An diesem Montag nimmt die frisch gegründete
„Bayerische Grenzpolizei“ mit Hauptquartier in Passau ihre Arbeit auf.
Die Grenzpolizei gehört zu den Innovationen von Ministerpräsident Markus
Söder. Das heißt, ganz neu ist die Truppe nicht.
Dass die Landespolizei in Bayern bei der Grenzsicherung helfen darf,
stand schon im alten Polizeiaufgabengesetz, und eigentlich sichern die
Grenzpolizisten auch nur den Raum hinter der Grenze, aber das tat die
Landespolizei bisher auch schon. Neu ist genaugenommen nur der Name
„Grenzpolizei“, die als eigene Einheit einem neuen Chef unterstellt
ist: Alois Mannichl, 62. Dem einen oder anderen dürfte der Name bekannt
vorkommen. War da nicht etwas?
„Am Abend des 13. Dezember
2008 stach ihn ein Unbekannter vor seinem Wohnhaus in Fürstenzell mit
einem Küchenmesser nieder und verletzte ihn schwer“, schreibt der Tagesspiegel über den neuen bayerischen Grenzschützer: „Dabei
soll er zu Mannichl gesagt haben: ‚Schöne Grüße vom nationalen
Widerstand. Du trampelst nicht mehr auf den Gräbern unserer Kameraden
herum.’“ Der „Tagesspiegel“ rekapituliert außerdem die Lage von damals, angereichert mit Zeitgeschichte: „In
ganz Deutschland waren die Menschen entsetzt: verübten Neonazis nun
Mordanschläge auf Polizisten…? Heute mag das nicht mehr so ganz
erstaunlich-entsetzlich wirken, doch damals waren die NSU-Morde noch
nicht den Terroristen zugeordnet.“
Auch die „Augsburger
Allgemeine“ überschrieb ihren Text über die Ernennung Mannichls zum
obersten Grenzschützer Bayerns mit einer großen Nacherzählung: „Wie der Chef der Grenzpolizei Opfer eines Verbrechens wurde“.
Der
Fall Mannichl gehört allerdings zur Kategorie der Fälle, die sich doch
etwas anders zugetragen hatten als ursprünglich berichtet. Wer ihn sehr
nüchtern beschreiben will, kann ihn seltsam nennen. Dubios trifft es
allerdings auch.
Das Küchenmesser, mit dem Mannichl Verletzungen
zugefügt worden waren, stammte aus dem Haushalt der Familie Mannichl.
Die Polizei entdeckte damals an dem Messer nur Anhaftungen von
Familienmitgliedern und keinerlei fremde DNA. Es fand sich auch kein
Zeuge, der den Angreifer gesehen haben wollte, obwohl sich die
angebliche Tat in einer Einfamilienhaus-Siedlung in Fürstenzell
zugetragen hatte, und das nicht am frühen Morgen oder nachts, sondern um
halb sechs Uhr abends. Eine Fahndung nach dem von Mannichl als großem
Mann mit Glatze beschriebenen Täter blieb erfolglos.
Damit endet
die Kette der Merkwürdigkeiten noch lange nicht. Mannichl hatte
berichtet, mit dem Täter gerangelt zu haben. Zur Polizeiroutine gehört
es zumal bei einem angeblichen Attentat, die Spuren an den Händen und
unter den Fingernägeln des Opfers zu sichern. Das passierte nicht.
Apropos Polizeiroutine: geführt wurden die Ermittlungen damals zunächst
von Beamten aus Mannichls eigener Dienststelle. Eine besondere Rolle in
dem Fall spielte das Tatmesser: wie bekam es der Täter eigentlich in die
Hand, obwohl der das Haus der Mannichls nicht betreten hatte? Der
Polizist erzählte, er habe das Messer – ein Brotmesser – draußen
benutzt, auf die Fensterbank neben den Hauseingang gelegt und dort
vergessen. Bis eben der Attentäter, der offenbar keine Waffe dabei hatte
oder seine eigene schonen wollte, an dem Dezemberabend bei dem
Polizisten klingelte und das Tatwerkzeug in praktischer Nähe vorfand.
Altgediente Kollegen Mannichls ließen damals ziemlich offen
durchblicken, dass sie ihrem Kollegen kein Wort glaubten. Fest stand am
Ende der dreijährigen Ermittlungen nur: Alois Mannichl hatte
Stichverletzungen durch ein Brotmesser aus seinem Haushalt erlitten.
Außer seinen eigenen Angaben gab es nie irgendeinen Beleg dafür, dass
sich auf ihn ein rechtsextremer Anschlag ereignet hatte.
Die
„Augsburger Allgemeine“ deutet in ihrem Text immerhin noch an, es habe
damals viele offene Fragen und den „bösen Verdacht“ einer
innerfamiliären Tat oder der Rache einer Geliebten gegeben. Der
„Tagesspiegel“ berichtet dagegen, als sei die Tat bestens dokumentiert,
lässt alle Details des Falls weg und schafft es auch noch, das
vermeintliche politische Attentat rhetorisch irgendwie mit dem NSU zu
verknüpfen.
Vor kurzem erschien in dem Berliner Blatt einer der
inflationären Klagetexte über um sich greifende postfaktische
Erzählungen. Die Autorin unterschied darin zwischen den Kategorien „Fake
News“ und „Bullshit“.
Wie der „Tagesspiegel“ zeigt, lässt sich das eine mit dem anderen mühelos verbinden. Wendt
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.