Das Ergebnis der amerikanischen
Präsidentschaftswahl hat eine Grundgewissheit der politischen Moderne
als Wunschdenken entlarvt, nämlich die Annahme, in reifen
Industriegesellschaften gebe es grundsätzlich eine Mehrheit der
„fortschrittlichen“ gegen die „beharrenden“ Kräfte.
Zu den
„fortschrittlichen“ Kräften zählen in dieser Betrachtung alle jene, die
den Nationalstaat für überholt und mehr Einwanderung kulturell Fremder
für grundsätzlich positiv halten. Dazu zählen ferner die Grünen, die
Feministen, die Freunde der Homo-Ehe und die Anhänger der
Gender-Ideologie.
Trump hat gezeigt, dass sich jenseits dieser Gruppen
gesellschaftliche Mehrheiten organisieren lassen. Alle Hinweise darauf,
welche eine unmögliche Person Donald Trump sei, welche absurden
Positionen er vertrete und dass er sich durch seine Beschimpfungen der
Presse und der politischen Gegner selber disqualifiziere, vergrößern
seinen Triumph noch: Welche Erfolge müsste er erst haben, wenn man diese
Schwächen nicht gegen ihn ins Feld führen könnte. Jene großen Gruppen
in der amerikanischen Gesellschaft, die von Globalisierung und
Einwanderung nicht profitieren oder diese ganz einfach nicht mögen,
können zusammen mit dem Wertkonservativen eine politische Mehrheit
erringen - und haben dies auch getan. Das ist die Botschaft der
amerikanischen Präsidentschaftswahl. Die Parallele zum Brexit-Votum ist
nicht zufällig.
Die etablierten Parteien in Deutschland machen bislang nicht den
Eindruck, als ob sie diese Botschaft verstanden hätten. ganz im
Gegenteil:
- Eine Obergrenzen für illegale Einwanderer und Flüchtlinge soll es weiterhin nicht geben.
- Weniger als 1 Prozent aller illegalen Einwanderer und Flüchtlinge
erhalten nach Abschluss aller Verfahren ein Recht auf Asyl. Aber über
90 Prozent aller illegalen Einwanderer und Flüchtlinge können gleichwohl
in Deutschland bleiben, das auf diese Art mehr oder mehr zum Sozialamt
Afrikas und des Nahen und Mittleren Ostens wird.
- Es gibt keine Ideen dazu, wie man den zu erwartenden Massenzustrom
aus Afrika vorbeugend abwehren will oder wie man den Diktator Erdogan
als Grenzwächter Europas ablösen kann.
- Ein absolutes Tabu ist die Debatte darüber, dass die ethnische und
kulturelle Herkunft auch Integrationswillen und Leistungsbereitschaft
von Einwanderern dauerhaft beeinflusst.
Die politische Einigung von Union und SPD auf Frank Steinmeier als
künftigen Bundespräsidenten und die Ankündigung von Angela Merkel,
erneut als Spitzenkandidatin der CDU/CSU anzutreten, haben für 2017
immerhin einige Verfahrensfragen geklärt.
Das Establishment spielt damit
auf Zeit:
- Ein Bundespräsident Steinmeier könnte 2022, wenn er dies wollte,
erneut kandidieren und bis 2027 Präsident bleiben. Dies würde ihm
niemand streitig machen. Politisch ist er zu trittsicher, als dass sich
Ereignisse wie bei Horst Köhler oder Christian Wulff wiederholen
könnten.
- Eine bis Herbst 2021 gewählte Bundeskanzlerin Angela Merkel könnte
sogar noch eine vierjährige Amtsperiode von Donald Trump überdauern.
- Alle Parteien, außer der Linken und der AfD, überschlagen sich
geradezu in Koalitionsangeboten an die Union. Angela Merkel kann wählen,
eine erneute große Koalition im Herbst 2017 ist die wahrscheinlichste
Lösung. Es ist aber auch ziemlich egal, wer unter Angela Merkel
mitregiert. Es wird immer eine ähnliche Politik dabei herauskommen.
Die eigentlichen Herausforderungen werden in Faktoren liegen, die sich dem deutschen Zugriff weitgehend entziehen.
- Was bedeutet es, wenn die Briten ihren Brexit zu einem wirtschaftlichen und politischen Erfolg machen?
- Wie entwickelt sich die Situation in Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten?
- Was bedeutet das absehbare Scheitern der internationalen Klimapolitik?
- Wie reagiert man, wenn es Trump gelingt, die Einwanderung aus
Mittel- und Südamerika mit Erfolg zu drosseln und so beweist, dass
Mauern eben doch helfen?
- Wird die Bundeswehr neue Divisionen bekommen, wenn Trump das militärische Engagement in Europa drosselt?
Diese Liste allein wird dazu führen, dass viele jener Wähler Angela
Merkel unterstützen werden, die eigentlich eine andere Politik wollen.
Auch das ist jedoch keine Gewissheit, wie das amerikanische Beispiel
eindringlich vor Augen führt.
Gegenwärtig gibt es in der deutschen Politik nur zwei inhaltliche
Alternativen zu Angela Merkel: Sahra Wagenknecht oder Frauke Petry.
Damit sind wir beim Drama der SPD: Niemand braucht eine
Ich-auch-Partei wie die SPD, wenn das Original sozialdemokratischer
Politik von Angel Merkel repräsentiert wird. Der tiefe Fall der SPD ist
noch nicht vorüber. Das ganze Dilemma zeigt sich darin, dass Sigmar
Gabriel gegenwärtig mit drei denkbaren sozialdemokratischen
Kanzlerkandidaten jongliert, darunter auch er selbst. Die anderen beiden
sind Martin Schulz und der Bürgermeister von Hamburg, Olaf Scholz. Der
war aber gar nicht gefragt worden, ehe er genannt wurde.
Entlastung für die etablierten Parteien in Deutschland könnte von
unvermuteter Seite kommen: Der Spitzenkandidat der französischen
Republikaner, Francois Fillon, hat die Vorwahlen mit einen Programm
gewonnen, das für französische Verhältnisse geradezu radikal ist. Er
hält traditionelle Familienwerte hoch und hat sich zu Abtreibungsfragen
kritisch geäußert. Dem Front National könnte er einen Teil seiner
konservativen Wähler abspenstig machen und so die französische
Präsidentschaftswahl gewinnen.
Mal sehen, wie die stets bewegliche Angela Merkel darauf regiert. Thilo Sarrazin
Zuerst erschienen in der Züricher Weltwoche
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