht nur bei diesem Thema – eine Annäherung der Pole ab. Und nicht nur die politische Linke ist daran beteiligt. Thilo Bode, aus der Umweltbewegung stammend, und als Geschäftsführer von Foodwatch im Gegensatz zu Trump ein sogenannter „guter“ Globalisierungsgegner, musste sich unmittelbar nach der Wahl des US-Präsidenten von der Süddeutschen Zeitung im Interview fragen lassen: „Haben Sie schon ein Dankes-Telegramm in den Trump-Tower geschickt“. Da antwortete er, natürlich, in geforderter Distanzierung: „Das steht überhaupt nicht an“ . Dann aber klagte auch er: „Es gehört zu unserem Geschäft, dass wir leider auch mal Beifall von der falschen Seite kriegen.“ Leider? Offenbar, leider.

Ob das „leider“ aus Sicht der Rechten und Linken auch Bestand haben wird, muss sich erst noch zeigen. Es geht – im hiesigen Diskurs – an den Außenflanken des Spektrums ja nicht nur um die Globalisierung. Die Schnittmengen in der Sicherheitspolitik und dem Verhältnis zur Nato, auch zu Russland, im Welthandel, auch in der Sozialpolitik sind bisweilen so groß, dass es fast für Koalitionsverhandlungen zwischen Linken und AfD reichen könnte. In Griechenland kam es bekanntlich sogar zu einem vergleichbaren Pakt.
Rechts-Links-Bündnisse, wie gegen Ende der Weimarer Republik, beim legendären Streik in den Berliner Verkehrsbetrieben, die der Demokratie damals womöglich den Rest gaben? Jenem „linksliberalen“ Lager, das nach außen auf seinem gefühlt unangreifbaren ebenso gefühlten Mittelberg selbstsicher sich in Abgrenzung vor allem nach Rechts übt, beginnt das, was sich da theoretisch anbahnen könnte, langsam unheimlich zu werden, vollkommen zu Recht. Man wird hellhörig und umgehend wütend, wenn die Linke Sarah Wagenknecht zwischen den Zeilen die Fühler auf die andere Seite ausstreckt. Doch es ist – leider – absehbar, dass man sich auf jenen Flügeln eher einigt, als dass die Mitte durch Ehrlichkeit und offenen Diskurs dieser „Liaison fatale“ von innen heraus durch Offenheit die Legitimation entzieht.

Man hätte es ja selbst in der Hand, diese Gefahr zu entschärfen. Es wird aber nicht gehen, ohne über den eigenen Schatten zu springen, es jedenfalls zu versuchen. Will man aus Sicht der bürgerlichen Mitte die Spaltung der Gesellschaft überwinden – egal ob rechts gegen links gegen mitte und wieder zurück oder rechtslinks gegen mitte – oder, im Worst-Case-Szenario ausgedrückt, will man die sich anbahnende Verschärfung der Situation hin zu Terror oder Bürgerkrieg verhindern, so bleibt gar nichts anderes übrig, als die eigene Scheu gegen den Beifall von der „falschen Seite“ aufzugeben. Und zwar offensiv: Warum sucht man diesen Beifall nicht geradezu? Worin genau besteht eigentlich seine Gefahr, wenn man den Begriff so in den Vordergrund stellt? In der Aufweichung der Fronten? Schauder! Verschwimmt das akademisch angeeignete Prinzip der Dialektik? „Keinen Fuß breit den Rechten“ hat sich abgenutzt.

Die Exklusion, die Abgrenzung, bleibt der Trumpf, dem man die größte Wirkmacht beimisst, man setzt auf das Signet „Ihr müsst leider draußen bleiben“, beim Bundespresseball, bei Gesprächskreisen, lange genug auch in Talk-Shows oder jetzt auch im Gourmet-Restaurant – und meint, so werde sich das Problem schon irgendwie lösen. Welch ein Irrtum.
Gerade bei denen, die ansonsten immer vor Resistenzen bei der chemischen Keule warnen, verfliegen auf einmal die Bedenken, dass die schwersten Waffen, die sichtlich nicht wirken, durch ständiges Wiederholen stumpf werden, erklärt man entsprechende Bedenken als unschicklich.
Dabei ist die Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik ja längst über die Grenzen rechter Kreise hinausgewachsen. Es geht, gerade auch in aufgeklärten, intellektuellen Milieus deutlich genug, im vertrauten Gespräch die Angst um, dass sich unter die Asyl suchenden Migranten hier und da Terrorwillige mischen, dass es in Flüchtlingsheimen zu Gewaltausbrüchen kommen kann (und schon kommt), dass kulturelle Zusammenstößen auf vielen Ebenen anstehen, dass gewaltige und gewaltbereite arabische Großfamilien, durchweg ehemalige Flüchtlingsfamilien(sic!) aus den 70er-Jahren, die heute in Berlin oder im Ruhrgebiet die organisierte Kriminalität unter sich aufteilen, neuen Zulauf erhalten könnten. Wer hierbei meint, dass die Berichterstattung nur auf der falschen Seite für Beifall sorgt, hat keine Ahnung, wie sehr er hier durch seine Scheu nicht nur im „jenseitigen Lager“ den Unmut vergrößert, sondern auch im Bereich diesseits der vermeintlichen „Barriere“.

Als nach der Silvesternacht 2015/16 bei der Presse der Verdacht aufkam, dass auch Asylsuchende an den sexuellen Ausschreitungen in Köln beteiligt gewesen sein könnten, und die Reporter diesen – ungeachtet vom drohenden Beifall von der falschen Seite – öffentlich äußern wollten, da war es die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die diese Überbrückung quasi von Amts wegen zu verhindern suchte. Für ein paar Tage sogar mit einem gewissen Erfolg, nachdem sie nämlich meinte, es sei „absolut unzulässig“, Flüchtlinge mit der Tat in Verbindung zu bringen. „Unzulässig“: eine klare Amtsanmaßung eines Stadtoberhauptes gegenüber Medien, die – als dann die ganze Wahrheit endlich heraus war – einen beispiellosen Vertrauensverlust in Politik und Presse mit sich brachte. Und warum? Das Ganze war einzig aus der absurden Befürchtung erwachsen, dass eine tatsachengerechte Berichterstattung, oder auch nur eine selbstverständliche journalistische Recherche auf Zustimmung bei den Falschen stoßen würde, dass es deren Vorbehalte bestätigen könnte. Genau das trat dann nämlich auch ein, dann allerdings, völlig unnötigerweise, im doppelten Sinne, im politischen und im medialen. Wer so verfährt, auch noch im Amt, der muss mit dem neudeutschen Begriff des „Postfaktischen“ bei Donald Trump sehr vorsichtig sein, der kann sich durch die Erklärung zum „Wort des Jahres“ diese Woche direkt selbst angesprochen fühlen.

Man hat Angst vor dem Bruch des großen Dammes in der öffentlichen Meinung, wenn auch nur kleine Rinnsale unpassender Wahrheiten heraus gelassen werden und womöglich an den Falschen geraten – und achtet währenddessen nicht darauf, was sich hinter der Mauer an gefährlichem, irgendwann nicht mehr zurückzuhaltendem Potenzial aufstaut.
In der Flüchtlingsfrage finden sich in dieser aufgeregten Zeit sicher die meisten Beispiele für die Verdruckstheit in den Medien. Gerade dieser Tage sehen wir aber auch wieder, wie sehr auch andere Themen davon betroffen sind. Hat, als es vor zwei Jahren darum ging, zahlungsunfähigen Euro-Ländern unter offenem Bruch der gesetzten Regeln mit Finanzspritzen zu helfen, die offensichtliche Zurückhaltung der Medien – zur Vermeidung falschen Beifalls – die Euro- und die Europaskepsis dämpfen können? Es sieht eher nach dem Gegenteil aus. Mit dem Ergebnis, dass auch hier der Verdruss über die öffentlichen Rechtsverletzungen nun nicht mehr nur die Politik, sondern auch die Presse trifft.

Zumal, wenn gerade diese Woche wieder die alten „rechten“ Prophezeiungen, dass EZB-Chef Draghi seine regelwidrige Geldpolitik zu Lasten des braven Sparers und zu Gunsten der verschuldeten, reformskeptischen Länder im Süden wohl beibehalten wird, wieder bestätigt wurden.

Es hilft nichts, auch vermeintlich sakrosante Themen bedürfen eines offeneren Umgangs, will man die Spaltung der Gesellschaft durch mehr Offenheit abdämpfen. Mit Tabus erreicht man das Gegenteil. Dazu gehören Themen, die mit dem sich wandelnden Profil der Parteien und der sie umgebenden Milieus einen dichten Kordon erhalten haben, der erlaubte von unerlaubten Diskursen scheidet. Die Schwulenehe gehört dazu. Inzwischen wird sie mehr oder weniger zum Menschenrecht verklärt, und wer sie in Frage stellt, zum Schwulenfeind erklärt, zum Menschenrechtsverletzer. Außerhalb der Medien laufen sie ja, die Debatten darüber, dass es eben eine offene Frage ist, wie man Ehe definiert, ob man sie mit der Fortpflanzung in Verbindung bringen darf oder nicht. Ein Zusammenhang, der natürlich im konservativen, im sogenannten populistischen, Milieu viel Anklang findet, aber auch im kirchlichen – und darüber hinaus.
Es ist den Schwulen im Sinne ihrer rechtlichen Absicherung und ihrer umfassenden Akzeptanz sicher nicht geholfen, wenn die Stimmung darauf hinausläuft, dass „Gay Pride“ zum guten Ton gehört, ein mögliches „Hetero Pride“ aber Tabu bleibt, ein No do – zu dem sich niemand äußert, weil ihm ja womöglich die Falschen zuhören könnten.
Auch wenn hier Gerechtigkeitsargumente aus der Vergangenheit mit gutem Grund anzubringen wären, etwa dass Homosexuelle schließlich lange genug ihren möglichen Stolz unterdrücken mussten und jetzt die anderen mal die Klappe halten sollen – zielführend ist das Beharren auf dieser alleinigen Sichtweise eben nicht. Die gewünschte Volkserziehung funktioniert so einfach nicht.

Bislang wirkt die scharfe Medizin, nämlich die unbedingte Abgrenzung, gegen die vermeintliche Krankheit „Rechts“ nicht, das gefürchtete Virus ist so nicht tot zu kriegen. Im Gegenteil, die politchemische Keule wird schwach, die Diagnosen verdüstern sich.
Wer dies weiter vorantreiben will, der verfahre nach der Devise der grünen Parteichefin Simone Peter, und verteufele die Besinnung der CDU auf wieder konservativere Werte bei ihrem Parteitag in Essen als „Konjunkturprogramm für die AfD“.
Man muss sich das vorstellen. Ihre Devise lautet: Alle gehen wir Schritt für Schritt weiter nach links, dann wird sich das Problem, dass es auch Rechte gibt, von alleine lösen. Immer schön abgrenzen, alle Parteien gleichermaßen und uniform, dann wird schon niemand mehr rechts wählen – welch eine unlogische, ahistorische, letztlich zutiefst gefährliche, weil gesellschaftsspaltende Fehleinschätzung, geboren allein aus dem verzweifelten Bedürfnis nach der reinen Lehre.
Ja keine Zustimmung vom anderen Milieu, und wächst es auch noch so stark. Eine Haltung, die nur in Sektierertum münden kann. Als ob die AfD, Pegida und andere rechte Gruppierungen Zulauf erhalten hätten, weil die CDU in den letzte Jahren selbst nach rechts gedriftet wäre. Wer so argumentiert, stärkt nicht nur die rechte Szene mitsamt ihrer Partei, er treibt auch die Spaltung der Gesellschaft voran.   Ulli Kulke

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