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Mittwoch, 14. Dezember 2016

Postfreiheitlich

Wir leben in postfaktischen Zeiten“, verkündete im September die Bundeskanzlerin vor der Bundespressekonferenz. Sie muß es ja wissen. Postfaktisch soll nach gängiger Lesart bedeuten, daß Gefühlen und Spekulationen mehr geglaubt wird als Tatsachen. „Postfaktische Politik ist ein politisches Denken und Handeln, bei dem Fakten nicht im Mittelpunkt stehen. Die Wahrheit einer Aussage tritt hinter den Effekt der Aussage auf die eigene Klientel zurück“, definiert Wikipedia. Da kann sich die Kanzlerin gleich selbst zum Kronzeugen nehmen.

Ihr „Wir schaffen das“ ist nach dieser Definition ein Paradebeispiel für „postfaktische“ Politik: Emotionsgeladen und von Fakten und rationaler Analyse ungetrübt, und der begeisternde Effekt auf die anvisierte Klientel (nein, nicht die doofen Wähler, sondern die grünlinke Meinungsmacherkaste) war ja auch durchschlagend.
Aber nicht nur die Kanzlerin kennt sich mit „postfaktischer Politik“ aus. Heiko Maas, der Bundesjustizministerdarsteller, ist ein gelehriger Schüler, wenn er mit der Ernsthaftigkeit einer Büroklammer Sätze wie diesen verkündet: „Es gibt keine einzige nachweisbare Verbindung zwischen dem Terrorismus und den Flüchtlingen.“
Daß die Sicherheitsbehörden inzwischen schon reihenweise Terrorverdächtige verhaftet haben, die in Asylunterkünften gemeldet waren, daß gleich mehrere der Attentäter von Paris und Brüssel als Asyl-Immigranten nach Europa gekommen waren, muß in diesem Zusammenhang nicht interessieren. Das gute Gefühl und die korrekte Gesinnung zählen.

Erst recht bei postfaktischen Politikern wie Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt: „Die Einwanderer bezahlen die Rente derjenigen, die in Dresden auf die Straße gehen.“ Die Vorlage dafür könnte vom postfaktischen Ökonomen Marcel Fratzscher stammen („Viele der Geflüchteten werden die Renten der Babyboomer zahlen.“)
Oder auch vom postfaktischen Konzernlenker Dieter Zetsche, der vor einem Jahr ein Flüchtlings-Wirtschaftswunder herbeiphantasierte: „Genau solche Menschen suchen wir bei Mercedes und überall in unserem Land.“ Wie viele „Geflüchtete“ haben die Dax-Konzerne gleich wieder eingestellt? 54? Und Daimler?

Politiker, die sich nicht um Fakten scheren, findet man an jeder Ecke. Wolfgang Schäuble gehört auch dazu, der jede neue Milliardenspritze für das bankrotte Griechenland ungerührt mit dem „guten Weg“ und den „erheblichen Fortschritten“ rechtfertigt, die das Land doch mache. Eine lustige Auswahl findet sich hier.
Aber für solche Kritik wurde der Begriff natürlich nicht erfunden. Wenn derzeit inflationär von „postfaktisch“ geschwätzt wird – seit neuestem mit dem Segen des Oxford English Dictionary und der brav hinterherdackelnden Gesellschaft für deutsche Sprache, die das Schlagwort prompt zum „Wort des Jahres“ ernannt hat –, dann vor allem deshalb, um als „rechtspopulistisch“ geschmähte Anti-Establishment-Kräfte – Trump-Fans in den USA, AfD, Pegida und andere hierzulande – in die Doofen-Ecke zu stellen.
Die machen Bauchpolitik, wir vom Establishment sind die Durchblicker, soll das Gerede von „postfaktisch“ suggerieren. Die fallen auf jede Falschmeldung („fake news“) rein, wir haben die Vernunft, die Wahrheit und die Fakten gepachtet.

Wer bei „fake news“ also an den etablierten Medien-Chor denkt, der wie auf Kommando illegale Einwandererscharen pauschal zu kriegstraumatisierten „Flüchtlingen“ umlügt, sich mit allen Kameras auf ein paar versprengte Asylbewerber-Familien stürzt, obwohl vor allem junge, kerngesunde Männer ins Land strömen, und von Asyl-Lobbyisten mit mehr Photographen als „Flüchtlingen“ dreist inszenierte „humanitäre Katastrophen“ wie den angeblichen Grenz-Sturm im griechischen Idomeni reflexartig weiterverbreitet, liegt grundfalsch.
Derart dreiste Manipulationen meint auch die CDU nicht, wenn sie seit neuestem dafür eintritt, die Verbreitung von „fake news“ unter Strafe zu stellen. Die Meinungsmacher von ARD, ZDF und Stromlinienmedien haben da nichts zu fürchten: „Fake news“ werden nämlich nur dort gesucht, wo die etablierte Sicht der Dinge in Frage gestellt wird. Die aktuellen Kampagnen gegen „postfaktische Politik“ und „fake news“, die vorgeblich die Bürger, denen man das eigene Denken nicht zutraut, vor bösen Verführern schützen sollen, sind deshalb nichts anderes als ein raffiniertes Hintertürchen für Zensur und Gesinnungskontrolle mit neuem Etikett.
Und da so mancher, der sich heute gern zum Meinungswächter aufschwingen möchte, tendenziell noch dümmer ist als die „deutschen Censoren“ zu Heines und Metternichs Zeiten, könnte es in nicht allzu ferner Zukunft sogar schwer werden, wenigstens noch Witze über die Mächtigen zu reißen, ohne dafür gleich gemeldet zu werden. Willkommen im postfreiheitlichen und prätotalitären Zeitalter!   Michael Paulwitz

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