Im Juni hat es viel geregnet und das ist schlecht für den Weinbau.
Man muss Pilze bekämpfen, sonst droht der Totalausfall. Das bekommen die
Bio-Winzer derzeit zu spüren. Aber sie haben es so gewollt und sollten
das unternehmerische Risiko tragen.
Feuchtigkeit bietet ideale
Bedingungen für Pilze wie den falschen Mehltau und bringt derzeit die
deutschen Bio-Winzer in Bedrängnis. So teilt zum Beispiel das Weingut
Janson Bernhard recht fatalistisch gestimmt mit: „Der falsche
Mehltau findet dieses Jahr so ideale Bedingungen (…), daß er mit unseren
Bio Mitteln kaum zu stoppen ist. Dennoch kämpfen wir mit unseren Reben,
unterstützen sie mit feindosiertem Kupfer und Tees. Unsere
biodynamischen Präparate wirken zusätzlich ausgleichend -
feinstofflich.“
Was man sich unter biodynamischen Präparaten vorstellen kann, lesen wir auf der Website von Demeter: „Vielmehr
ist der Einsatz von biodynamischen Präparaten erforderlich. […] Dafür
wird pulverisierter Quarz in ein Kuhhorn gefüllt und von Frühjahr bis
Herbst im Boden eingegraben, damit es die kosmischen Kräfte speichert.
Im Herbst ausgegraben, wird der feine Hornkiesel in Wasser rhythmisch
verrührt (dynamisiert) und als Spritzpräparat in feinen Tröpfchen auf
den Weinberg verteilt. Ein weiteres markantes Präparat ist der Hornmist
[…] Dafür wird Kuhmist in einem Kuhhorn im Herbst in den Boden
eingegraben. Auch diese Präparat-Füllung wird dann dynamisiert und im
Frühjahr auf den Weinberg gesprüht.“
Dr. Uli Johannes König ist Leiter der Präparateforschung beim
anthroposophischen Forschungsring für Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise. Jedes Jahr verbuddelt er immerhin 1600 gefüllte
Kuhhörner zu Forschungszwecken, muss sich also auskennen in der
komplexen Materie. Im Demeter Journal erfahren wir von ihm, es gehe bei
den biodynamischen Präparaten darum, „künstlerisch-alchemistisch in
die Naturvorgänge einzugreifen, ohne sie zu manipulieren.“
Darauf wollen sich in ihrer aktuellen Notlage verständlicherweise
nicht alle Bio-Winzer verlassen. Sie wissen, was ihnen helfen könnte:
Das Fungizid Kaliumphosphonat. Sie wissen aber auch, dass sie es leider
nicht benutzen dürfen.
Nicht mehr. Bis zum 30. September 2013 war es in
den meisten EU-Ländern für Öko-Betriebe zugelassen. Zwar hatte die
Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau (AGÖL), der Verbände wie
Demeter, Bioland und Naturland angehören, schon 1995 in ihren eigenen
Regeln beschlossen, Phosphonate im ökologischen Anbau nicht zu erlauben.
Aufgrund des großen Nutzens nahm man es damit aber nicht so genau. Es
galt das Argument, Kaliumphosphonat sei zwar künstlich hergestellt,
habe aber einen „naturstofflichen Charakter“. Seit dem 1.10.2013 ist der
Stoff jedoch in der EU als Pflanzenschutzmittel zugelassen. Damit wurde
es illegal, ihn wie bisher als „Pflanzenstärkungsmittel“ zu verkaufen.
Die Bio-Winzer stehen mit leeren Händen da, wenn die Schimmelpilze
zuschlagen. In den letzten beiden Jahren ging es gut. Aber dieses Jahr
kam der Regen und mit ihm die Not.
Was tun? Wer das Mittel nutzt, darf seinen Wein nicht mehr als
Bio-Wein verkaufen und erleidet damit Umsatzeinbußen. Und das für
mehrere Jahre. Denn erst, wenn er drei Jahre clean ist, gilt sein
Produkt wieder als Bio-Ware. Und was, wenn es 2019 wieder viel regnet?
Zusätzlich muss die Öko-Förderung zurückgezahlt werden. Die Politik
versucht zu helfen. Einige Bundesländer ermöglichen es den betroffenen
Winzern, in einem „Großversuch“ Kaliumphosphonat zu nutzen. Wird das von
der EU akzeptiert und der Versuch notifiziert, besteht die Möglichkeit,
die Öko-Zertifizierung schon im nächsten Jahr wieder zu erhalten. Das
würde den Winzern helfen und wäre auch der Politik genehm. Sonst müssten
die Landwirtschaftsminister im nächsten Jahr einen Rückgang der
Bio-Fläche im Weinbau melden.
Und wer will das schon?! Gleichzeitig wird
in Brüssel weiter auf eine Zulassung des Mittels für den Öko-Landbau
gedrängt, um in Zukunft gar nicht mehr in diese unschöne Lage zu kommen.
Der Baden-Württembergische Weinbauminister Peter Hauk (CDU) ist der
Auffassung: „Der Ökoweinbau ist bei der Bekämpfung des Falschen
Mehltaus der Rebe in einer Krisensituation, die die Betriebe selbst
nicht zu vertreten haben.“
Kann man das wirklich behaupten? Die Bio-Winzer haben sich mit dem
Verzicht auf wirksame Fungizide in Erwartung einer höheren Rendite
bewusst für eine risikoreichere Produktionsform entschieden. Sollten sie
dann nicht auch die Folgen ihrer Entscheidung akzeptieren? Auch ein
Anleger hat die Wahl zwischen deutschen Staatsanleihen (geringe Rendite,
geringes Risiko) und solchen aus, sagen wir, Argentinien (hohe Rendite,
hohe Risiko). Aber käme man auf die Idee, die Allgemeinheit in Haftung
zu nehmen, wenn Argentinien zahlungsunfähig wird?
Oder, andere Analogie:
„Die Impfverweigerer stehen angesichts der ernsten Erkrankung ihrer
Kinder vor einer Krisensituation, die die Eltern selbst nicht zu
vertreten haben.“ Nicht wirklich überzeugend, oder?
Natürlich kann man sich jetzt pragmatisch dafür entscheiden, von der
reinen Lehre abzuweichen und ein synthetisches Pflanzenschutzmittel auf
die Liste der im Öko-Landbau zugelassenen Substanzen setzen. Aus
gesundheitlicher Sicht könnte es dem Verbraucher egal sein. Die
Rückstände im Wein sind harmlos. Auch Grüne, wie die
Rheinland-Pfälzische Umweltministerin Ulrike Höfken, sind plötzlich ganz
locker und bezeichnen das Fungizid als „natürliches Mittel“ und
„vollkommen unbedenklich“. Wenn sich das allerdings herumspricht und
eventuell weitere Ausnahmen folgen, dürfte irgendwann das Öko-Gebäude zu
bröckeln beginnen.
Der Käufer wird sich fragen, ob er den höheren Preis
wirklich bezahlen soll, wenn die Öko-Regeln nur bei gutem Wetter
gelten. Andere Landwirte werden fragen, warum die Öko-Bauern zusätzliche
Subventionen erhalten, wenn sie im Zweifelsfall die gleichen Mittel
einsetzen wie ihre konventionell arbeitenden Kollegen. Und es wird sich
rumsprechen, dass die ökologische Landwirtschaft auch nicht ohne
Pestizide auskommt.
Das alles dürfte die Profite schmälern. Deshalb
raten einige Öko-Verbände auch davon ab, an den „Großversuchen“ zur
Rettung der Ernte teilzunehmen.
Viele Menschen glauben ja, in der Biolandwirtschaft würden keine
Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Das ist falsch. Es werden andere
Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Verboten sind künstlich hergestellte
Substanzen, erlaubt sind der Natur entnommene. Das entscheidende
Kriterium ist, dass der Mensch die Hände nicht im Spiel hat. Zumindest
nicht wissenschaftlich technologisch, sondern allenfalls
künstlerisch-alchemistisch. Dass natürliche Substanzen für Mensch und
Umwelt schlechter sein können als künstlich hergestellte, wird als
nebensächlich abgetan. Es ist aber so.
Die Natur bringt viele giftige Stoffe hervor. Das traditionell
eingesetzte Kupfer ist zweifellos eine für viele Anwendungen nützliche
Substanz. Man kann daraus zum Beispiel Telefonleitungen und
Pflanzenschutzmittel machen. Wenn das Schwermetall sich aber in
landwirtschaftlich genutzten Flächen im Boden anreichert (und das tut
es, da es im Gegensatz zu beispielsweise Glyphosat nicht biologisch
abgebaut wird), dann ist das in ökologischer Hinsicht nicht gerade
vorteilhaft.
Eine Bewertung des Bundesumweltamts zeigt deutlich die
Problematik:
Kupfer ist toxisch für Bodenorganismen, insbesondere Regenwürmer;
Kupferanreicherung erfolgt in Böden (insbesondere von
Dauerkulturen) infolge langjähriger Anwendung kupferhaltiger
PSM. Die Anreicherung führt zu adversen Effekten/Schädigungen der
Bodenorganismen wie Reduzierung der Abundanz und Biomasse sowie
Veränderungen der Artenzusammensetzung und einer Abnahme der
Biodiversität.
Nach welchem Zeitraum der Anwendung von Kupfer-PSM
erkennbare Schädigungen auftreten ist multifaktoriell abhängig von
Aufwandmenge, Bodeneigenschaften, Bewirtschaftungsform, etc. und daher
nicht generell vorhersagbar. Eine standortspezifische Betrachtung ist
letztlich erforderlich.
Aufgrund der bekannten langjährigen Anwendungspraxis von Kupfer-PSM ist
insbesondere in Dauerkulturen bereits heute von vielfach geschädigten
Bodenbiozönosen auszugehen. Diese Hypothese wird durch die
ausgewerteten Monitoring-Studien untermauert. Ein weiterer Kupfereintrag
ist grundsätzlich zu vermeiden.
Dennoch dürfen Bio-Bauern laut EG-Öko-Verordnung 6 kg Kupfer pro Jahr
und Hektar ausbringen, während in Deutschland für konventionelle Winzer
nur 3 kg pro Hektar erlaubt sind (woran sich auch die meisten
Bio-Winzer halten). Öko-Weinbau ohne Kupfer würde Ertrags- und
Qualitätsausfälle von 50 bis 100 % bedeuten, ist also praktisch
unmöglich.
Öko-Aktivisten pflegen den Mythos, Kunstdünger, Gentechnik und
moderne Pflanzenschutzmittel seien gefährlich und überflüssig.
Die
Biolandwirtschaft zeige doch, dass es auch ohne gehe, wenn man nur
wolle. Die Realität ist eine andere. Bioprodukte stellen einen von EU,
Bund und Ländern subventionierten Nischenmarkt dar, der gutgläubige, um
ihre Gesundheit und bisweilen die Umwelt besorgte, zahlungskräftige
Kunden bedient. Die konventionelle Landwirtschaft hat die Aufgabe, den
großen Rest der Menschheit zu ernähren. Öko-Bauern können auf
Kunstdünger verzichten, aber nicht auf Dünger. Sie können auf
synthetische Pflanzenschutzmittel verzichten (solange das Wetter
mitspielt), aber nicht auf Pflanzenschutzmittel. Sie benötigen bei
gleichem Ertrag erheblich größere Anbauflächen, verringern somit
Naturlandschaft und Biodiversität. Die Alchemie hat ihre Grenzen. Zum
Glück haben wir die Chemie. Thilo Spahl
Siehe auch Pyrethrine
Sowie Sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt
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