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Dienstag, 27. Dezember 2016

Die Schlafwandler

Ausgerechnet im wichtigen Bundestagswahljahr 2017 droht Angela Merkel, dass sie von den Folgen der bisherigen sogenannten Euro-Rettungspolitik eingeholt wird. Deutschland hat sich mit dem unbedingten Festhalten am Euro und den Haftungsübernahmen erpressbar gemacht. Als Folge können die Spielregeln für die Europäische Währungsunion künftig maßgeblich in Rom festgelegt werden.

Spätestens seit dem gescheiterten Verfassungsreferendum und dem darauffolgenden Rück­tritt des bisherigen Premiers Matteo Renzi gilt als ausgemacht, dass Italien zum nächsten Krisenherd der Eurozone wird. Tatsächlich sind alle Zutaten beisammen, die Italien zu einem Mega-Griechenland verwandeln können: Italiens Banken sitzen auf einem Berg von notleidenden Krediten in Höhe von 360 Milliarden Euro. Die Überschuldung des Bankensektors verhindert wiederum dringend nötige Investitionen in die seit Jahren schwächelnde Wirtschaft. Dazu hat der italienische Staat Verbindlichkeiten in Höhe von 2249 Billionen Euro angehäuft, die 133 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung entsprechen. Insgesamt weist in Europa nur Griechenland eine höhere Staatsschuldenquote auf. Im weltweiten Vergleich ist Italien nach den USA und Japan sogar der drittgrößte Emittent von Staatsanleihen.

Dazu kommt eine ganz spezielle politische Situation: In keinem anderen Land ist unter der Bevölkerung der Euro so unbeliebt wie in Italien. Mit Lega Nord, Forza Italia und Beppe Grillos MoVimento 5 Stelle sind obendrein gleich mehrere große Parteien Euro- und EU-kritisch eingestellt. Laut Meinungsumfragen könnte Grillos Fünf-Sterne-Bewegung im Fall vorgezogener Neuwahlen sogar zur stärksten politischen Kraft des Landes aufsteigen. Zwar lässt Italiens Verfassung keine Referenden über internationale Verträge zu. Beobachter wie Jack Allen von Capital Economics halten es aber dennoch für möglich, dass notfalls ein Weg gefunden werden kann, ein Euro-Referendum durchzuführen.
Aus Sicht der Euro-Verteidiger in Brüssel und Berlin ist damit ein brisanter Mix angerührt. Italien ist als drittwichtigste Volkswirtschaft der Eurozone allein schon von der Dimension des Problems eine Nummer zu groß für den Euro-Rettungsschirm ESM. Mit einer Aufstockung des Rettungsfonds oder neuen Garantien ist angesichts der Bundestagswahlen in Deutschland und der Präsidentschaftswahlen in Frankreich zumindest im Jahr 2017 kaum zu rechnen.

Kaum vorstellbar ist ebenso, dass Sparauflagen der EU im Gegenzug für Rettungsgelder in der italienischen Bevölkerung durchsetzbar sind. Jeder Versuch, ein Experiment wie in Griechenland zu wiederholen, würde Kräften wie der Fünf-Sterne-Bewegung weiteren Auftrieb geben. Steigen würde damit das Risiko eines „Italexit“, den die europäische Währungsunion vermutlich nicht überstehen würde.

Sollte Italien trotzdem zur Weichwährung Lira zurückkehren, drohten der übrigen Eurozone herbe Verluste. So hat die Europäische Zentralbank (EZB) im Zuge ihres Kaufprogramms nach jüngsten Zahlen seit März 2015 allein für 188,5 Milliarden Euro italienische Staatsanleihen angekauft. Auch der Bundesbank würde ein Schlag ins Kontor drohen. Die deutschen Forderungen an andere Euro-Zentralbanken im Rahmen des Target2-Verrechnungsystems sind im vergangenen November mit über 754 Milliarden Euro auf ein neues Allzeithoch gestiegen. Mit einem Ausstieg Italiens aus dem Euro-System dürften sich die Target-Forderungen der Bundesbank gegen Italien allerdings als uneinbringlich erweisen. Insgesamt beliefen sich die Target-Verbindlichkeiten der Banca d’Italia gegenüber anderen Euro-Zentralbanken im November auf über 358 Milliarden Euro.

Vor diesem finanziellen und politischen Hintergrund scheint die Rettungsstrategie der EU für Italien vorgezeichnet. Als sicher kann gelten, dass die EZB notfalls noch mehr Geld druckt, um ihre Ankäufe italienischer Staatsanleihen auszuweiten. Auf der anderen Seite kann die neue Regierung in Rom sich berechtigte Hoffnungen machen, mehr Spielraum zum Schuldenmachen eingeräumt zu bekommen.

Ausgerechnet der Rück­zug von Renzi nach seinem verlorenen Verfassungsreferendum dürfte ein solches Szenario sogar leichter gemacht haben. Renzi hat wie kein anderer Regierungschef in der Euro-Zone während seiner Amtszeit gegen die Einhaltung der europäischen Haushaltsregeln Front gemacht. Sein Tonfall hat dabei ein Entgegenkommen von Kanzlerin Merkel oder Finanzminister Wolfgang Schäuble praktisch unmöglich gemacht. Jedes Zugeständnis in Richtung Rom wäre in der deutschen Öffentlichkeit vermutlich wie ein Einknicken gegenüber italienischen Forderungen wahrgenommen worden. Inzwischen sind Spekulationen aufgekommen, dass nach dem Rücktritt Renzis Brüssel und Berlin ihr Gesicht wahren können, wenn sie der italienischen Regierung eine Lockerung in der Fiskalpolitik zugestehen.    Norman Hanert

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