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Dienstag, 26. Juli 2016

Sag und wir töten, befiehl und wir sterben

Wegen zu vieler Ungereimtheiten verdächtigen viele den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, den Putsch von Teilen der Streitkräfte gegen ihn selbst organisiert zu haben.

Mit einem wie einstudiert erscheinenden Ritual trat Präsident Erdogan acht Stunden nach Beginn des Putsches gegen ihn am Flughafen von Istanbul vor die Presse. Eine gefühlte Ewigkeit lang blieb er vor seinen skandierenden Anhängern stehen, die riefen: „Sag und wir töten, befiehl und wir sterben.“ Und immer wieder: „Allahu akbar!“, den Schlachtruf der Islamisten, den man von den Terrorschauplätzen dieser Welt, aus Syrien und dem Irak, kennt. 

Zusammengetrieben wurden die Massen durch die Muezzine der Moscheen Istanbuls, die das Volk die ganze Nacht über mobilisiert hatten und die sich als die stärksten Anhänger Erdogans erwiesen. Zu diesem Zeitpunkt war der Putsch, der mit der sinnlosen Sperrung der beiden Bosporusbrücken durch Kampfpanzer begonnen hatte, bereits gescheitert, der Gegenputsch bereits ein voller Erfolg.
Der versuchte „Putsch“, der offenbar von einer Gruppe Offiziere der zweiten Reihe, wohl hauptsächlich aus der Luftwaffe und der Marine, dilettantisch begonnen worden war, wurde mit einem Gegenputsch und vielen Säuberungen gekontert. Zu Gefechten kam es nur im Parlamentsgebäude, dem Generalstabsgebäude der türkischen Armee und dem Hauptquartier der paramilitärischen Sondereinheiten. Insgesamt waren knapp 300 Menschenleben zu beklagen.

Die eingeübte Show am Flughafen war nicht Erdogans erster Auftritt in dieser Nacht. Schon kurz vor Mitternacht, als alle Welt über die Hintergründe noch im Dunkeln tappte, hatte er von seinem Urlaubsort Bodrum aus per Handyvideo bereits den Anhängern des islamischen Predigers Fethullah Gülen im Privatsender CNN-Türk die Schuld am Putsch gegeben. Das war nicht überraschend, denn Erdogan sieht nicht im Militär, sondern in dem Prediger und seinen Netzwerken seit Jahren seine gefährlichsten Widersacher.

Gülen befürwortet die Säkularisierung, die Erdogan rückgängig machen möchte. Bekannt ist sein Satz „Baut Schulen, nicht Moscheen“. Gülens Anhänger gründeten Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Wohlfahrts- und Medienorganisationen in vielen Ländern, während Erdogan selbst keinen Hochschulabschluss vorweisen kann. Mit Erdogan verband Gülen jedoch lange ein gutes Verhältnis. Mit seiner Hilfe gründete Erdogan seine islamisch-konservative AKP, mit der er 2003 die Macht errang, als Gülen bereits in den USA lebte. Gülens Anhänger besetzen wegen ihrer hohen Bildung auch unter Erdogan wichtige Ämter im Staat, er verfügt über ein großes Netzwerk und viel Einfluss, vor allem in der Verwaltung. 

2013 kam es wegen der friedlichen Proteste im Istanbuler Gezi Park zum Zerwürfnis, nachdem Gülen deren brutale Niederschlagung kritisiert hatte. 

Erdogan schloss daraufhin einen Großteil von Gülens Hizmet-Schulen und ließ viele Gülen-Anhänger unter Polizisten, Staatsanwälten und Richtern und Journalisten entlassen oder versetzen. Gülen und seine Bewegung werden seitdem als Terroristen verfolgt, obwohl seine Anhänger nie Bomben gebaut oder zu religiösem Hass aufgerufen haben. Nach dem gescheiterten Putsch verlangt Erdogan die Auslieferung des 75-Jährigen aus den USA, wo er seit 1999 im selbst gewählten Exil lebt.

Möglicherweise habe Erdogan die Putschnacht vom 15. auf den 16. Juli selbst organisiert, sagte Gülen noch in der Nacht der „New York Times“. Verdächtigungen in diese Richtung hatten sich im Laufe der Nacht schnell verdichtet. Grund war vor allem die stümperhafte Ausführung des Putsches, der von allen Parteien verurteilt wurde und keine politische Basis hatte. Fast wie nach Drehbuch schienen die Ereignisse abzulaufen, insbesondere der auf den Putsch folgende Gegenputsch mit seiner großen Verhaftungswelle von 6000 Regierungskritikern anhand von Listen, die lange vorbereitet waren. Nur die Hälfte der Verhafteten waren Militärs, die anderen Juristen, Journalisten und Professoren, die nichts mit dem Putsch zu tun hatten.

Die Unterstützung des Westens für Erdogan während des Putsches war lauwarm. Stundenlang gab es aus den westlichen Hauptstädten keinerlei Reaktionen. Washington und der Westen waren komplett überrumpelt und versuchten zu verstehen, was da in der Türkei ablief. Während Europa Erdogan wegen seines Flüchtlingsdeals noch braucht, hat er in Washington so gut wie jeden Kredit verspielt. US-Präsident Barack Obama hatte einst gehofft, Erdogan könne so etwas wie ein demokratischer Brückenbauer in die arabische Welt werden. Doch stattdessen hat er die dortigen Konflikte mit seinen osmanischen Großmachtgelüsten zusätzlich angefacht.

Der ehemalige US-Nahost-Unterhändler Aaron David Miller schrieb vor dem Scheitern des Putsches auf Twitter: „Erdogan war ein Größenwahnsinniger, der dabei war, ein großartiges Land zu zerstören. Wer wird ihn vermissen?“ Erst als Erdogan in der Nacht die Kontrolle über das Geschehen zurückzugewinnen schien, kamen die ersten Lippenbekenntnisse zur Verurteilung des Putsches aus dem Westen. Nun wollte sich niemand den Zorn von Sultan Erdogan zuziehen.    Bodo Bost

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