Stationen

Sonntag, 9. Oktober 2016

Robin Detje zu Ehren




Der Franzose Michel Houellebecq erscheint in den deutschen Medien gemeinhin mit dem Namenszusatz „Skandalautor“, wahlweise auch als „Provokateur“. Man muß das wahrscheinlich als journalistische Entlastungshandlung verstehen, etwa so, wie die AfD immer mit dem Zusatz „rechtspopulistisch“ versehen wird. Wer ohne solche Attribute auskommt, erweckt den Verdacht der Sympathie.

Wer einmal Sympathie anklingen ließ, wird auch noch zehn Jahre später in Haftung genommen, wenn der Provokateur etwas nun wirklich Unverzeihliches, nicht mehr zu Tolerierendes geäußert hat.
Nun hat Houellebecq mit seiner Dankesrede zur Verleihung des Frank-Schirrmacher-Preises – über die groteske Kluft zwischen Namenspatron und Preisträger breiten wir den Mantel des Schweigens – einen Stein in den deutschen intellektuellen Konsens-Teich geworfen.

Feuilletonisten wie der Zeit-Mann Robin Detje – zum Bellen geboren, zum Apportieren bestellt – schlugen prompt an, aber eine veritable, auf Existenzvernichtung sinnende Hatz wäre wohl nur losgebrochen, wenn der Autor erstens ein Deutscher und zweitens kein Millionär wäre. Angesichts seiner vorhersehbaren Folgenlosigkeit verebbte der Angriff, und der Skandalautor gewann, nur mäßig gezaust, das rettende linksrheinische Ufer.

Diese Rede, suggerierte der erwähnte Feuilletonist, schände gewissermaßen das Houellebecqsche Gesamtwerk. Tatsächlich fügt sie sich so vollkommen nahtlos darein wie ein Zeit-Feuilletonist ins Zeit-Feuilleton oder ein Pinguin in die Antarktis. Houellebecq handelt die Themen ab, die sich auch in seinen Romanen finden: die Bindungslosigkeit, Fortpflanzungsunwilligkeit und Abdankungsgeneigtheit des westlichen Menschen, die Verweiblichung und Gouvernantisierung der Gesellschaft, die Niederwerfungsbereitschaft des vor allem von innen sturmreif geschossenen Kontinents vor dem Islam, die groteske Selbsteinsperrung der westlichen Intellektuellen ins Laufställchen der Politischen Korrektheit.

Inbegriffen ist zudem eine maßvolle Attacke auf die französische Linke; die sei, so Houellebecq, „allem Anschein nach am Sterben“. Er beobachte einen Prozeß, der sich seit dem Amtsantritt von François Hollande beschleunigt habe. Die Linke sei „immer aggressiver und bösartiger geworden. Es handelt sich um den klassischen Fall des in die Enge getriebenen Tiers, das Todesangst verspürt und gefährlich wird.“

Wie gesagt, all das ist Houellebecq as usual. „Was damals an Inhalten von den Linken noch übriggeblieben war, war die Ablehnung des Rassismus oder, genauer gesagt, ein gegen die Weißen gerichteter Rassismus“, heißt es im Roman „Die Möglichkeit einer Insel“ (2005). „Ich bin Rassist“, spricht eine Figur in „Plattform“ (2001). „Ich bin Rassist geworden. (…) Eine der ersten Folgen des Reisens.“
Im selben Roman findet sich die Passage: „Wir legten eine kurze Pause ein, um zu Mittag zu essen. Zur gleichen Zeit schlugen zwei Jugendliche aus der Cité des Courtillières einer Frau in den Sechzigern mit einem Baseballschläger den Schädel ein. Als Vorspeise nahm ich Makrelen in Weißweinsauce.“ Der Feuilletonistenblick auf die Welt in drei Sätzen! Chapeau!

Houellebecq trägt seine Rede im Duktus eines freien Geistes vor; allein das erhebt sie zu einem Ereignis. Er unternimmt gar nicht erst den Versuch einer Anpassung an irgendein diskursives Benimmregelwerk. Warum sich um die Selbstknebelungsrituale einer abdankenden Gesellschaft scheren? Anthropologischen Optimismus kennt er nicht, daher rührt seine Fremdheit gegenüber der Linken. Er gehört nirgends dazu. Er will nicht gefallen. „Seien Sie richtig gemein, dann sind sie wahr“, hat er vor fast 20 Jahren, damals noch ein unbekannter Autor, im Figaro littéraire als Maxime ausgegeben.

Wie Gott ist auch er Biologist, und darum trifft er lakonische Feststellungen wie: „Der Dschihadismus wird ein Ende finden, denn die menschlichen Wesen werden des Gemetzels und des Opfers müde werden. Aber das Vordringen des Islam beginnt gerade erst, weil die Demographie auf seiner Seite ist und Europa, das aufhört, Kinder zu bekommen, sich in einen Prozeß des Selbstmords begeben hat. Und das ist nicht wirklich ein langsamer Selbstmord. Wenn man erst einmal bei einer Geburtenrate von 1,3 oder 1,4 angekommen ist, dann geht die Sache in Wirklichkeit sehr schnell.“

In seinem Roman „Plattform“ hat Houellebecq unmittelbar vor dem 11. September 2001 den islamischen Terror thematisiert und in „Unterwerfung“ dann die naheliegendste Frage der Gegenwart gestellt, nämlich: Was geschieht in den westeuropäischen Ländern, wenn der stetig wachsende und im Vergleich mit den Eingeborenen vor allem deutlich jüngere muslimische Bevölkerungsteil anfängt, seine Vorstellungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens in die Politik „einzubringen“?


Der erste literarische Repräsentant des sexuellen Pauperismus, der trostloseste Schilderer der existentiellen Erschöpfung des europäischen Menschen, der Erfinder des Begriffes „nullogam“ und Verkünder einer neuen Kallokratie – „Die körperliche Schönheit spielt hier genau die gleiche Rolle wie der Geburtsadel im Ancien régime“ („Die Möglichkeit einer Insel“) – stimmte auf einmal den Sirenengesang der Erlösung an.
Eine Erlösung hat naturgemäß ihren Preis. Es war kein Zufall, daß ein Literat, der den Krieg der Geschlechter in falkenäugiger Illusionslosigkeit schildert, irgendwann jene Zivilisation in den Blick nehmen würde, die diesen Krieg von vornherein unterbindet. Das skandalöse Geheimnis des Buches „Unterwerfung“ besteht ja nicht darin, daß es islamfeindlich ist – das ist es nämlich nicht –, sondern daß es beschreibt, wer den Preis einer Islamisierung Europas zahlen würde: die Frauen. Die Kölner Silvesterkirmes war gewissermaßen die erste Rate.

Der westliche Mann, dessen ist sich Houellebecq gewiß, wird den neuen Frontverlauf mit einem Achselzucken hinnehmen. Er wird die Frauen nicht verteidigen. Was seine eigene Tauglichkeit angeht, hat der Schriftsteller schon vor Jahren ein Urteil getroffen: „Es war nicht sicher, ob die Gesellschaft sehr lange mit Individuen wie mir überleben konnte.“  MK am 9. 10. 2016


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