Stationen

Mittwoch, 5. Oktober 2016

Es ist anders



Es sind verstörende Bilder. haßverzerrte Gesichter. Ein brüllender Mob. „Hau ab“-Rufe. „Verpiß Dich!“ „Pack!“ Emporgestreckte Mittelfinger. Im Visier der pöbelnden Masse: ein demokratisch gewählter Vertreter unserer Demokratie. Die Wut, die ihm entgegenschlägt, gilt nicht nur ihm, sondern unserem gesamten Gemeinwesen, dem Staat und seinen Repräsentanten.
Sachsen, immer wieder Sachsen. Mehr als 25 Jahre nach der Widervereinigung scheinen dort immer noch etliche Menschen nicht in der heutigen Demokratie angekommen zu sein. Haß ist die einzige Sprache, der sie mächtig sind. Sie lehnen alles und jeden ab, der nicht so ist und denkt wie sie. Sachsen, immer wieder Sachsen. Kaltland, Dunkeldeutschland.

 


Dresden am 3. Oktober 2016? Nein, Heidenau am 28. August 2015.
Die Pöbler rechte Pegida-Demonstranten? Nein, es ist die Antifa, unterstützt von Vertretern der Asyllobby und einigen Ausländern, die den sächsischen Innenminister Markus Ulbig (CDU) beleidigen und vom Hof jagen.
Aufschrei, Empörung, Skandal? Fehlanzeige. Warum auch, es waren ja die Guten, die da demonstrierten. Die Bündnispartner im Kampf für Demokratie und Toleranz. Also keine Panik, umdrehen, weiterschlafen.  JF



„In Dresden erklang die Sprache des Dritten Reiches“, belehren uns die Paladine der herrschaftsfrommen Stromlinienmedien* über die Bürgerproteste gegen Merkel, Gauck, Tillich, Roth und die anderen beim regierungsamtlichen Tag der Deutschen Einheit in Dresden.
Daß die feiste Selbstzufriedenheit und die hohlen Phrasen, mit denen sich die politische Klasse fernab vom für dumm verkauften Volk unverdrossen selbst feiert, immer fataler an die letzten Auftritte Honeckers und der alten Wandlitz-Garde erinnern, schreiben sie natürlich nicht.
Aber es gab am 3. Oktober ja auch den „Festakt zur Deutschen Einheit“ in der Frankfurter Paulskirche, der ganz ohne Politikerauspfeifen und lästiges Protestierervolk auskam und deswegen ein bißchen magere Beachtung fand, obwohl er an Absurdität und abgehobener Selbstzufriedenheit dem Dresdener Politiker-Aufgalopp in nichts nachstand.
Der grüne Uralt-Achtundsechziger Daniel Cohn-Bendit hielt die Festrede, und die handverlesene Festgemeinde jubelte und feierte und umarmte und beklatschte sich und den Revoluzzer-Rentner, als wären SED-Parteitag und nordkoreanischer Volkskongreß auf einen Tag gefallen.
Atemlos vor Bewunderung hofberichtet die rot-grüne Hauspostille Frankfurter Rundschau – fast möchte man meinen, die Prawda wäre leibhaftig wieder auferstanden.
Nur ein paar Spielverderber von CDU und FDP waren wegen der ungeklärten „pädophilen Vergangenheit“ des Festredners nicht gekommen. Der warf mit ollen Kamellen nur so um sich; nicht einmal die Bob-der-Baumeister-Parolen von Barack Obama und Angela Merkel ersparte er dem Publikum, obwohl sogar die Kanzlerin ihr „Wir schaffen das“ schon nicht mehr hören kann.
Dazwischen eine Prise Boykotthetze gegen Rußland, den neuen Erzfeind der US-Imperialisten, gegen die man früher mal auf die Straße gegangen war. Bloß keine Fußballmeisterschaft im finsteren Rußland.
Über Deutschland spricht Cohn-Bendit, Tag der Deutschen Einheit hin oder her, dafür um so weniger. „Europa“, oder vielmehr: EU heißt sein Himmelreich auf Erden, das er sich als noch monströseren Umverteilungs- und Ökodiktatur-Moloch erträumt.
Dafür greift der wohlversorgte Grünen-Veteran ganz nach hinten in die grünlinke Mottenkiste: „Die Überwindung der Nationalstaaten ist die Voraussetzung für unsere Zivilisation“, lautet seine Zentralbotschaft.
Umgekehrt wird ein Schuh draus: Die Nationalstaaten sind die Grundlage unserer Zivilisation. Ihre Auflösung bedeutet in letzter Konsequenz die Zerstörung von Demokratie, Selbstbestimmung, Rechtsstaat, Solidarität, Zusammenhalt, kurz: der Fundamente unserer Kultur und Gesellschaftsordnung.
Aber das bekommt eine CDU-Kanzlerin inzwischen sowieso viel gründlicher hin, als sich ein ergrauter Funktionär mit Dauerrevolutionärsattitüde das jemals hätte ausmalen können. Das macht seinen Auftritt erst recht zum anachronistischen, absurden, rückwärtsgewandten Spektakel. Eine politische Klasse, die sich selbst überlebt hat, erkennt man auch an den zu Idolen erhobenen Gespenstern der Vergangenheit, denen sie zu Füßen liegt.  Michael Paulwitz

* Thomas Schmid, einstiger Lektor bei Klaus Wagenbach wechselte 1998 die Seiten und gehört seitdem zum Springer-Imperium

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