Seit März 2016 bewegten sich irakische Regierungsverbände
von knapp 40.000 Mann Richtung Mossul. Dort hatte seit Juni 2014 das
Kalifat der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) sein irakisches
Hauptquartier.
Bis Juni wurden 1.300 IS-Leute bei ihrer Vertreibung aus
kleineren Städten getötet. Doch erst am 16. Oktober erreichte man die
Grenzen der Millionenstadt, die von rund 12.000 Jihadisten gehalten
wird. Umgehend gab es Siegesmeldungen mit den Namen befreiter
Ortschaften.
Neun Wochen später hört man sie fast gar nicht mehr. Die Welt weiß
inzwischen, dass die Dörfer im Umfeld der nördlichen Metropole zwar
oftmals vermint sind, aber nicht verteidigt werden.
Entsprechend meldet
UNAMI (United Nations Assistance Mission for Iraq) für die
regulären und irregulären irakischen Streitkräfte für den Monat Oktober
2016 lediglich 670 Gefallene für das gesamte Land. Gleichzeitig kommen
600 Zivilisten ums Leben (alle Zahlen sind gerundet und nicht
endgültig).
Im November wendete sich das Blatt. Blutige Kämpfe begannen in den
Vierteln am Ostufer das Tigris, das erobert werden muss, bevor man das
IS-Hauptquartier auf dem Westufer angreifen kann. Amerikanische Bomber
zerstörten vier der fünf Brücken, um Gegenangriffe zu unterbinden.
Dadurch steckten auch Zivilisten in der Falle. Mit 1.100 Toten im
November gab es unter ihnen fast eine Verdopplung gegenüber dem
Vormonat. Noch allerdings sterben in Mossul weniger Unbeteiligte als in
Bagdad, weil der Kalif seine Selbstmordattentäter vor allem dort zum
Einsatz bringt. Die Truppen und staatlich anerkannten Milizen des Irak
allerdings haben allein im November fast 2.000 Mann verloren. Das sind
fünfmal so viele wie im September vor der Offensive. Für den Löwenanteil
unter den militärischen Ausfällen sorgen gut vorbereitete IS-Verbände, die Bagdads Leute im östlichen Mossul festhalten.
Zum 1. Januar 2017 werden die Opferzahlen für den Dezember erwartet.
UNAMI will dann aber nur noch über Opfer aus der Zivilbevölkerung
berichten. Am 2. November hatte sich nämlich das Iraqi Joint Operations Command
bei der UNO-Behörde über die Meldung mit den 2.000 Gefallenen aus dem
November heftig beschwert. UNAMI versprach daraufhin Schweigen und
räumte zugleich ein, dass man in der Tat nur sehr schwer an genaue
Zahlen über gefallene Soldaten herankomme. Offensichtlich ist das
Militär mit der Veröffentlichung seiner Einbußen äußerst zurückhaltend, um Truppen und Einwohner nicht weiter zu demoralisieren.
Dabei dürfte die Entmutigung eher den Siegesprahlereien vom Oktober
als den Verlusten geschuldet sein; denn die Rekrutierung neuer Verbände
bereitet keine besonderen Schwierigkeiten.
Irak imponiert immer noch mit
einem Kriegsindex von 5,5, kann also hohe Verluste absorbieren. Auf
1.000 rentennahe Männer im Alter von 55 bis 59 Jahren folgen 5.500 –
zumeist zornige – Jünglinge im Alter von 15 bis 19 Jahren. In der
Schweiz oder Österreich sind es 800, in Deutschland sogar nur 660. Zwar
hat die ölreiche Nation seit 1960 in Kriegen, Bürgerkriegen und
Völkermorden rund 800.000 Menschen verloren, aber gleichzeitig konnte
Irak seine Bevölkerung von 7 auf 35 Millionen Einwohner steigern.
Auch
2015 gebären Iraks Frauen dreimal so viele Kinder wie ihre helvetischen,
österreichischen oder deutschen Altersgenossinnen (4,2:1,4).
Bagdad kann aktuell auf knapp 3,3 Millionen Mann (nach 1,1 Millionen
1980) im besten Kampfalter von 20-29 Jahren zurückgreifen. Bis 2020
kommen noch einmal 500.000 potentielle Krieger hinzu. Auch wenn aus
religiösen Rücksichten nur ein Teil davon gegen Mossuls Sunniten
eingesetzt werden kann, werden die Chancen der Jihadisten keineswegs
besser. Das dürfte ihre Niederlage oder gar Kapitulation allerdings nur
dann beschleunigen, wenn sich Übergriffe gegen die Befreiten in Grenzen
halten. Doch hat der Irak auch danach mindestens bis zum Jahr 2035, wenn
die 2015 Geborenen 20 Jahre alt sind, fast beliebig viele Streiter für
jedweden rebellischen Vorwand.
Gunnar Heinsohn (*1943) lehrt Militär-Demografie am NATO Defense College in Rom.
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