Wann ist jemand eigentlich ein „verwirrter Einzeltäter“ oder
„traumatisiert“ oder einfach nur „kriminell“, und wann dagegen lässt
seine Untat auf den üblen Charakter einer Weltanschuung und ihrer
Anhänger schließen? Das ist das Rätsel, das momentan das Land aufwühlt.
Eine Legion von Experten wägt diese Frage hin und her, dabei ist die
Antwort ganz einfach: Es hängt allein davon ab, welche Weltanschauung
dem Täter zugeordnet werden kann.
Der Mann, der die heutige Kölner
Oberbürgermeisterin totstechen wollte, konnte als irgendwie „rechts“
identifiziert werden. Deshalb, nur deshalb, war er kein verwirrter
Einzeltäter, sondern wurde sozusagen als bewaffneter Arm von Pegida, AfD
und Konsorten veranschlagt.
Beim norwegischen Massenmörder Breivik
fand sich ein Zettelkasten mit 1500 Blättern voller Texte von allen
möglichen Leuten zu allen erdenklichen Themen. Jeder Autor, der in dem
wirren Konvolut aufgestöbert werden konnte, wurde – gewissermaßen von
hinten durch die Brust ins Auge – von gewissen Kreisen wie ein
„Stichwortgeber“ des Monsters behandelt, was nicht weit entfernt ist von
der Verurteilung als „geistiger Brandstifter“.
Die Täter von Nizza,
Würzburg und Ansbach waren dagegen islamisch motiviert. Daher verbietet
sich jeder Verdacht auf weltanschauliche, in diesem Falle religiöse
Hintergründe. Wer dennoch danach sucht, ist ein Hetzer.
Beim
Münchener Massaker war die Motivlage des Mörders zunächst nicht ganz
klar, was für Verunsicherung sorgte. Wer einen religiösen Antrieb bei
dem Deutsch-Iraner befürchtete, den brachten die verantwortungsvollen
Stimmen im Lande schnell zum Schweigen: Wer diese Vermutung äußere, der
schlachte die Tat skrupellos aus. Schon wegen seiner Herkunft und seiner
Religion konnte es sich bei dem 18-Jährigen um nichts anderes handeln
als einen verwirrten Einzeltäter.
Dann jedoch fiel die Aufmerksamkeit
auf das kurze Wortgefecht, das der Amokläufer vom Dach eines Parkhauses
aus mit einem aufgebrachten Bürger führte. Was hatte er da gesagt? „Ich
bin Deutscher!“ Daraus ließ sich doch etwas machen, schloss Julia
Schramm von der Amadeu Antonio Stiftung blitzgescheit und fragte auf
„Twitter“: „Was muss eigentlich passieren, damit rechtsmotivierte Morde
nicht mehr als ,Drama‘, als ,Amok‘, als ,Einzelfall‘ verharmlost
werden?“
Treffer! Wenn (was nach dem Stand der Ermittlungen nicht zu
erwarten steht) im Nachlass des Schlächters doch noch etwas gefunden
werden sollte, was auf eine radikal-islamische Gesinnung schließen
ließe, können wir ja immer noch zum „psychisch kranken Einzeltäter ohne
politische oder religiöse Motive“ zurückkehren.
Da sind wir ganz
flexibel.
Zunächst aber zurück zu den Hetzern. Das sind die „mit den
einfachen Antworten“, belehrt man uns. Noch übler als einfache Antworten
erscheinen uns einfache Fragen, wie sie der polnische Außenminister
Witold Waszczykowski stellt. Der Lümmel von der Weichsel erwartet von
den deutschen Politikern, dass sie ihm bitteschön erklären, wie es zu
den Anschlägen überhaupt kommen konnte, denn, so zitiert ihn die „Welt“:
„Uns wurde versichert, dass die Aufnahme so vieler Flüchtlinge in
Europa keine Probleme verursacht.“ Stimmt, uns haben sie das auch
versichert.
Es ist dann etwas anders gekommen, was die Politiker vor
eine „neue Lage“ stellt, die angeblich niemand habe vorhersehen können.
Ausgenommen natürlich die Hetzer, die schon vor Jahresfrist auf die
Gefahr hinwiesen, dass mit den unkontrolliert hereinströmenden
Asylsuchern auch Terroristen einreisen könnten. Verfassungsschutzchef
Hans-Georg Maaßen tat das als großen Blödsinn ab, und der musste es ja
wissen. Ebenso sah es der Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND),
Gerhard Schindler. Wobei „sah“ vielleicht das falsche Wort ist, denn
„gesehen“ haben beide Herren offenbar nicht sehr viel.
Oder doch? Als
die Geheimdienst-Bosse wegen der Attentate von Paris im November
splitternackt im Wind standen, weil dort mindestens drei als
„Flüchtlinge“ eingereiste Mörder beteiligt waren, mutmaßte der
„Tagesspiegel“, möglicherweise seien „die Einschätzungen (Maaßens und
Schindlers) gewissermaßen pädagogisch zu interpretieren: Aus der
Wahrheit könnten die falschen Schlüsse gezogen, einem Ende der
Willkommenskultur das Wort geredet werden.“
Sie haben uns zwar
belogen, soll das heißen, dies aber nur mit den fabelhaftesten
Absichten. Dem blöden Bürger darf man nicht die Wahrheit sagen, wenn er
dadurch die Regierungslinie verlassen und zu den Hetzern überlaufen
könnte. Zu jenen finsteren Gestalten also, welche Fragen stellen,
Antworten verlangen und auf Widersprüche hinweisen.
CDU-Generalsekretär
Peter Tauber frohlockt inmitten fast täglich neuer Terrornachrichten
laut „ntv“, Merkels „Wir schaffen das“ sei aus seiner Sicht „teilweise
Wirklichkeit“ geworden, denn „die, die zu uns kommen, zu versorgen,
ihnen ein Dach über dem Kopf zu geben, ihnen etwas zu essen zu geben,
das haben wir geschafft“.
Ihnen gehen auch gerade ein paar sehr derbe
Kraftausdrücke durch den Kopf? Gut, die behalten wir aber schön für
uns, ebenso wie die Frage, ob Herr Tauber und die Seinen eigentlich
wissen, wem sie da ein „Dach über dem Kopf“ gegeben haben. Das wissen
sie nämlich nicht, weshalb die Frage unhöflich und hetzerisch wäre.
Der
Würzburger Axtschwinger war nur einmal polizeilich kontrolliert worden,
und das in Ungarn. Die deutschen Behörden haben die wahre Identität des
jungen Mannes, dessen Aufnahme und „Integration“ in wenigen Monaten
fast 50000 Euro verschlungen haben soll, nie überprüft. Da können wir
schon verstehen, wenn sich die obersten Geheimdienstler um das
„Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung“ sorgen und uns daher mit frommen
Märchen hinters Licht führen.
Ganz fürchterlich sind jene Leute, die
angesichts der Blutspur trocken feststellen, dass eine ganze Menge
Menschen noch am Leben sein könnte, wenn unsere Politiker statt
euphorisch „Wir schaffen das“ zu rufen unsere Grenzen korrekt hätten
schützen lassen. So etwas zu sagen sei „zynisch“, werden wir belehrt.
Und
außerdem völlig realitätsfern, wie uns Merkels Regierungssprecherin
Ulrike Demmer gerade versichert hat. Denn, so Demmer laut „Frankfurter
Rundschau“, die meisten Anschläge der vergangenen Monate seien nicht
von Flüchtlingen verübt worden. Die Gefahr, die von Schutzsuchenden
ausgehe, sei nicht größer als die von anderen in Deutschland lebenden
Menschen.
Endlich, das ist die Erlösung aus diesem blutigen Albtraum.
In Wirklichkeit passiert gar nichts Besonderes! Die plötzliche Häufung
bestialischer Terror-Akte haben wir uns bloß eingebildet, denn wenn von
den orientalischen Neuankömmlingen eine um keinen Deut größere Gefahr
ausgeht als vom Durchschnittsdeutschen, der hier schon immer lebt, dann
kann es ja auch unmöglich eine plötzliche Terror-Welle geben.
Oder es
gibt sie doch, aber dann haben es die Durchschnittsdeutschen eben nur
versäumt, ihren statistisch angemessenen Anteil an willkürlichen
Metzeleien beizusteuern, was wiederum rein gar nichts über ihre wahre
Gefährlichkeit aussagt.
Ich weiß, das ist jetzt wirklich zynisch.
Aber ist es nicht herzzerreißend, welche abenteuerlichen Pirouetten
diese Leute drehen, um jeder realistischen Ursachenforschung aus dem Weg
zu tanzen?
Gerade kommt die Nachricht rein von dem alten Priester,
dem sie in seiner Dorfkirche bei Rouen die Kehle durchgeschnitten haben.
Warten wir ab, welche „anderen dort lebenden Menschen“ das wohl getan
haben.
Ja, man wird zynisch. Aber irgendwann läuft jedes Fass einmal über. Hans Heckel
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