Angela Merkels Instinkt für das machtpolitische Besiegen von
konkurrierenden Männern ist Legende. Unionisten wie Merz, Röttgen,
Mappus, Rüttgers, Koch oder Wulff wurden ebenso ihre Opfer wie die
Sozialdemokraten Schröder, Steinmeier und Steinbrück. Selbst Kohl und
Schäuble konnte sie weiland clever entmachten. Und von Sarkozy bis
Berlusconi können sie auch international davon berichten, dass „Mann“
ihr besser nicht in die Quere kommt.
Doch nun ist die spektakuläre Serie der Kerle-Knockouts gerissen.
Merkel ist erstmals auf offener Bühne einem Mann krachend unterlegen –
ausgerechnet einem gelernten Bankkaufmann aus der tiefsten deutschen
Provinz, aus Ottenstein (3902 Einwohner, Westmünsterland), wo man vor
allem im Wechsel mit der Bauerschaft Hörsteloe alle zwei Jahre das
traditionelle Schützenfest ausrichtet. Jens Spahn hat das offenbar
geprägt, um auf dem CDU-Parteitag in Essen treffsicher Geschichte zu
schreiben. Der von ihm herbeigeführte Doppelpass-Beschluss hat der
Kanzlerin eine schmerzhafte Niederlage beigebracht. Statt eines
Siegerpokals gab es eine Gelbe Karte der Partei.
Merkel hatte alles in die Waagschale geworfen, um den Eklat noch zu
verhindern. Vergebens. Obwohl jeder der CDU-Funktionäre wusste, dass es
auch um eine Machtfrage geht, folgte der Parteitag in dieser wichtigen
symbolpolitischen Frage nicht mehr der Kanzlerin, sondern Jens Spahn aus
Ottenstein. Merkel schnappte sich den Rebellen von der niederländischen
Grenze noch auf der Bühne und raunzte ihn ausgiebig an, um dann
wutschnaubend den Fernsehkameras entgegenzustreben. Dort allerdings
machte sie einen schweren politischen Fehler, indem sie erklärte, der
Parteitagsbeschluss sei falsch und für sie in dieser Legislatur
irrelevant. Die FAZ urteilte hernach: „Dass die CDU-Vorsitzende nicht
vor dem Parteitag selbst Stellung bezog, sondern den Beschluss erst
später in Fernsehinterviews kritisierte, gehörte sich nicht. Es sah nach
dem Nachtreten eines Verlierers aus. Die Delegierten können sich zu
Recht düpiert vorkommen.“
Merkel tritt nun nicht bloß mit einer Last im Wahlkampf an, denn SPD,
Grüne und Linke werden die Doppelpassfrage mit großem Vergnügen
intonieren. Ihr wird das Thema wie ein klebriger Tesa-Streifen anhängen,
den man einfach nicht mehr von der Hand bekommt. Vor allem aber wird
der Doppelpass-Entscheid zum Symbol, wie tief die Gräben zwischen der
Kanzlerin und ihrer eigenen Partei inzwischen geworden sind.
Die
fehlende Geschlossenheit der Union in diesem Wahlkampf trägt nun einen
Namen – und der lautet nicht mehr nur CSU.
Jens Spahn hat der Kanzlerin damit den Schleier der
Selbstverständlichkeit ihrer Macht entrissen. Der Vorgang öffnet
schlagartig den Blick auf die Zeit nach Angela Merkel. Jüngere
CDU-Politiker wie Jens Spahn, Carsten Linnemann und Julia Klöckner
machen sich selbstbewusst bereit und verkörpern die Zukunft. Merkel ist
nun jenseits ihres Zenits in der CDU angelangt. Spahn wie Klöckner
zeugen von den tiefen Wunden, die Merkels Flüchtlingspolitik in der
Union gerissen hat. Schwere Wahlniederlagen, viele verlorene Mandate,
das rasante Aufkommen der AfD und der Verlust an eigener Identität –
Merkel hat sich mit ihrer linksgeneigten Migrationspolitik der eigenen
Partei entfremdet. Und wenn Julia Klöckner, die das Problem früh im Jahr
schon offen formuliert hatte und neben der Doppelpass-Abschaffung auch
auf ein Burka-Verbot setzt, auf dem Parteitag mit 86,5 Prozent das beste
Ergebnis aller Parteivizes erreicht, dann ist auch das ein Fingerzeig
für die Zukunft.
Nun wird Jens Spahn in den Medien wahlweise als „Mini-Seehofer“ (taz)
oder „Merkels Quälgeist“ (Handelsblatt) oder „CDU-Hoffnungsträger“
(Wirtschaftswoche) oder „Wortführer der Konservativen“ (Spiegel)
bezeichnet. In Wahrheit ist er gar kein Konservativer, sondern ein
liberaler Katholik, bekennender Homosexueller und Mitbegründer der
sogenannten Pizza-Connection, in der grüne und christ-demokratische
Politiker schwarz-grüne Bündnisse ausloten.
Dass ausgerechnet Spahn nun
zum konservativen Brutus wird, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Er
wäre eigentlich der perfekte Jungminister in einer schwarz-grünen
Bundesregierung ab 2017 geworden. Doch nun sieht es nach Schwarz-Grün
nicht mehr aus und die Ministerchancen sind für Spahn nach diesem
Parteitag ohnedies drastisch gesunken.
Das allerdings macht Spahn für Merkel immer gefährlicher, denn er hat
von Merkel nichts mehr zu erwarten, sich also emanzipiert. Er ist nicht
abhängig von ihr, hat sich im Gegenteil seine Karriere gegen Angela
Merkel erkämpft. Das Präsidiumsmitglied der CDU wurde auf dem
Bundesparteitag 2014 nach einem offenen Machtkampf gegen seinen
Konkurrenten Hermann Gröhe von der Partei gewählt. Es war sein erstes
Aufbegehren gegen die Macht Merkels, die sich ihren Vertrauten Gröhe
lieber an ihrer Seite gewünscht hatte. Zudem ist er ein Schützling von
Wolfgang Schäuble und parlamentarischer Staatssekretär im
Finanzministerium, was den Machtverlust von Merkel in der eigenen Partei
nur größer erscheinen lässt, weil es neben der Seehofer-Söder-Front nun
auch eine gefühlte innerparteiliche Schäuble-Spahn-Linie der kritischen
Distanz gibt.
Schon mit seinem Buch „Ins Offene. Deutschland, Europa und die
Flüchtlinge“ hatte sich Spahn vor einem Jahr offen gegen die Politik der
Kanzlerin gestellt. Darin erhob er als erster CDU-Spitzenpolitiker den
Vorwurf des „Staatsversagens“, der „Disruption“ und eines naiven
Multikulturalismus.
Seither ist Spahn dabei, ein eigenständiges Profil
der CDU gegen die Übermacht der Kanzlerin zu schärfen. Er besetzt
Themen, bei denen sich die Konservativen vernachlässigt sehen, vor allem
bei Islamkritik, Burkaverbot oder Kinderehen. Der Focus beobachtet:
„Sehr bewusst setzt Spahn andere Akzente als Merkel. Das von ihr
hinterlassene Themen-Vakuum hat er ganz richtig erkannt.“
Seine Warnung vor dem politischen Islam rührt auch aus einem
persönlichen Umstand. Wiederholt beklagte sich Spahn, dass er als
Homosexueller von Muslimen in Deutschland verhöhnt werde. „Machen wir
uns nichts vor: Zuwanderung aus islamischen Ländern verändert in Teilen
das Klima in unserem Land“, sagte er. In seinem Buch schreibt er: „Die
allermeisten dieser zumeist jungen Männer sind in Gesellschaften groß
geworden, in denen der Mann mehr zählt als die Frau, wo Antisemitismus
und Schwulenhass Alltag sind, in denen es eine hohe Affinität zu Gewalt
als Konfliktlösung gibt und in denen der Islam und die Ehre der Familie
im Zweifel über allem anderen stehen.“ Und er warnt: „Wir dürfen nicht
die alten Fehler von falsch verstandener Toleranz gegenüber anderen
Traditionen und Kulturen wiederholen, deren Folgen in zu vielen
deutschen Stadtteilen in Form regelrechter Parallelgesellschaften
sichtbar sind.“
Der Erfolg Spahns – von seinem Buch bis zum Doppelpass-Entscheid –
ist für Merkel entlarvend, weil Spahn der geschundenen Parteiseele eine
Stimme und ein Programm gibt. Spahn wird damit zum Vorboten von Merkels
ahnbarem politischen Ende, sei das 2017, 2019 oder 2021. Günter Bannas,
Politikchef der FAZ in Berlin und einer der klügsten Kommentatoren
deutscher Politik, resümiert: „Der Prozess der Emanzipation der Partei
von ihrer Vorsitzenden hat begonnen. Es waren nicht die alten Recken von
ganz früher, die die Debatten über Merkels Pragmatismus vom Zaun
gebrochen haben. Vielmehr sind es die jungen Leute (…) – an ihrer Spitze
steht Jens Spahn.“ Wolfram Weiner
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