„Da wirst du aber von Rechts viel Beifall bekommen“. Zwischen den
Zeilen: „Schäm dich!“. Das habe ich in letzter Zeit öfters gehört. Anlass
waren Essays, Blogs, Facebook-Posts oder ähnliche Äußerungen, in denen
ich meines Erachtens ganz konkrete aber haltlose Anschuldigungen „gegen
Rechts“, oft genug gegen die AfD, kritisierte, die in Einzelfällen wie
eine Lawine durch die deutsche Presselandschaft rollten, von der
Wahrheit nicht zu stoppen.
Allein die bloße Vorstellung, dass es auch
haltlose Vorwürfe gegen rechte Gruppierungen oder Äußerungen geben könne
und dass man sie zur Sprache bringt, reichte für den Vorwurf. Nach dem
Motto: Warum gehst du dem überhaupt nach? Bist du Funktionär der AfD?
Wenn wir die Gesellschaft noch tiefer spalten wollen, dann sollten
wir weiterhin tunlichst darauf achten, keinen solchen Beifall von der
anderen Seite aufkommen zu lassen, niemals, nirgends. Schön dichotom
bleiben, jeder in seinem Lager, aufpassen, dass man nur Dinge von sich
gibt, die die jeweils andere Seite in Rage bringt, provoziert, damit der
Schlagabtausch weiter gehen kann, sich zuspitzt. Und vor allem: Niemals
vergessen, auf welcher Seite man überhaupt steht. Aufweichung der
Fronten: unstatthaft. Die gegnerische Gedankenwelt: eine No-go-Area.
Für viele scheint das in Fleisch und Blut übergegangen zu sein.
Leider vor allem in den Medien, insbesondere in den Sendeanstalten.
Jüngstes Beispiel: Die Debatte um die Tagesschau und die offensichtliche
Angst, das bestehende öffentliche Interesse an dem Sexualmord in
Freiburg und seiner Aufklärung Anfang Dezember zu bedienen. Immer schön
darauf achten, die anderen nicht mit Informationen zu munitionieren. Der
Haken an der Sache: Die – in dem Fall ja korrekten – Informationen
kreisen sowieso, und der einzige Effekt, den Sendeanstalten mit ihrem
gut gemeinten Schweigen erzielen, ist Vertrauensverlust. Bis hin zum
abgenudelten – und weitgehend blödsinnigen – Vorhalt der „Lügenpresse“.
Besonders peinlich ist es, wenn die Informationen vorher bereits auf
dem Tisch liegen, für alle sattsam bekannt, breit durchdiskutiert – und
man trotzdem um den heißen Brei herumredet, um jeden Eindruck eines
„falschen“ Schulterschlusses zu vermeiden. Hier ein Beispiel, auch wenn
es schon einige Tage zurück liegt: Der öffentlich-rechtliche Berliner
RBB lädt zur TV-Abendschau die Chefin der Berliner Kältehilfe ein, die
für Obdachlose im Winter warme Schlafplätze besorgt. Der Verein schlägt
Alarm, weil noch 100 von insgesamt etwa 700 Plätzen fehlen. Drei, vier
Minuten dauert das ausführliche Gespräch, Moderatorin wie Befragte sind
ratlos, klagen, dass nirgendwo in der Stadt Platz für jene 100 Betten
sei. Auf die Frage nach den Gründen fällt der Interviewten ein: Die
horrenden Mietpreise in der Stadt, vulgo: Geldgier der Investoren. Das
klingt gut und trifft immer die Richtigen, natürlich. Man verspricht,
dran zu bleiben, lotet die Chancen aus, das Problem bis zum ersten
Kälteeinbruch irgendwie einer Lösung näher zu bringen. Fazit: Erst muss
die Gentrifizierung beendet und der soziale Wohnungsbau gefördert
werden, dann gibt’s die 100 Betten für Obdachlose.
Es ist in dem Moment nur sehr schwer erträglich für die Zuschauer,
die natürlich wissen, was in der Stadt los ist. 100 Plätze fehlen, wie
bitte? Keinerlei Hinweis, Frage, Erwähnung der rund 40.000 Flüchtlinge,
die in Berlin in Massenlagern wohnen, und darüberhinaus unzählige
weitere, zwischen 10.000 und 30.000 in Wohnungen. Natürlich wissen das
auch
die beiden im Fernsehstudio, die sich gerade unterhalten, aber sie
sagen dazu nichts, kein Wort, ganz offenbar aus Angst, Ressentiments zu
wecken – mit anderen Worten: Beifall von den Falschen zu erheischen.
Dabei geht es ja gar nicht darum, Obdachlose gegen Flüchtlinge
auszuspielen, kein Syrer müsste auf die Straße gejagt werden. Allein die
Existenz der vielen Zehntausend Flüchtlinge aber, für die bestens
gesorgt ist, macht die Not bei den 100 (!) Obdachlosenplätzen schlicht
absurd. Es kann nicht sein, dass 60.000 Asylbewerber (Platz wäre ja für
noch weitere Zehntausende mehr geschaffen worden) unterkommen, die paar
Dutzend Obdachlose aber im Winter erfrieren müssen. Warum erwähnt man
das nicht? Genau, um nicht ungewollt denen Argumentationsfutter zu
liefern, die sagen könnten: Den Flüchtlingen gibt man’s, für
einheimische Obdachlose ist kein Platz, „wir müssen leider draußen
bleiben“. Dann erwähnt man lieber das böse hohe Mietniveau in Berlin,
statt jene Absurdität, die eklatante Verhältnisunmäßigkeit anzusprechen.
„Wer sich vor der Furcht vor Beifall von der falschen Seite abhängig
macht, beginnt in wichtigen Augenblicken zu schweigen“, hat Günter Grass
einmal gesagt. Keiner kann sagen, ob er das in diesem Zusammenhang auch
gesagt hätte. Zutreffend wäre es allemal.
In der Sache war es ja völlig egal, ob in dem Fall das naheliegende
Thema, die bestehenden Massenunterkünfte für Asylbewerber, angesprochen
wird oder nicht. In den Köpfen sind die sowieso. Verschweigen nützt eben
nichts, es schadet nur.
Nur vordergründig können die Akteure bei einer
derart massiven Verdrängung mit sich selbst im Reinen sein: In solchen Situationen ist Platz im Kopf allein für das – womöglich
ja auch nur imaginäre – eigene Lager, und das soll nichts zu meckern
haben, man will Angriffsflächen vermeiden, insbesondere dem Vorwurf mit
dem Beifall von den Falschen ausweichen.
Unterm Strich aber sind die Folgen fatal: Gerade auch bei gutwilligen
Sympathisanten der Flüchtlinge und beileibe nicht nur bei den
vielzitierten „Populisten“ (was genau ist das eigentlich?) kommen
Zweifel an der Lauterkeit, am objektiven Erkenntnisinteresse des
Journalismus auf. Und schon wieder geistert der Gedanke an die
„Lügenpresse“ – mindestens aber „Lückenpresse“ – in einigen zusätzlichen
Köpfen herum, denen man dies vorher nie zugetraut hätte. Wieder
verstummt irgendwo das überlegene Lachen über diesen Begriff. Im Übrigen
sind die Lager verfestigt, verharren im engeren Horizont. Aber sind sie
das auch in der Breite, ist die Diskussion so eng? Vielleicht wollen
viele das ja nur, nichts geht schließlich über ein klares Weltbild.
Nur so ist wohl auch der Hinweis auf dem Schaufenser eines gehobenen
Berliner Lokals zu verstehen, wo unter einigen anderen Logos – mit
Verboten von Handys, Fotoapparaten, Waffen – mit einem weiteren
ausdrücklich auch die AfD ausgeschlossen wird. So wie anderswo Hunde
angesprochen werden: „Wir müssen leider draußen bleiben“. So welche von
der AfD werde er nicht bedienen, sagt der Inhaber. Wahrscheinlich sähe
er den Vergleich mit den Hunden nicht einmal als unangemessen. Man
stelle sich vor, ein Logo klebe auf einem Geschäft: „Ausländer
unerwünscht“. Wie lange die Scheibe wohl halten würde?
Die Kehrseite solcher Exklusion: Das klare Weltbild verfestigt sich
auch im anderen Lager. Diejenigen die so verfahren, nehmen sich
unnötigerweise selbst die Chance, mit ihren Argumenten auf der „anderen
Seite“ Verständnis zu wecken, Nachdenklichkeit für die eigene Position
zu erzeugen, wenigstens zarte Zweifel am Hassgebaren zu säen. Ein
solches Tabu hindert Bereitwillige auf allen Seiten schon im Ansatz,
Brücken zu bauen. Vor allem, wenn man dort, wo sich solche Brückenbauten
zart abzeichnen, dieselben als Teufelszeug sofort wieder einzureißen
trachtet. Der harte Kern der linksliberalen Szene reagiert geradezu
allergisch, wenn beim einen oder anderen Politiker, den man im eigenen
Lager wähnt, selbst Nachdenklichkeit aufkommt. Etwa bei profilierten,
aber auch offenen, nachdenklichen Grünen wie dem Baden-Württembergischen
Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann oder dem Tübinger
Oberbürgermeister Boris Palmer, die Merkels Flüchtlingspolitik
kritisieren.
Die Webseite der ARD zitiert Palmer, die mit ihm sprach, hinterher
indirekt so: „Schwieriger als die Kritik aus der eigenen Partei sei für
ihn der Beifall von der falschen Seite. So lobte ihn etwa die
Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling als ‚vernünftigen, klar denkenden
und mutigen Politiker’.“ Ist das so schlimm für ihn? Schwierig, ja,
wegen der eigenen Klientel. Aber was heißt das denn? Fühlt er sich schon
als Nazi? Anders herum wird ein Schuh daraus: Selbst, nein, gerade
dann, wenn Festerling damit nur die Hoffnung verbindet, die andere Seite
zu spalten, gibt es keinen Grund, Palmer deshalb zu kritisieren, im
Gegenteil. Tut man es, ist Festerling wieder einen Schritt näher am
Ziel. Aber vielleicht will man ja auch genau das, einfach von der Hand
zu weisen ist es nicht. Die Zuspitzung als strategisches Ziel ist
sattsam bekannt, auf allen Seiten, seit Strauß’ Zeiten.
Wenn es nur um Festerling und die Grünen ginge, wäre die
Standortbestimmung, die Grenzziehung ja vielleicht noch leicht.
Ansonsten, im alltäglichen Diskurs ist die „andere Seite“, die „falsche
Seite“ längst nicht mehr so klar. In den Sozialen Medien tummelt sich
alles nur Denkbare zwischen Total-Altruisten auf der einen Seite, die am
liebsten für sämtliche ausreisewilligen Afrikaner einen kostenlosen
Shuttle nach Europa einrichten wollen, und auf der anderen Seite
Ausländerfeinden, die allen Migranten den Laufpass geben oder sie lieber
gleich erschießen wollen. Dazwischen findet sich ein flächendeckender
Parcour an Nachdenklichkeit, an Fragezeichen, ja auch an offenen
Diskussionen, über Obergrenzen für Flüchtlinge, über den Pressecodex,
über Integrationswillige und Unwillige, über Abschiebungen, über
Auffangstationen in Afrika, über Tabus in der Diskussion und ihre
Aufhebungen, und dies beileibe nicht nur am (sowieso völlig verkannten)
Stammtisch, sondern durchaus auch im teuren Weinlokal. Im Idealfall, ja,
so sollte es doch auch sein, schwanken dabei die persönlichen Meinungen
im Zeitverlauf. Die „Grenzen“ sind fließend. Wo beginnt da die „andere
Seite“, die „falsche“, wie weit reicht die „richtige“? Mit der
wachsenden Unschärfe dieser Grenzen jedenfalls steigt die Absurdität des
Vorwurfs: „Beifall vom Falschen“.
In vielen Redaktionsstuben – in denen man viel zu lange Jahre im
eigenen Saft schmorte, dies pflegte und offenbar genoss – hat man es
immer noch nicht kapiert: Was man dort als Rechtspopulismus beklagt (was
immer das sein mag), ist längst in der Mitte der Gesellschaft
angekommen, als Diskurs, nicht als vorgefestigte Haltung. Wer heute noch
meint, bei den „Populisten“ handele es sich nur um finanziell und
intellektuell Abgehängte, die man getrost durch mediale Herabwürdigung
isolieren und zurückdrängen könne, indem man durch Lautstärke und vor
allem Geschlossenheit jene Grenze des „Erlaubten“ immer enger um die
eigenen Maximen herumführt – der hat nichts kapiert.
Wer angesichts der
im Privaten und in den Netzwerken immer offener geführten Diskussion
sich vornehmlich von der Angst vorm Beifall von den Falschen treiben
lässt, dem ist einfach nicht mehr zu helfen.
Übrigens, nicht ganz unwichtig: Wer bereit ist hinzuhören, der
vernimmt auch von hier wohnenden Ausländern oder Menschen mit
Migrationshintergrund Äußerungen wie „zu viele Ausländer in
Deutschland“.
Oder auch gegen eine zu laxe Einstellung gegenüber
Integrationsunwilligen, gegen die Defizite in der Abschiebepraxis, gegen
eine grundlegend falsche Zuwanderungspolitik. Stehen die auch alle auf
der falschen Seite?
An anderer Stelle ist man da schon „weiter“, und da wird es brisant.
Dort wo es für die „Mitte“ unangenehm werden kann, bahnt sich solch
grenzüberschreitender Beifall längst an. Der Teil der Gesellschaft, der
sich selbst so gern als aufgeklärt und ihr Hassobjekt, den sogenannten
Populismus, als Inbegriff des Postfaktischen betrachtet, wird aufpassen
müssen, dass man rechts und links um ihn herum nicht vorführt, wie man
die Scheu vorm „falschen Beifall“ gerade auf den Außenflügeln auch
ablegen kann, wird aufpassen müssen, wenn Jandls Wortspiel vom lechts
und rinks im politischen Spektrum der Wahrheit näher kommt, als einem
lieb sein kann. Die sogenannte Querfront macht es auf andere, auf fatale
Weise vor, wie jene Angst vor der anderen Seite überwunden werden kann.
Aus taktischen Gesichtspunkten, na klar.
Aber warum sollte man nicht (auch) aus taktischen Gründen versuchen,
die extremen Rechten durch eigene Flexibilität bloß zu stellen, sie auch
in der Öffentlichkeit zu beschämen durch eine offene Diskussion, so wie
diese privat – in Teilmengen auch in der eigenen, linken Szene, dem
eigenen Milieu – sich längst Raum geschaffen hat.
Wir werden uns umschauen, was die Wahl Donald Trumps womöglich an
geistigen Grenzüberschreitungen in Europa bewirken könnte. Das muss man
sich mal vorstellen: Jahrzehnte lang hat die Linke die Globalisierung
bekämpft, hat Attac bei dem Thema völlig neue Aktionsformen dagegen
generiert. Der Protest gegen den alles durchdringenden Welthandel war
und ist immer noch sinnstiftend für die internationalistische
Solidaritätsbewegung, die Globalisierung wurde für allen Hunger und
jedes Elend verantwortlich gemacht. Freihandel tötet, lautete die
implizite Devise. Und jetzt, da in diesem imperialistischen Teufelsspiel
der Leibhaftige, die USA nämlich, umzuschwenken scheint, und sich den
eigenen Forderungen annähert, da macht sich zwar erst mal
Sprachlosigkeit breit, blieb die Spucke weg. Doch es zeichnet sich –
übrigens nicht nur bei diesem Thema – eine Annäherung der Pole ab. Und
nicht nur die politische Linke ist daran beteiligt. Thilo Bode, aus der
Umweltbewegung stammend, und als Geschäftsführer von Foodwatch im
Gegensatz zu Trump ein sogenannter „guter“ Globalisierungsgegner, musste
sich unmittelbar nach der Wahl des US-Präsidenten von der Süddeutschen
Zeitung im Interview fragen lassen: „Haben Sie schon ein
Dankes-Telegramm in den Trump-Tower geschickt“. Da antwortete er,
natürlich, in geforderter Distanzierung: „Das steht überhaupt nicht an“ .
Dann aber klagte auch er: „Es gehört zu unserem Geschäft, dass wir
leider auch mal Beifall von der falschen Seite kriegen.“ Leider?
Offenbar, leider.
Ob das „leider“ aus Sicht der Rechten und Linken auch Bestand haben
wird, muss sich erst noch zeigen. Es geht – im hiesigen Diskurs – an den
Außenflanken des Spektrums ja nicht nur um die Globalisierung. Die
Schnittmengen in der Sicherheitspolitik und dem Verhältnis zur Nato,
auch zu Russland, im Welthandel, auch in der Sozialpolitik sind
bisweilen so groß, dass es fast für Koalitionsverhandlungen zwischen
Linken und AfD reichen könnte. In Griechenland kam es bekanntlich sogar
zu einem vergleichbaren Pakt.
Rechts-Links-Bündnisse, wie gegen Ende der Weimarer Republik, beim
legendären Streik in den Berliner Verkehrsbetrieben, die der Demokratie
damals womöglich den Rest gaben? Jenem „linksliberalen“ Lager, das nach
außen auf seinem gefühlt unangreifbaren ebenso gefühlten Mittelberg
selbstsicher sich in Abgrenzung vor allem nach Rechts übt, beginnt das,
was sich da theoretisch anbahnen könnte, langsam unheimlich zu werden,
vollkommen zu Recht. Man wird hellhörig und umgehend wütend, wenn die
Linke Sarah Wagenknecht zwischen den Zeilen die Fühler auf die andere
Seite ausstreckt. Doch es ist – leider – absehbar, dass man sich auf
jenen Flügeln eher einigt, als dass die Mitte durch Ehrlichkeit und
offenen Diskurs dieser „Liaison fatale“ von innen heraus durch Offenheit
die Legitimation entzieht.
Man hätte es ja selbst in der Hand, diese Gefahr zu entschärfen. Es
wird aber nicht gehen, ohne über den eigenen Schatten zu springen, es
jedenfalls zu versuchen. Will man aus Sicht der bürgerlichen Mitte die
Spaltung der Gesellschaft überwinden – egal ob rechts gegen links gegen
mitte und wieder zurück oder rechtslinks gegen mitte – oder, im
Worst-Case-Szenario ausgedrückt, will man die sich anbahnende
Verschärfung der Situation hin zu Terror oder Bürgerkrieg verhindern, so
bleibt gar nichts anderes übrig, als die eigene Scheu gegen den Beifall
von der „falschen Seite“ aufzugeben. Und zwar offensiv: Warum sucht man
diesen Beifall nicht geradezu? Worin genau besteht eigentlich seine
Gefahr, wenn man den Begriff so in den Vordergrund stellt? In der
Aufweichung der Fronten? Schauder! Verschwimmt das akademisch
angeeignete Prinzip der Dialektik? „Keinen Fuß breit den Rechten“ hat
sich abgenutzt.
Die Exklusion, die Abgrenzung, bleibt der Trumpf, dem man die größte
Wirkmacht beimisst, man setzt auf das Signet „Ihr müsst leider draußen
bleiben“, beim Bundespresseball, bei Gesprächskreisen, lange genug auch
in Talk-Shows oder jetzt auch im Gourmet-Restaurant – und meint, so
werde sich das Problem schon irgendwie lösen. Welch ein Irrtum.
Gerade bei denen, die ansonsten immer vor Resistenzen bei der
chemischen Keule warnen, verfliegen auf einmal die Bedenken, dass die
schwersten Waffen, die sichtlich nicht wirken, durch ständiges
Wiederholen stumpf werden, erklärt man entsprechende Bedenken als
unschicklich.
Dabei ist die Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik ja längst über die
Grenzen rechter Kreise hinausgewachsen. Es geht, gerade auch in
aufgeklärten, intellektuellen Milieus deutlich genug, im vertrauten
Gespräch die Angst um, dass sich unter die Asyl suchenden Migranten hier
und da Terrorwillige mischen, dass es in Flüchtlingsheimen zu
Gewaltausbrüchen kommen kann (und schon kommt), dass kulturelle
Zusammenstößen auf vielen Ebenen anstehen, dass gewaltige und
gewaltbereite arabische Großfamilien, durchweg ehemalige
Flüchtlingsfamilien(sic!) aus den 70er-Jahren, die heute in Berlin oder
im Ruhrgebiet die organisierte Kriminalität unter sich aufteilen, neuen
Zulauf erhalten könnten. Wer hierbei meint, dass die Berichterstattung
nur auf der falschen Seite für Beifall sorgt, hat keine Ahnung, wie sehr
er hier durch seine Scheu nicht nur im „jenseitigen Lager“ den Unmut
vergrößert, sondern auch im Bereich diesseits der vermeintlichen
„Barriere“.
Als nach der Silvesternacht 2015/16 bei der Presse der Verdacht
aufkam, dass auch Asylsuchende an den sexuellen Ausschreitungen in Köln
beteiligt gewesen sein könnten, und die Reporter diesen – ungeachtet vom
drohenden Beifall von der falschen Seite – öffentlich äußern wollten,
da war es die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die diese
Überbrückung quasi von Amts wegen zu verhindern suchte. Für ein paar
Tage sogar mit einem gewissen Erfolg, nachdem sie nämlich meinte, es sei
„absolut unzulässig“, Flüchtlinge mit der Tat in Verbindung zu bringen.
„Unzulässig“: eine klare Amtsanmaßung eines Stadtoberhauptes gegenüber
Medien, die – als dann die ganze Wahrheit endlich heraus war – einen
beispiellosen Vertrauensverlust in Politik und Presse mit sich brachte.
Und warum? Das Ganze war einzig aus der absurden Befürchtung erwachsen,
dass eine tatsachengerechte Berichterstattung, oder auch nur eine
selbstverständliche journalistische Recherche auf Zustimmung bei den
Falschen stoßen würde, dass es deren Vorbehalte bestätigen könnte. Genau
das trat dann nämlich auch ein, dann allerdings, völlig unnötigerweise,
im doppelten Sinne, im politischen und im medialen. Wer so verfährt,
auch noch im Amt, der muss mit dem neudeutschen Begriff des
„Postfaktischen“ bei Donald Trump sehr vorsichtig sein, der kann sich
durch die Erklärung zum „Wort des Jahres“ diese Woche direkt selbst
angesprochen fühlen.
Man hat Angst vor dem Bruch des großen Dammes in der öffentlichen
Meinung, wenn auch nur kleine Rinnsale unpassender Wahrheiten heraus
gelassen werden und womöglich an den Falschen geraten – und achtet
währenddessen nicht darauf, was sich hinter der Mauer an gefährlichem,
irgendwann nicht mehr zurückzuhaltendem Potenzial aufstaut.
In der Flüchtlingsfrage finden sich in dieser aufgeregten Zeit sicher
die meisten Beispiele für die Verdruckstheit in den Medien. Gerade
dieser Tage sehen wir aber auch wieder, wie sehr auch andere Themen
davon betroffen sind. Hat, als es vor zwei Jahren darum ging,
zahlungsunfähigen Euro-Ländern unter offenem Bruch der gesetzten Regeln
mit Finanzspritzen zu helfen, die offensichtliche Zurückhaltung der
Medien – zur Vermeidung falschen Beifalls – die Euro- und die
Europaskepsis dämpfen können? Es sieht eher nach dem Gegenteil aus. Mit
dem Ergebnis, dass auch hier der Verdruss über die öffentlichen
Rechtsverletzungen nun nicht mehr nur die Politik, sondern auch die
Presse trifft.
Zumal, wenn gerade diese Woche wieder die alten „rechten“
Prophezeiungen, dass EZB-Chef Draghi seine regelwidrige Geldpolitik zu
Lasten des braven Sparers und zu Gunsten der verschuldeten,
reformskeptischen Länder im Süden wohl beibehalten wird, wieder
bestätigt wurden.
Es hilft nichts, auch vermeintlich sakrosante Themen bedürfen eines
offeneren Umgangs, will man die Spaltung der Gesellschaft durch mehr
Offenheit abdämpfen. Mit Tabus erreicht man das Gegenteil. Dazu gehören
Themen, die mit dem sich wandelnden Profil der Parteien und der sie
umgebenden Milieus einen dichten Kordon erhalten haben, der erlaubte von
unerlaubten Diskursen scheidet. Die Schwulenehe gehört dazu. Inzwischen
wird sie mehr oder weniger zum Menschenrecht verklärt, und wer sie in
Frage stellt, zum Schwulenfeind erklärt, zum Menschenrechtsverletzer.
Außerhalb der Medien laufen sie ja, die Debatten darüber, dass es eben
eine offene Frage ist, wie man Ehe definiert, ob man sie mit der
Fortpflanzung in Verbindung bringen darf oder nicht. Ein Zusammenhang,
der natürlich im konservativen, im sogenannten populistischen, Milieu
viel Anklang findet, aber auch im kirchlichen – und darüber hinaus.
Es ist den Schwulen im Sinne ihrer rechtlichen Absicherung und ihrer
umfassenden Akzeptanz sicher nicht geholfen, wenn die Stimmung darauf
hinausläuft, dass „Gay Pride“ zum guten Ton gehört, ein mögliches
„Hetero Pride“ aber Tabu bleibt, ein No do – zu dem sich niemand äußert,
weil ihm ja womöglich die Falschen zuhören könnten.
Auch wenn hier
Gerechtigkeitsargumente aus der Vergangenheit mit gutem Grund
anzubringen wären, etwa dass Homosexuelle schließlich lange genug ihren
möglichen Stolz unterdrücken mussten und jetzt die anderen mal die
Klappe halten sollen – zielführend ist das Beharren auf dieser
alleinigen Sichtweise eben nicht. Die gewünschte Volkserziehung
funktioniert so einfach nicht.
Bislang wirkt die scharfe Medizin, nämlich die unbedingte Abgrenzung,
gegen die vermeintliche Krankheit „Rechts“ nicht, das gefürchtete Virus
ist so nicht tot zu kriegen. Im Gegenteil, die politchemische Keule
wird schwach, die Diagnosen verdüstern sich.
Wer dies weiter
vorantreiben will, der verfahre nach der Devise der grünen Parteichefin
Simone Peter, und verteufele die Besinnung der CDU auf wieder
konservativere Werte bei ihrem Parteitag in Essen als
„Konjunkturprogramm für die AfD“.
Man muss sich das vorstellen. Ihre
Devise lautet: Alle gehen wir Schritt für Schritt weiter nach links,
dann wird sich das Problem, dass es auch Rechte gibt, von alleine lösen.
Immer schön abgrenzen, alle Parteien gleichermaßen und uniform, dann
wird schon niemand mehr rechts wählen – welch eine unlogische,
ahistorische, letztlich zutiefst gefährliche, weil
gesellschaftsspaltende Fehleinschätzung, geboren allein aus dem
verzweifelten Bedürfnis nach der reinen Lehre.
Ja keine Zustimmung vom anderen Milieu, und wächst es auch noch so
stark. Eine Haltung, die nur in Sektierertum münden kann. Als ob die
AfD, Pegida und andere rechte Gruppierungen Zulauf erhalten hätten, weil
die CDU in den letzte Jahren selbst nach rechts gedriftet wäre. Wer so
argumentiert, stärkt nicht nur die rechte Szene mitsamt ihrer Partei, er
treibt auch die Spaltung der Gesellschaft voran. Ulli Kulke
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