In Maastricht sei es gelungen, alle wesentlichen deutschen Interessen zu
wahren. Das sagte 1991 vor genau einem Vierteljahrhundert Bundeskanzler Kohl,
nachdem die damals zwölf Staats- und Regierungschefs in einem
Sitzungsmarathon von einunddreißig Stunden sich auf die Maastrichter
Beschlüsse zur europäischen Wirtschafts- und Währungsunion geeinigt
hatten.
Niemand in Deutschland brauche zu befürchten, die D-Mark sei an
Europa „verschenkt“ worden, pflichtete ihm der damalige
Bundesfinanzminister Waigel (CSU) bei. „Nein, wir führen unsere D-Mark
in Europa ein“, schrieb Waigel in der Parteizeitung „Bayernkurier“. Die
Stabilitätspolitik werde Modell und Maßstab für den ganzen Kontinent.
„Wir zwingen Europa und uns selbst zu strengster Disziplin im Umgang mit
dem Geld unserer Steuerzahler.“ Nun ja, heute weiß man es besser. Man
darf feststellen: Selten haben sich Politiker so geirrt.
Aus der Währungsunion wurde eine Schulden- und Haftungsunion, in der
nach Belieben Regeln gebrochen und Verträge gebeugt werden. Die
Nichtbeistandsklausel des Maastrichter Vertrags ist das Papier nicht
wert, auf dem sie steht. Mit dem in der Krise eingeführten
Euro-Rettungsfonds ESM ist der zwischenstaatliche Hilfskredit die neue
Normalität in der Eurozone. Die Obergrenze für die öffentliche
Verschuldung von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung interessierte von
Anfang an niemanden. Der jährliche Deckel für die Neuverschuldung
öffentlicher Haushalte von drei Prozent kümmert seit der „Schärfung“ des
Pakts keinen mehr. Inzwischen weiß kaum noch jemand, was Sache ist und
ob überhaupt noch etwas gilt, etwa weil bald im nächsten Euroland
gewählt wird oder weil Frankreich eben Frankreich ist. Zum 25.
Geburtstag braucht man schon Wissenschaftler, um zu zählen, wie oft
gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt verstoßen wurde: 165 Mal!
Wie wenig die Politik der Europäischen Zentralbank
(EZB) noch mit den stabilitätsorientierten Überzeugungen der Deutschen
Bundesbank zu tun hat, nach deren Vorbild sie angeblich geformt wurde,
sieht man daran, dass Bundesbankpräsident Weidmann der hartnäckigste
Kritiker der „Rettungspolitik“ der EZB ist. Obwohl Weidmann nicht müde
wird, eine Rückkehr zum Geist von Maastricht zu fordern, feierte der
geldpolitische Rat das Euro-Jubiläum auf seine Art. Die EZB beschloss
eine Verlängerung des strittigen Aufkaufprogramms von Staatsanleihen um
neun Monate und damit eine Aufstockung des Volumens auf unfassbare 2,3
Billionen Euro. Wie viel das wirklich ist, macht erst ein Vergleich
deutlich: In nicht einmal drei Jahren kauft die EZB viel mehr
Euro-Staatsanleihen auf, als Deutschland über Generationen hinweg an
Staatsschulden aufgetürmt hat.
Wer
im Eurotower nachfragt, ob es eine gute Idee war, die risikoadäquate
Rendite des Kapitalmarkts als Treiber für eine erfolgreiche
Wirtschaftspolitik abzuschaffen, gilt als Abtrünniger. Lieber tun in
Frankfurt oder Brüssel und Berlin alle so, als ob in Griechenland die
Reformbereitschaft wächst, wenn die Regierungen in Athen kaum noch
Zinsen zahlen und Kredite erst in ferner Zukunft tilgen müssen – wenn
überhaupt. Mit Staatsfinanzierung habe der Kauf der Staatsanleihen
nichts zu tun, will das EZB-System mit Billigung der höchsten EU-Richter
dem Publikum weismachen, während es sich zum größten Gläubiger der
Eurozone aufschwingt, da es bald ein Drittel der Euro-Staatskredite in
seinen Bilanzen haben wird.
Eine ähnlich große Lücke zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit tut
sich auf, wenn die EZB die Umverteilungswirkung ihrer markthörigen
Politik leugnet. Dabei sieht jeder, wie dadurch Sparer ärmer und
Immobilien- und Aktieninvestoren reicher werden.
Um die Risiken der
wandernden „Spekulationsblasen“ im Euroraum für die Finanzstabilität
sollen sich nach dem Willen der Geldpolitiker doch bitte die nationalen
Aufseher kümmern.
Den
Ärger vieler Wähler über das Beugen von EU-Verträgen in Großbritannien,
Österreich, Frankreich, Deutschland, Dänemark, Schweden, Finnland,
Ungarn, Tschechien, Polen oder den Niederlanden schreiben sich die
„Retter“ nicht zu. Wenn dann noch Politiker den Kontrollverlust an
Europas Grenzen als alternativlos verkaufen möchten und den wachsenden
Unmut über die EU als „Populismus“ abtun, grenzt das schon an
Wirklichkeitsverweigerung.
Obwohl
die Märkte gelassen das Scheitern des jüngsten italienischen
Regierungschefs verfolgen, geht die Politisierung der Geldpolitik
weiter. EZB-Präsident Draghi ordnet mit seinem unbedingten
Rettungswillen („whatever it takes“) die Geldpolitik der fiskalischen
Dominanz unter und macht sie so zum Büttel der Finanzpolitik. Einige
EZB-Ratsmitglieder befürchten einen Durchmarsch der Protestparteien in
der Währungsunion und meinen, da müsse die Geldpolitik gegenhalten.
Dabei nimmt der Unmut auch deshalb zu, weil das Schielen der EZB auf
Wahlergebnisse als unzulässiger Versuch der Beeinflussung durch mächtige
Beamte betrachtet wird, die nicht gewählt sind und den Wählern keine
Rechenschaft ablegen müssen. Holger Steltzner
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