Manche Programmänderungen im Fernsehen werden mit großem Aplomb kenntlich
gemacht, andere geschehen still und leise. So hat der Kultursender 3sat
jetzt zwei Gesprächssendungen eingestellt, die jenseits des großen
Talkshow-Getrommels Akzente schon allein dadurch setzten, dass es sich
um Zwiegespräche im Sinne des Interview-Großmeisters Günter Gaus
handelte. Da sitzen sich zwei gegenüber und reden zur Sache. So war das
bei dem Schweizer Publizisten Frank A. Meyer, dessen „Vis-à-vis“ am
vorvergangenen Sonntag zum letzten Mal lief, und auch bei Peter Voß, der
jetzt am Sonntag einen letzten Gast empfing, zu dem das Motto der
Sendung passt wie zu kaum einem Zweiten: „Immer gegen den Strom?“ Henryk
M. Broder schwimmt immer gegen den Strom, und das ist auch gut so. Es
ist notwendiger denn je.
Wie notwendig, das zeigte sich in den letzten Tagen, da es eine Werbeboykott-Aktion gegen „Rechts“ gab, die sich schnell auf Broders Portal „Achse des Guten“ und auf die Webseite des früheren „Wirtschaftswoche“-Chefredakteurs Roland Tichy
konzentrierte. Sie zeigte, wie verquer Debatten verlaufen können.
Boykottieren kann jeder jeden, doch wenn jemand, der dann auch noch
ausgerechnet für eine führende Werbeagentur arbeitet, dazu aufruft,
bestimmte Publikationen zu meiden, und das Ganze über Facebook und
Twitter den üblichen Online-Swing bekommt, herrscht bald
Freund-Feind-Rhetorik, und es ist mit dem pluralen Meinungsdiskurs
vorbei.
Das
vollzog sich offenbar, bevor die letzte Ausgabe der Sendung „Peter Voß
fragt ...“ aufgezeichnet wurde, sonst wäre die Episode garantiert zur
Sprache gekommen, schließlich wollte der ehemalige SWR-Intendant Voß von
seinem Gegenüber gerne so ziemlich alles in Erfahrung bringen – von der
Kindheit bis zum Hier und Jetzt. Doch mit Henryk M. Broder ist das
nicht so leicht zu machen. Privates bleibt privat, es geht um das
Politische. Und mit dem beschäftigt sich Broder nicht der Frage von Voß
gemäß in „Altersmilde“, sondern eher mit „Altersverzweiflung“. Der Grund
hat einen Namen: Angela Merkel.
Dank der
Bundeskanzlerin, so ist Broder der Ansicht, gehe es mit diesem Land den
Bach runter. Weil sie die Tore geöffnet und gar nicht begriffen habe,
was sie der Gesellschaft mit der Einwanderung einer großen Zahl
muslimischer Flüchtlinge zumute. Zwanzig Prozent der Menschen in
Deutschland, sagt Broder, hätten einen Migrationshintergrund,
Deutschland habe Erfahrung mit Einwanderung, in keinem anderen Land
hätten die Bemühungen um Integration ein solches Maß wie bei uns. „Die
Gesellschaft kommt Migranten wahnsinnig entgegen. Die Quittung ist, dass
diejenigen, die davon profitieren, uns sagen, dass wir bei der
Integration versagt haben.“
Broders
zentraler Satz fällt irgendwann im Lauf der halben Stunde bei Peter
Voß: „Der Islam setzt bei uns die politische Agenda.“ Zahlreiche
Beispiele fallen ihm dafür ein, und alle sind unangenehm für die Bundesregierung
und diejenigen, die glauben, es sei mit einer „Willkommenskultur“
getan, die den willkommen Geheißenen nicht abverlangt, sich an die
Maßstäbe des sie aufnehmenden Landes zu halten. Das mache sich – noch –
nicht überall im Land direkt bemerkbar. Aber wer, zum Beispiel, würde
gerne nach Duisburg-Marxloh ziehen? Es würden gerade Verhältnisse
geschaffen, die „irreversibel“ sind, sagt Broder und wünscht sich die
idyllischen Zeiten zurück, in denen man sich noch über so harmlose
Themen wie das Flaschenpfand aufregen konnte. Heute aber lebten wir in
Verhältnissen, in denen sein Freund Hamed Abdel-Samad sich nicht mehr
frei bewegen kann und eine Leibwache mit drei bis fünf Personenschützern
braucht, weil er es wagt, den Islam zu kritisieren. Solche Zustände
seien ein Skandal, würden aber einfach hingenommen, und an ihnen werde
unsere Gesellschaft zerbrechen, fürchtet Broder.
Man muss
seine Diagnose und seinen Pessimismus – der die EU übrigens genauso
trifft – nicht teilen, darf es aber schon für ziemlich beunruhigend
halten, wie, um es zurückhaltend zu sagen, unengagiert bis aggressiv
ignorant ein großer Teil der Politik und der sie stützenden Publizistik
auf solche Befunde reagiert. Derweil lädt Anne Will eine Frau im Niqab in ihre Sendung ein,
die den Islamismus verharmlost und lehnt die Integrationsbeauftragte
der Bundesregierung das „pauschale Verbot“ von Kinderehen ab. So schnell
verschieben sich die Maßstäbe.
Allzu
viel Grund für Frohsinn gab es in der letzten Ausgabe der Sendung
„Peter Voß fragt ...“ bei 3sat am Sonntag also nicht. Aber das war ja
auch nie der Sinn der Sache in den rund zwanzig Jahren, in denen Peter
Voß Diskurspflege betrieb. Mit dieser kehrte der frühere SWR-Intendant,
der maßgeblich für die Fusion des Süddeutschen Rundfunks und des
Südwestfunks sorgte, zu seinen Ursprüngen als Journalist zurück. Bevor
er an die Spitze erst des Südwestfunks (1993), dann des Südwestrundfunks
(1998) rückte, war er beim ZDF Chef des „heute journals“ und
stellvertretender Chefredakteur gewesen, davor hatte er unter anderem
beim Bayerischen Rundfunk als stellvertretender Leiter des Magazins
„Report München“ gewirkt. FAZ
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