Im vierten Stock eines schmucklosen
Hauses auf der Bonner Adenauerallee, der früheren Diplomatenrennbahn
vorbei am ehemaligen Kanzleramt und Regierungsviertel, hat Udo Di Fabio
ein bescheidenes Büro. An den Wänden hängen Porträts von Reichspräsident
Friedrich Ebert, dem Hitler-Attentäter Johann Georg Elser, Ex-Kanzler
Ludwig Erhard und Di Fabios Doktorvater Niklas Luhmann. Der
Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht an der Universität Bonn und
ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht ist ein ebenso prominenter
wie streitbarer Geist, ein liberal-konservativer Intellektueller mit
Wurzeln im sozialdemokratisch geprägten Ruhrgebiet, der keiner
Kontroverse ausweicht.
Professor Di Fabio, Sie sind Nachfahre italienischer Einwanderer. Haben Sie einen Doppelpass?UDO
DI FABIO: Nein, denn mein Vater, der die italienische
Staatsangehörigkeit noch besaß, hat sie in den 1930er Jahren aufgegeben,
und damit war meine deutsche Staatsangehörigkeit klar.
Wenn
Sie aber betroffen wären – was hielten Sie davon, sich definitiv für
die deutsche oder die italienische Staatsangehörigkeit entscheiden zu
müssen?
DI FABIO: Ich würde das für folgerichtig halten.
DI FABIO: Ich würde das für folgerichtig halten.
Sie haben also kein Problem mit der Entscheidung der CDU, den Doppelpass-Konsens mit der SPD aufzukündigen?
DI FABIO: Das ist für mich eine politische Einschätzungsfrage. Die Zulassung einer doppelten Staatsangehörigkeit im Einzelfall kann – einer Brücke gleich – der Integration nützlich sein. Doppelte Staatsbürgerschaften können aber auch eine Belastung für die notwendige Klarheit demokratischer Loyalitäten sein. Die jüngeren Entwicklungen in der Türkei machen das Problem sichtbar, wenn es zum Wiederaufflammen nationalistischer Verhaltensweisen kommen sollte. Für eine nicht ganz geringe Anzahl von Deutsch-Türken ist das Wort Erdogans maßgeblich und nicht das von Merkel.
DI FABIO: Das ist für mich eine politische Einschätzungsfrage. Die Zulassung einer doppelten Staatsangehörigkeit im Einzelfall kann – einer Brücke gleich – der Integration nützlich sein. Doppelte Staatsbürgerschaften können aber auch eine Belastung für die notwendige Klarheit demokratischer Loyalitäten sein. Die jüngeren Entwicklungen in der Türkei machen das Problem sichtbar, wenn es zum Wiederaufflammen nationalistischer Verhaltensweisen kommen sollte. Für eine nicht ganz geringe Anzahl von Deutsch-Türken ist das Wort Erdogans maßgeblich und nicht das von Merkel.
Während
der Flüchtlingskrise im vergangenen Jahr ist von Staatsversagen und
Kontrollverlust die Rede gewesen. Wer hat da versagt und die Kontrolle
verloren?
DI FABIO: Es gibt Entwicklungen, wo man nicht in erster Linie nach den Verantwortlichen fragt, weil Ausmaß und Wechselwirkungen zunächst von sehr vielen unterschätzt worden sind. Das europäische Schengen- und Dublinsystem ist dringend reformbedürftig. Die Sicherung der EU-Außengrenzen war unterentwickelt. Die Verantwortung bei der Einreise ins Bundesgebiet tragen nicht die Länder, sondern der Bund, speziell der Bundesinnenminister, der aus humanitären Gründen auch dann eine Einreise erlauben darf, wenn die Einreise aus einem sicheren Drittstaat erfolgt.
DI FABIO: Es gibt Entwicklungen, wo man nicht in erster Linie nach den Verantwortlichen fragt, weil Ausmaß und Wechselwirkungen zunächst von sehr vielen unterschätzt worden sind. Das europäische Schengen- und Dublinsystem ist dringend reformbedürftig. Die Sicherung der EU-Außengrenzen war unterentwickelt. Die Verantwortung bei der Einreise ins Bundesgebiet tragen nicht die Länder, sondern der Bund, speziell der Bundesinnenminister, der aus humanitären Gründen auch dann eine Einreise erlauben darf, wenn die Einreise aus einem sicheren Drittstaat erfolgt.
War denn da Gesetzesverstoß und Verfassungsbruch im Spiel?
DI
FABIO: Mit dem starken Wort vom Verfassungsbruch sollte man vorsichtig
sein. Man kann darüber juristisch streiten, ob das Verhalten der
Bundesregierung im Herbst 2015 in jeder Hinsicht der Gesetzeslage
entsprach. Für mein Gutachten, das ich der bayerischen Staatsregierung
erstattet habe, war etwas anders entscheidend. Der Bund hat in
gesamtstaatlicher Verantwortung die Pflicht, für eine wirksame und
gesetzmäßige Grenzsicherung zu sorgen und Einreise zu kontrollieren,
natürlich im Rahmen europäischer Kooperation.
In
dem Gutachten schreiben Sie, der Rechtsstaat verfüge sehr wohl über ein
Steuerungssystem, um seine Grenzen zu beherrschen. Gehört dazu auch
eine gesetzliche „Obergrenze“?
DI
FABIO: Wenn die Bundesrepublik Deutschland im Einzelfall verpflichtet
ist, ein Asylverfahren durchzuführen, aus verfassungs- oder
europarechtlichen Gründen, dann ist dafür eine Obergrenze nicht
vorgesehen. Das war vor einem Jahr aber gar nicht die Frage. Vielmehr
hat die Bundesregierung entschieden, Menschen aus humanitären und
völkerrechtlichen Gründen aufzunehmen, auch wenn sie sich nicht auf Asyl
berufen konnten. Das durfte sie nach der Gesetzeslage. Wenn die
Bundesregierung insofern freiwillig handelt, dann kann sie auch eine
Obergrenze festlegen.
Das ist in der öffentlichen Diskussion nicht immer
auseinandergehalten worden. Insofern verstehe ich, wenn jetzt Vertreter
der Bundesregierung sagen, wir brauchen keine Obergrenze, weil die
Zahlen nicht mehr so hoch sind. Ich verstehe aber auch die CSU, wenn sie
sagt: Sollte es wieder zu einem Anschwellen kommen und sollte sich die
Bundesregierung wieder aus humanitären Gründen entscheiden, die Menschen
aufzunehmen, sollte sie für das Parlament und die Öffentlichkeit sagen,
wo da die Grenze liegt.
Und mit diesem Konflikt würde man in Karlsruhe landen?
DI FABIO: Wenn man das sauber auseinanderhält, sehe ich da keinen verfassungsrechtlichen Konflikt.
Die niederländische Regierung hat jüngst ein Burka-Verbot beschlossen, auch der CDU-Parteitag in Essen. Die Landesregierung im Südwesten will sogar das
Kopftuch aus Gerichten verbannen. Ist das zwingend, um die
Neutralität der Justiz zu wahren?
DI
FABIO: Berufsrichter tragen eine Robe, um das Amtsethos und die
Neutralität des Staates besonders zu symbolisieren. Mit der Robe soll
das öffentliche Amt hervorgehoben werden und die individuelle
Persönlichkeit optisch zurücktreten. Das Vertrauen in die
Unvoreingenommenheit der Justiz ist ein Kernstück des Rechtsstaats. Hier
unterliegen Richter und Richterinnen im Vergleich zu sonstigen
öffentlich Bediensteten noch einmal einer gesteigerten
Neutralitätspflicht. Das lässt nach meiner Einschätzung das Tragen von
religiösen, politischen oder sonstigen Meinungssymbolen im Dienst nicht
zu. Es ist vielleicht eine Schwäche unserer Zeit, dass wir den Sinn für
Institutionen verlieren und das wichtige Grundrecht persönlicher
Selbstentfaltung oder religiöse Verhaltensfreiheiten ohne größeres
Nachdenken in das Dienstverhältnis hinein übertragen.
Sie
haben gesagt, das Modell einer freiheitlichen Gesellschaft bestehe
darin, „über die Auseinandersetzung zueinanderzukommen“. Was aber, wenn
in diesem Diskurs Wut, Hass und Beschimpfung vorherrschen?
DI
FABIO: Wenn Menschen unter dem scheinbaren Schutz der Anonymität im
Netz alle Hemmungen verlieren, dann hat nicht nur der Rechtsstaat ein
Problem. Trotzdem müssen wir aufpassen, jetzt nicht einseitig das Netz
mit Sittenverfall gleichzusetzen und hier die Ursache allen Übels zu
sehen. Das Internet hat die Dimensionen der Meinungs- und
Informationsfreiheit enorm geweitet und Monopole der Meinungsbildung
herausgefordert. Dass es zugleich auch eine Fragmentierung in
abgeschlossenen Kommunikationsräumen und eine anonymisierte Enthemmung
gefördert hat, ist eine Tatsache.
Muss der Staat hier regulierend eingreifen?
DI
FABIO: Jede staatliche Regulierung, auch die der großen Plattformen wie
Facebook oder Google, muss an den Grundrechten gemessen werden. Die
Grenzen der Meinungsfreiheit werden von Gerichten gezogen und nicht von
privaten Firmen. Es besteht zudem immer die Gefahr, dass aus der
Empörung über eine Hassäußerung gleich auch die unerwünschte politische
Meinung wegreguliert wird. Nicht jede Überschreitung einer sittlichen
Grenze ist schon strafwürdig.
Wie viel „political correctness“ verträgt die Meinungsfreiheit?
DI
FABIO: Jede Freiheit verlangt sittliche Umsicht und Respekt vor dem
Anderen. Das „Politisch Korrekte“ ist im Ansatz legitim, es mahnt zum
verantwortlichen Umgang mit der Freiheit. Allerdings ist diese
Verantwortung zuerst einmal persönlicher Natur. Sie darf und muss
öffentlich angemahnt werden, sollte aber von Meinungsbildnern nicht
übermäßig mit Sprachvorschriften und Denkverboten propagiert werden. Da
ist viel Bevormundung unterwegs und lässt eine Kluft entstehen, wo am
Ende die Sprachlosen sich einen Trump wählen. Während an
US-Eliteuniversitäten noch die kleinste Mikroaggression im
Sprachgebrauch verfolgt wird, haben viele Amerikaner die Makroaggression
zum Präsidenten gewählt.
EU-Kommissar
Oettinger ist in Turbulenzen geraten, weil eine Rede, die er in einer
geschlossenen Gesellschaft gehalten hat, ins Netz gestellt wurde. Gibt
es da keinen Persönlichkeitsschutz mehr?
DI
FABIO: Wenn man hinter leidlich verschlossenen Türen vor einer
Fachöffentlichkeit redet, wird man sich als Inhaber eines hohen Amtes
gewiss auch überlegen, was und wie man es sagt. Aber dennoch sollte die
Vertraulichkeit des Wortes im jeweiligen sozialen Kontext gewürdigt
werden. Sonst bekommen wir nur noch nichtsagende Statements von
Politikern, selbst wenn sie im Ortsverein ihrer Partei mit einer
Handvoll Mitgliedern reden. Das Veröffentlichen von Wort und Bild ohne
Zustimmung des Betroffenen ist auch ein Stück Verwilderung der
Umgangsformen und womöglich ein Rechtsproblem.
Hier die Elite, dort das Volk – stimmt diese Beschreibung mehr denn je?
DI
FABIO: Man muss konstatieren, dass es einen Prozess der Fragmentierung
in unserer Gesellschaft gibt, das Abschließen von Räumen – neuerdings
„Echokammern“ genannt –, in denen man unter sich ist. Wenn man aber in
einem dieser abgeschlossenen Räume mit einem bestimmten Vokabular redet
und sich mit Gleichgesinnten austauscht, merkt man am Ende gar nicht
mehr, dass es auch andere Horizonte und andere Meinungen gibt. Früher
sollte der Begriff des Stammtischs den Umstand abbilden, dass es noch
eine andere Form der politischen Diskussion gibt neben dem Diskurs der
Eliten. Auch die politische Welt der Eliten kann abgehoben und in sich
geschlossen sein.
Sie sprechen diesbezüglich lieber von persönlicher Alltagserfahrung.
DI
FABIO: In der Tat, der Begriff des Stammtischs hat ja heute etwas
Abwertendes. Mir geht es um das, was morgens in der Familie diskutiert
wird oder tagsüber am Arbeitsplatz, im Bekanntenkreis bei Feiern – das
ist Alltagserfahrung, die ja auch öffentlich ist, aber sich sehr
unterscheidet von dem, was bei ARD und ZDF oder in den Zeitungen
dargeboten wird. Es ist völlig normal in einer Demokratie, dass da ein
Unterschied besteht. Wenn aber die Kluft zwischen beiden Sphären immer
größer wird, ist das ein Alarmzeichen.
Und wie lässt sich diese Kluft verringern?
DI
FABIO: Indem man andere Meinungen tatsächlich zulässt und aushält. Wenn
man in der Migrationsfrage denjenigen, der Grenzen kontrollieren will,
unmoralisch nennt oder freiwillige Helfer als Volksverräter beschimpft,
dann endet die Möglichkeit einer Diskussion, bevor sie überhaupt
beginnen kann. Das deliberative Moment der Demokratie wird gefährdet,
wenn wir vorschnell moralisieren oder Verschwörungstheorien verbreiten.
Gesinnungsethik muss, wie Max Weber sagt, verantwortungsethisch
eingebunden sein. Moral sollte also nicht die sachliche Abwägung
ersetzen, sondern ein sittlicher Orientierungspunkt solcher Abwägungen
bleiben.
Manche, die sich um die Erosion unserer Demokratie sorgen, empfehlen Plebiszite auch auf Bundesebene.
DI
FABIO: Es gibt je nach Bewertung der Ergebnisse von Referenden
Konjunkturen der Zustimmung oder Ablehnung dieses Instruments. Die Väter
und Mütter des Grundgesetzes haben neben der Wahl zwar die Abstimmung
als Herrschaftsinstrument des Volkes erwähnt, aber sie waren vielleicht
nach den Weimarer Erfahrungen etwas misstrauisch, was die Reife des
Volkes angeht.
Deshalb enthält das Grundgesetz kein einziges
ausdrückliches Beispiel dafür, dass das Gesamtvolk in einer Abstimmung
entscheidet.
Bis auf die Neugliederung des Bundesgebiets?
DI
FABIO: Da entscheidet auch nicht das Gesamtvolk, sondern nur der Teil,
der von einer Neugliederung betroffen wäre. Also lässt sich sagen: Das
Bundesvolk wählt, aber trifft keine Entscheidungen in der Sache, also
kein Plebiszit. Trotz einer gewissen Krise im westlichen
Verfassungssystem würde ich die Deutschen schon für reif genug halten,
bestimmte Sachentscheidungen zu treffen. Es hat sich eben einiges
geändert seit der Zeit, als Theodor Heuß mit Blick auf Plebiszite von
der „Prämie für Demagogen“ gesprochen hat…
Heute würde man sagen: Prämie für Populisten?
DI FABIO: Ja, wobei der Begriff Populist freundlicher ist als Demagoge, aber die meisten meinen dasselbe.
Sie sagen: Der Staat braucht „homogene Wertegrundlagen“. Ist das ein anderes Wort für „Leitkultur“?
DI FABIO: Den Begriff „Leitkultur“ verwende ich ungern. Er will ein konservatives Mainstreaming bestimmter sozio-kultureller Elemente, so wie das auch mit dem Gesellschaftskonzept der Diversität von der anderen politischen Seite versucht wird.
Ich bin in beiden Fällen kritisch. Sie können kulturelle Homogenität nicht verordnen, weil in einer freiheitlichen Gesellschaft keine neuen Menschen erschaffen werden. Das einzige, was im Verfassungsstaat unverbrüchlich sein und mit aller staatlichen Kraft durchgesetzt werden muss, ist eine auf Freiheit gegründete Ordnung des gegenseitigen Respekts voreinander, des Rechtsfriedens und des sozialen Zusammenhalts. Wenn man diese Grundwerte der Verfassung als „Leitkultur“ begreift, kann ich damit leben. Aber als Umerziehungsprogramm für Einwanderer wird die Sache nicht funktionieren. Die Zulassung größerer Einwanderung aus anderen Kulturräumen bleibt deshalb ein experimenteller Vorgang und setzt eine starke und selbstbewusste Gesellschaft voraus.
DI FABIO: Den Begriff „Leitkultur“ verwende ich ungern. Er will ein konservatives Mainstreaming bestimmter sozio-kultureller Elemente, so wie das auch mit dem Gesellschaftskonzept der Diversität von der anderen politischen Seite versucht wird.
Ich bin in beiden Fällen kritisch. Sie können kulturelle Homogenität nicht verordnen, weil in einer freiheitlichen Gesellschaft keine neuen Menschen erschaffen werden. Das einzige, was im Verfassungsstaat unverbrüchlich sein und mit aller staatlichen Kraft durchgesetzt werden muss, ist eine auf Freiheit gegründete Ordnung des gegenseitigen Respekts voreinander, des Rechtsfriedens und des sozialen Zusammenhalts. Wenn man diese Grundwerte der Verfassung als „Leitkultur“ begreift, kann ich damit leben. Aber als Umerziehungsprogramm für Einwanderer wird die Sache nicht funktionieren. Die Zulassung größerer Einwanderung aus anderen Kulturräumen bleibt deshalb ein experimenteller Vorgang und setzt eine starke und selbstbewusste Gesellschaft voraus.
Sie
sind also nicht pessimistisch, was die Herausforderungen betrifft, vor
denen die Demokratie und die liberale Gesellschaft bei uns und in Europa
stehen?
DI FABIO: Es ist einiges schiefgelaufen in der Entwicklung des Westens und Europas. Es bedarf der Rekonstruktion überzeugender Ordnungen, das gilt auch für das große Projekt der Europäischen Union. Die intellektuelle Verabschiedung des Staates als demokratischer Gestaltungsraum war voreilig.
DI FABIO: Es ist einiges schiefgelaufen in der Entwicklung des Westens und Europas. Es bedarf der Rekonstruktion überzeugender Ordnungen, das gilt auch für das große Projekt der Europäischen Union. Die intellektuelle Verabschiedung des Staates als demokratischer Gestaltungsraum war voreilig.
Die Protagonisten der
Globalisierung haben zu viele Rechnungen ohne das heimische Publikum
gemacht. Innerhalb der Wirtschaft sind der Finanzsektor und die digitale
Wertschöpfung einseitig zulasten der Realwirtschaft entwickelt worden,
die leistungsfähige mittelständische Wirtschaft zu sehr unter Druck
geraten. Es herrscht zu viel Glaube in die Kraft bürokratischer
Regelungen und zu wenig Vertrauen in die Entfaltungskräfte der Menschen
vor Ort und in die Faszination von Bildung. Und dennoch glaube ich an
die Überlegenheit westlicher Gesellschaften und der Demokratie.
Warum?
DI FABIO: Die westlichen Demokratien schienen schon einmal am Ende ihrer Epoche angelangt. Im Jahr 1937 fand in Paris die Weltausstellung statt. Japan hatte China überfallen, Deutschland verfolgte Juden und rüstete auf, Stalins Terrorwelle erreichte einen Höhepunkt, die Folgen der Weltwirtschaftskrise waren in Amerika und Europa spürbar. In Paris standen sich triumphalistisch die Pavillons der Sowjetunion von Boris M. Iofan und Nazi-Deutschlands von Albert Speer gegenüber und sie errangen Goldmedaillen. Stalin und Hitler fühlten sich damals dem Rest der Welt haushoch überlegen, der Westen schien ein morsches Gebälk. Doch der Westen hat mit Demokratie und Marktwirtschaft Potenziale freigesetzt, die kein Diktator für möglich gehalten hätte.
DI FABIO: Die westlichen Demokratien schienen schon einmal am Ende ihrer Epoche angelangt. Im Jahr 1937 fand in Paris die Weltausstellung statt. Japan hatte China überfallen, Deutschland verfolgte Juden und rüstete auf, Stalins Terrorwelle erreichte einen Höhepunkt, die Folgen der Weltwirtschaftskrise waren in Amerika und Europa spürbar. In Paris standen sich triumphalistisch die Pavillons der Sowjetunion von Boris M. Iofan und Nazi-Deutschlands von Albert Speer gegenüber und sie errangen Goldmedaillen. Stalin und Hitler fühlten sich damals dem Rest der Welt haushoch überlegen, der Westen schien ein morsches Gebälk. Doch der Westen hat mit Demokratie und Marktwirtschaft Potenziale freigesetzt, die kein Diktator für möglich gehalten hätte.
Was bedeutet das für den Umgang mit den Autokraten und Populisten auf dieser Welt?
DI FABIO: Wir sollten uns heute nicht durch die neuen Autokraten einschüchtern lassen und auf unsere Stärke vertrauen. Zur Stärke gehört auch, eigene Fehler nüchtern zu analysieren. Deshalb brauchen wir eine offenere Diskussion, warum linker und rechter Populismus entstehen.
DI FABIO: Wir sollten uns heute nicht durch die neuen Autokraten einschüchtern lassen und auf unsere Stärke vertrauen. Zur Stärke gehört auch, eigene Fehler nüchtern zu analysieren. Deshalb brauchen wir eine offenere Diskussion, warum linker und rechter Populismus entstehen.
Sie
stehen einer Ethikkommission für autonomes Fahren vor. Können Sie sich
vorstellen, dass Sie nach den Beratungen die Empfehlung aussprechen, aus
ethischen Gründen auf diese Technologie zu verzichten?
DI
FABIO: Wir arbeiten ergebnisoffen. Gerade vollautomatisierte
Fahrsysteme müssen auf ihre Verantwortbarkeit hin überdacht werden. Das
ist ein Schritt, der über den gewiss bedeutenden Bereich des
Straßenverkehrs noch hinausreicht: Wie viel automatisierte
technologische Intelligenz lassen wir in unserem Alltag zu und wie stark
überantworten wir uns, etwa im Fall lernender, selbstprogrammierender
Systeme? Es gibt Zweifel an der Steuerungsfähigkeit solcher Systeme
durch den Menschen.
Ist
denn überhaupt vorstellbar, dass man programmierte Vorentscheidungen
für zugespitzte Situationen ethisch rechtfertigen kann – etwa für den
Fall, dass sich ein autonomes Fahrzeug entscheiden muss, in eine
Menschengruppe zu rasen oder eine Kollision mit einem anderen Auto in Kauf zu nehmen?
DI
FABIO: Jede ethische Fragestellung wird vom Entscheidungsdilemma
angezogen. Es gibt heute solche Programmierungen nicht, technisch wäre
das zur Zeit auch kaum zu realisieren. Aber es gibt einige andere und
vielleicht näherliegende Fragen, wenn sie daran denken, wie deutlich
auch die Technik für den Fahrer markieren sollte, wo seine
Aufmerksamkeit aktiv erhalten bleiben muss, damit er Verantwortung auch
tatsächlich behält oder wie es mit der Verfügung über die gewaltigen
Datenmengen bestellt ist, die bei zunehmender Vernetzung anfallen
werden. Südwest Presse
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