Sie haben es auch gehört, dutzendfach, hundertfach, tausendfach: Auf
keinen Fall dürfen wir jetzt „Angst“ bekommen. Sagen die führenden
Politiker im Chor. Die haben ja auch keine. Oder doch? Na jedenfalls
nicht vor dem islamischen Terror. Dafür flattern sie wegen einer ganz anderen Gefahr aufgescheucht herum. Sogenannte „Fake
News“, also möglicherweise bewusst gestreute Falschmeldungen, sorgen
für erhebliche Verunsicherung in der Spitze der Republik.
Beamte des
Bundesinnenministeriums haben ein Memorandum verfasst, in dem sie
donnern: „Die Akzeptanz eines postfaktischen Zeitalters käme einer
politischen Kapitulation gleich.“
Was mit „postfaktisch“ gemeint ist,
hatten wir neulich untersucht. Es handelt sich weniger um
Falschmeldungen als um Nachrichten und Kommentare, die den Regierenden
nicht in dem Kram passen.
Die finden sich außerhalb der PAZ vor allem im
Internet, weil man über das Netz die Staats- und Konzernmedien umgehen
kann, welche den Mächtigen enger zugetan sind denn je. Wie ernst die
Lage ist, verrät die Sprache: „Kapitulation“! Das erinnert an Sein oder
Nichtsein, an einen dramatischen Endkampf − und zwar nicht irgendwann,
sondern unmittelbar bevorstehend.
Das bei Merkels Kanzleramt
angesiedelte Bundespresseamt soll laut dem Memorandum die Führung beim
Feldzug gegen ungelegene Veröffentlichungen ergreifen. Da sitzen
immerhin stolze 500 Mitarbeiter, fast schon ein kleines
Propagandaministerium, das nun ein „Abwehrzentrum“ gegen „Fake News“
bilden möge. Man dürfe keine Zeit verlieren: „Mit Blick auf die
Bundestagswahl sollte sehr schnell gehandelt werden“, schreiben Minister
de Maizières Beamte sichtlich alarmiert.
Moment mal! Sind Beamte
nicht Staatsdiener, lebenslange Angestellte des ganzen Volkes, die
unparteiisch allen zu dienen haben und sich niemals zum Werkzeug im
parteipolitischen Wettkampf machen dürfen? „Mit Blick auf die
Bundestagswahl“? Gilt nicht ein striktes Neutralitätsgebot für
Staatsdiener?
Tja, so war das zumindest mal. Muss irgendwo verloren
gegangen sein. Wahrscheinlich an der historischen Wegscheide, an der
sich die etablierten Parteien entschlossen haben, neue politische
Konkurrenten nicht mehr als neue politische Konkurrenten im freien,
demokratischen Wettkampf um Wählerstimmen wahrzunehmen, sondern als das
Böse in Parteiengestalt. Gegen das Böse müssen selbst „neutrale“ Beamte
Farbe bekennen.
Wie richtige Meldungen aussehen, haben wir neulich
auf NTV sehen können. Da war von Leuten die Rede, welche den Terror von
Berlin missbrauchten. Auf der Straße hätten sie „alte Reichsflaggen“
geschwenkt. Damit sollte den Zuschauern wohl klargemacht werden, dass
das Rechtsradikale waren. Wie auf den Bildern zu sehen, handelte es sich
um Schwarz-Rot-Gold in der Kreuzform skandinavischer Flaggen. Diese Fahne ist einst entworfen worden von Josef Wirmer, einem Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944. „Alte Reichsflagge“? Ist das „Fake
News“ oder „Qualitätsjournalismus“? Urteilen Sie selbst.
Auf der
anderen Seite präsentierte uns der Sender Gegendemonstranten gegen den
Aufmarsch der „alten Reichsflaggen“. Dort hätten Menschen für Versöhnung
demonstriert und „gegen Hass“. Über diesen vorbildlichen Bürgern
flatterte das Banner der „Antifa“, deren vollkommen hassfreie
Versöhnlichkeit gegenüber Andersdenkenden allbekannt ist.
Aber kehren
wir von so viel lichter Wahrhaftigkeit in der Berichterstattung noch
einmal kurz zurück zum düsteren Problem der „Fake News“. Das ist so
bedrohlich, dass selbst der oberste Europäer, EU-Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker nämlich, ein „konsequentes Vorgehen gegen
Falschmeldungen im Internet“ fordert.
Da können Sie sehen, wie groß
die Bedrohung sein muss. Selbst ein Mann, der einst meinte: „Wenn es
ernst wird, muss man eben lügen“, wirft sich in die Schlacht für mehr
Ehrlichkeit. Listig versucht er dabei, die sozialen Netzwerke wie
Facebook oder Twitter dazu zu animieren, den Herrschenden beim
Herauszensieren missliebiger Texte behilflich zu sein: Glaubwürdigkeit
sei das „wichtigste Kapital“ jener weltumspannenden Netzwerke.
Leicht
gesagt, um seine eigene Glaubwürdigkeit muss sich der Luxemburger
schließlich keine Sorgen mehr machen − weg ist weg.
Wir sollten
bedenken, dass der Vorschlag mit dem „Abwehrzentrum“ schon vor dem
Terrorakt von Berlin formuliert worden war. Wie aufgeheizt muss sich die
Stimmung im Innenministerium jetzt ausnehmen? Dass Anis Amri erst in
Italien und dort auch nur per Zufall gestellt werden konnte, hinterlässt
einen durchwachsenen Eindruck.
Das Innenministerium wäre die zuständige
Instanz, die uns mal erklären müsste, wie er bis dorthin entwischen
konnte. Und wieso ein längst vor der Tat derart auffälliger Gefährder
wie Amri nicht wenigstens gründlich beschattet worden war, was die Tat
höchstwahrscheinlich hätte verhindern können.
Ach, es gäbe, so de
Maizière, ja nicht einmal die juristische Handhabe, um jeden der mehr
als 500 Gefährder in Deutschland rund um die Uhr überwachen zu lassen.
Und wieso nicht? Die Antwort lässt der Minister lieber aus, weshalb wir
sie selber nachliefern: Weil die Politiker des Bundestages die Gesetze
so gemacht, die Masseneinwanderung zugelassen und die
Sicherheitsstrukturen des Landes so aufgestellt haben, dass das nicht
geht.
Koalitionsfreund Ralf Stegner besteht indessen darauf, die
Debatte um Flüchtlinge von Sicherheitsbelangen zu trennen. Erstens habe
es ja auch deutschen Terrorismus gegeben und zweitens hätten die
Flüchtlinge mit Terrorismus genauso wenig zu tun wie Deutsche, sagte er
laut „Tagesspiegel“.
Da haben wir’s wieder: Im Grunde ist gar nichts
passiert! Jedenfalls nichts, was nicht auch Deutsche hätten tun können.
Außerdem ist es viel wahrscheinlicher, beim Essen zu ersticken als einem
Terrorakt zum Opfer zu fallen, wie uns die ARD schon im Sommer
mitgeteilt hat.
Man möchte in die Herzen der Leute gucken, die
dermaßen verharmlosen. Erinnern Sie sich an die maximale Empörung nach
(wirklichen oder vermeintlichen) rassistischen Übergriffen gegen
Nichtdeutsche? An die massiven Gefühlswallungen und die empörte
Verachtungswelle, die den mutmaßlichen Tätern entgegenschlugen und
allen, die man weltanschaulicher Nähe zu ihnen bezichtigen mochte?
Heute
dagegen wird uns geradezu verordnet, in trüber, stoischer Stille über
die Verbrechen hinwegzugehen.
Ein „Spiegel online“-Autor bekennt, ihn
lasse das Geschehen seltsam kalt. Obwohl in Berlin zuhause, bleibe ihm
der Horror abstrakt, als sei er in einem fernen Land geschehen.
Woher
kommt die Kälte? Mit welch ausgeprägtem Mitleid wird über das Leid der
Menschen in Syrien, Irak oder Afrika berichtet. Und man stelle sich vor,
zwölf Asylsucher wären beim Anschlag eines Deutschen umgekommen.
Hätten
wir bei „Spiegel online“ dann auch lesen können, wie kalt einen das
lasse?
Vielleicht liegt die Ursache ja hier: Jahrzehntelang haben
wir eingeübt, Deutsche nur sehr eingeschränkt als Opfer ausländischer
Gräuel wahrzunehmen. Wenn überhaupt, geschah dies stets mit dem
einschränkenden Hinweis, „die“ Deutschen hätten ja auch ... oder „die“
Deutschen hätten schließlich angefangen. So wurde zahllosen Deutschen
möglicherweise ihre Fähigkeit zum Mitgefühl mit den eigenen Landsleuten
ganz langsam, aber gründlich abtrainiert, ohne dass sie es gemerkt
haben.
Selbst wenn in Berlin auch Ausländer ermordet wurden − Ziel
waren Deutschland und die Deutschen. Da blicken viele der „Trainierten“
nun betreten in ein kaltes Loch, wo im Falle von nichtdeutschen Opfern
ihre „Wut und Trauer“ aufgelodert wären. Hans Heckel
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