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Dienstag, 11. Oktober 2016

Seit 10 Jahren


Fortgeschrittener 10. Oktober 2016
Die Macht der Gewohnheit, die den Ochsen sein Joch tragen lässt, vereint sich mit jener der Feigheit, die das Joch begrüßt, wenn nur die Peitsche schweigt und das Messer nicht gegen einen gewetzt wird. Diese beiden allzuirdischen, allzumenschlichen Regungen beenden schließlich die Rebellion und führen in die Duldung und in die Unterwerfung.

Am 19. September 2006 veröffentlichte der französische Philosoph Robert Redeker in der Tageszeitung Le Figaro den islamkritischen Artikel "Face aux intimidations islamistes, que doit faire le monde libre?" ("Was soll die freie Welt angesichts der islamistischen Einschüchterungsversuche tun?"), ein Beitrag zur Debatte um die Regensburger Rede von Benedikt XVI. Durch einen Kommentar im Fernsehsender al-Dschasira fanden Zitate aus dem Text Verbreitung in der islamischen Welt. In Ägypten und Tunesien wurde am Folgetag der Vertrieb des Figaro eingestellt, der Autor erhielt zahlreiche Morddrohungen. Auf einer Internetseite fand sich neben dem Mordaufruf und Redekers Konterfei ein Foto seines Hauses samt detaillierter Anfahrtsbeschreibung. Der Philosoph tauchte unter und verkaufte sein Haus. Seine Dozentenstellen an zwei Mittelschulen in Toulouse wurden ihm gekündigt; die Eltern hatten Angst, wenn er weiter ihre Kinder unterrichtete. Seither lebt Redeker unter Polizeischutz an verschiedenen geheim gehaltenen Orten in Südfrankreich. Seinen jüngeren Sohn schickte er ins Internat, der ältere entfernte sein Namensschild vom Briefkasten, die Tochter heiratete und trägt nicht mehr seinen Namen.

"Die Unterdrückung, die auf mir lastet, ist eine Unterdrückung neuer Art, gegen die der Staat kaum eine Handhabe hat", schrieb Redeker 2007 in einer Zeitschrift. "Eine Unterdrückung des dritten Jahrtausends, die noch nicht einmal einen Namen hat. Eine unsichtbare Freiheitsberaubung: Ich sehe weder meine Kerkermeister noch meine möglichen Mörder. Aber ich weiß, es gibt sie, und sie hindern mich effektiv daran, so zu leben wie meine Mitmenschen, wie vor dem Artikel im Figaro."

Bis heute lebt der Mann in diesem Modus, und er wird es wohl bis ans Ende seiner Tage tun müssen, wenn er nicht riskieren will, dass dieses Ende früher kommt, als die Natur es für ihn vorsieht. Als der Skandal noch frisch war, gab es eine Solidaritätserklärung französischer Intellektueller, doch inzwischen kümmert der Fall niemanden mehr, und selbst wenn er jemanden scherte, was sollte derjenige tun? Und welcher Öffentlichkeitsarbeiter verspürte angesichts von Redekers Schicksal nicht jenes gewisse Ochsenglück, welches eben darin besteht, dass man zwar das Joch spürt – ein derzeit noch lächerlich leichtes Joch gewisser Meinungsfreiheitseinschränkungen und Blasphemieverbote –, aber die Peitsche schweigt und die Messer nicht gegen einen selbst gewetzt werden?

Aus dem kommunistischen Russland stammte ein Witz, in dem sich Männer aus mehreren Ländern unterhalten, was Glück sei. "Whisky und Nancy", sagt der Ami, "Bordeaux und Chantal", sagt der Franzose, doch der Russe weiß: "Ihr habt ja keine Ahnung, was  Glück ist! Wirkliches Glück ist, wenn es nachts an deiner Wohnungstür klingelt, dort zwei Männer in Ledermänteln stehen und fragen: 'Sind Sie Iwanow?' und du antworten kannst: 'Nein, Iwanow wohnt eine Treppe höher.'"



10. Oktober 2016
In einer TV-Doku einen Oktopus gesehen, der mit stupender Geschwindigkeit exakt die Farbe des Untergrunds annahm, auf welchem er sich gerade befand. Musste sofort an einen jüngst ernannten Chefredakteur denken.  MK am 10. 10. 2016

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