Die westlichen Islam-Debatten kreisen immer
wieder um zwei Begriffe: Friedfertigkeit und Toleranz. Besteht die
Möglichkeit, den Islam als friedfertige Religion zu interpretieren?
Auf Gewaltfreiheit ist der Islam nicht
ausgerichtet, der Koran empfiehlt den Einsatz von gewalttätigen Mitteln
in bestimmten Situationen. Die Standardabschwächung dieses Vorwurfs ist
heute, dass der Islam immer nur Verteidigungskriege geführt habe, auch
bei der Ausdehnung bis nach Andalusien, weil die Aufforderung, das
Christentum anzunehmen, einen Affront gegen Allah darstelle. Als
außerhalb des Islams Stehender kann man das natürlich nicht annehmen.
Wie kommt es zur Unterteilung der Welt in Gläubige und das „Haus des Krieges“?
Das ist noch keine koranische Unterscheidung,
sondern wächst erst an der Wende zum achten Jahrhundert heran, als
schon große Teile erobert sind. Da versucht man, die Eroberung auch mit
juristisch relevanten Begriffen zu fassen. So kommt man zu dieser
Unterscheidung, weil man sagt, im Haus des Krieges können die Riten
nicht unter einer islamischen Obrigkeit vollzogen werden – was bedeutet
das in Bezug auf das Jenseitsheil? Ohnehin besteht in den populären
Verlautbarungen über den Islam große Unsicherheit darüber, welche
Begriffe aus der frühen Zeit stammen, und was sich erst danach
entwickelt hat, auch Muslime selbst wissen in der Regel nicht Bescheid.
Manche elementare Dinge finden sich nur im Hadith – zum Beispiel, dass
der Glaube im Wesentlichen durch die fünf Säulen (i.e.
Glaubensbekenntnis, Gebet, Almosensteuer, Fasten und Pilgerfahrt, Anm.
d. Red.) definiert wird. Im Koran wird der Glaube ganz anders definiert,
als kämpferische Gläubigkeit.
Praktisch alle muslimischen Gelehrten lehnen eine
historisch-kritische Auslegung des Islams ab. Kann der Islam trotzdem in
eine säkulare Gesellschaft integriert werden?
Ich glaube, eine säkulare Gesellschaft hat
als wesentliches Element die Historisierung der Religionen. Es kann
keine Säkularität geben in einer Gesellschaft, in der ein Teil sagt, wir
beharren darauf, dass unsere universale Wahrheit überall gelten muss.
Das ist ein Widerspruch in sich.
Ist Toleranz, die ja ein Begriff der westlichen Aufklärung ist, mit dem Islam vereinbar?
Toleranz hat im Islam keine Basis. Was immer
heute als Toleranz angeführt wird, etwa, dass man die Andersgläubigen,
sofern sie sich zu einer Buchreligion bekennen, leben lässt, ist keine
Toleranz. Denn diese der islamischen Herrschaft Unterstehenden sind in
vielerlei Hinsicht gegenüber den Muslimen von minderem Recht. Sie haben
zum Beispiel kein Recht, eine Waffe zu tragen – im Dialog mit den
Andersgläubigen wird dann gesagt, sie brauchen keinen Kriegsdienst zu
leisten...
Lieber als Toleranz scheint Muslimen in Diskussionen ohnehin
das Wort „Respekt“ zu sein – wobei viele diesen Respekt gegenüber der
eigenen Religion in Europa vermissen.
Ich kann Menschen respektieren – aber hier
wird die Respektierung eines religiös begründeten Gedankengebäudes
gefordert, das selbst massiv den Anspruch auf universale Geltung erhebt.
Ein weiterer Begriff in diesem Zusammenhang ist die „Islamophobie“. Der
europäische Menschenrechtsbeirat hat sie schon als verwerflich
gebrandmarkt, und der UN-Menschenrechtsbeirat greift das zum Teil auf.
Ich halte das für falsch – die Menschenrechte beziehen sich auf den
Menschen, nicht auf das, was er glaubt. Islamophobie muss erlaubt sein,
man kann nicht eine Meinung oder Glaubenshaltung unter Schutz stellen.
Das ist eine bedenkliche Umdefinierung der Menschenrechte.
Die Rolle des Islams in Europa hat sich, seit Sie zu
studieren begonnen haben, sehr verändert. Inwieweit hat die westliche
Islamwissenschaft auf die politischen Entwicklungen reagiert?
Als ich anfing zu studieren, war das ein
mediävistisch ausgerichtetes Fach. Heute haben wir mehr akademische
Stellen, vor allem aber eine fast vollkommene Verlagerung des
Schwerpunktes auf das 20.Jahrhundert. Für eine Kultur wie die
islamische, die sich in ihren Äußerungen immer wieder auf die
Vergangenheit bezieht oder sich aus ihr rechtfertigt, ist das eine
Fehlentwicklung. Die Islamwissenschaft in Deutschland ist vielfach nur
noch eine auf die arabische Welt oder die Türkei bezogene Politologie.
Manche Wissenschaftler in Europa bezweifeln, dass Mohammed
wirklich gelebt hat, Sie sind überzeugt, dass er existiert hat – warum?
Zum einen, weil der Koran, wenn man ihn genau
liest, die religiöse innere Entwicklung einer Figur sehr stimmig
darstellt. Wenn man eine religiöse Stiftungsurkunde erfinden will, würde
man etwas nehmen, das keine inneren Widersprüche hat. Außerdem sind die
Argumente für die Nichtexistenz Mohammeds meines Erachtens nicht
stichhaltig. Beispielsweise wird gesagt, da müsste man materielle Belege
aus seiner Zeit haben – ja das haben wir für Platon auch nicht!
Welche deutsche Koran-Übersetzung würden Sie unseren Lesern empfehlen?
Von den Hadithen gibt es keine guten
Übersetzungen. Was den Koran angeht – die weitverbreitete Übersetzung
von Rudi Paret würde ich nicht nehmen, sie ist für Menschen, die
Arabisch können. Wer den Koran einfach lesen will, nimmt am besten die
uralte Übersetzung von Henning, die bei Reclam erschienen ist. Bei den
neuen muss man aufpassen, da werden zum Teil Dinge hineingelegt, die
nicht drinstehen. Ich habe einmal eine saudiarabische Übersetzung ins
Englische gelesen, und bei einer Sure, in der die Frauen aufgefordert
werden, sich züchtig zu kleiden, standen lange Anmerkungen darüber, was
das genau bedeutet.
Gibt es etwas, was Ihnen am Koran besonders sympathisch ist?
Ich muss gestehen, ich habe nie darüber
nachgedacht, was mir am Koran gefallen könnte. Was ich sympathisch finde
– wenn man von der Theorie weggeht, der Koran sei Gotteswort –, ist die
zum Teil erstaunliche Offenheit, in der Mohammed sich und seine
Interessen darstellt und sich damit selbst entblößt. Die Presse
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