Stationen

Mittwoch, 13. Juli 2016

Wasser im Bio-Wein

Im Juni hat es viel geregnet und das ist schlecht für den Weinbau. Man muss Pilze bekämpfen, sonst droht der Totalausfall. Das bekommen die Bio-Winzer derzeit zu spüren. Aber sie haben es so gewollt und sollten das unternehmerische Risiko tragen.

Feuchtigkeit bietet ideale Bedingungen für Pilze wie den falschen Mehltau und bringt derzeit die deutschen Bio-Winzer in Bedrängnis. So teilt zum Beispiel das Weingut Janson Bernhard recht fatalistisch gestimmt mit: „Der falsche Mehltau findet dieses Jahr so ideale Bedingungen (…), daß er mit unseren Bio Mitteln kaum zu stoppen ist. Dennoch kämpfen wir mit unseren Reben, unterstützen sie mit feindosiertem Kupfer und Tees. Unsere biodynamischen Präparate wirken zusätzlich ausgleichend - feinstofflich.“

Was man sich unter biodynamischen Präparaten vorstellen kann, lesen wir auf der Website von Demeter: „Vielmehr ist der Einsatz von biodynamischen Präparaten erforderlich. […] Dafür wird pulverisierter Quarz in ein Kuhhorn gefüllt und von Frühjahr bis Herbst im Boden eingegraben, damit es die kosmischen Kräfte speichert. Im Herbst ausgegraben, wird der feine Hornkiesel in Wasser rhythmisch verrührt (dynamisiert) und als Spritzpräparat in feinen Tröpfchen auf den Weinberg verteilt. Ein weiteres markantes Präparat ist der Hornmist […] Dafür wird Kuhmist in einem Kuhhorn im Herbst in den Boden eingegraben. Auch diese Präparat-Füllung wird dann dynamisiert und im Frühjahr auf den Weinberg gesprüht.“
Dr. Uli Johannes König ist Leiter der Präparateforschung beim anthroposophischen Forschungsring für Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise. Jedes Jahr verbuddelt er immerhin 1600 gefüllte Kuhhörner zu Forschungszwecken, muss sich also auskennen in der komplexen Materie. Im Demeter Journal erfahren wir von ihm, es gehe bei den biodynamischen Präparaten darum, „künstlerisch-alchemistisch  in  die  Naturvorgänge  einzugreifen,  ohne sie zu manipulieren.“

Darauf wollen sich in ihrer aktuellen Notlage verständlicherweise nicht alle Bio-Winzer verlassen. Sie wissen, was ihnen helfen könnte: Das Fungizid Kaliumphosphonat. Sie wissen aber auch, dass sie es leider nicht benutzen dürfen.

Nicht mehr. Bis zum 30. September 2013 war es in den meisten EU-Ländern für Öko-Betriebe zugelassen. Zwar hatte die Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau (AGÖL), der Verbände wie Demeter, Bioland und Naturland angehören, schon 1995 in ihren eigenen Regeln beschlossen, Phosphonate im ökologischen Anbau nicht zu erlauben.
Aufgrund des großen Nutzens nahm man es damit aber nicht so genau. Es galt das Argument, Kaliumphosphonat sei zwar künstlich hergestellt, habe aber einen „naturstofflichen Charakter“. Seit dem 1.10.2013 ist der Stoff jedoch in der EU als Pflanzenschutzmittel zugelassen. Damit wurde es illegal, ihn wie bisher als „Pflanzenstärkungsmittel“ zu verkaufen.

Die Bio-Winzer stehen mit leeren Händen da, wenn die Schimmelpilze zuschlagen. In den letzten beiden Jahren ging es gut. Aber dieses Jahr kam der Regen und mit ihm die Not.

Was tun? Wer das Mittel nutzt, darf seinen Wein nicht mehr als Bio-Wein verkaufen und erleidet damit Umsatzeinbußen. Und das für mehrere Jahre. Denn erst, wenn er drei Jahre clean ist, gilt sein Produkt wieder als Bio-Ware. Und was, wenn es 2019 wieder viel regnet? Zusätzlich muss die Öko-Förderung zurückgezahlt werden. Die Politik versucht zu helfen. Einige Bundesländer ermöglichen es den betroffenen Winzern, in einem „Großversuch“ Kaliumphosphonat zu nutzen. Wird das von der EU akzeptiert und der Versuch notifiziert, besteht die Möglichkeit, die Öko-Zertifizierung schon im nächsten Jahr wieder zu erhalten. Das würde den Winzern helfen und wäre auch der Politik genehm. Sonst müssten die Landwirtschaftsminister im nächsten Jahr einen Rückgang der Bio-Fläche im Weinbau melden.

Und wer will das schon?! Gleichzeitig wird in Brüssel weiter auf eine Zulassung des Mittels für den Öko-Landbau gedrängt, um in Zukunft gar nicht mehr in diese unschöne Lage zu kommen. Der Baden-Württembergische Weinbauminister Peter Hauk (CDU) ist der Auffassung: „Der Ökoweinbau ist bei der Bekämpfung des Falschen Mehltaus der Rebe in einer Krisensituation, die die Betriebe selbst nicht zu vertreten haben.“
Kann man das wirklich behaupten? Die Bio-Winzer haben sich mit dem Verzicht auf wirksame Fungizide in Erwartung einer höheren Rendite bewusst für eine risikoreichere Produktionsform entschieden. Sollten sie dann nicht auch die Folgen ihrer Entscheidung akzeptieren? Auch ein Anleger hat die Wahl zwischen deutschen Staatsanleihen (geringe Rendite, geringes Risiko) und solchen aus, sagen wir, Argentinien (hohe Rendite, hohe Risiko). Aber käme man auf die Idee, die Allgemeinheit in Haftung zu nehmen, wenn Argentinien zahlungsunfähig wird?

Oder, andere Analogie: „Die Impfverweigerer stehen angesichts der ernsten Erkrankung ihrer Kinder vor einer Krisensituation, die die Eltern selbst nicht zu vertreten haben.“ Nicht wirklich überzeugend, oder?

Natürlich kann man sich jetzt pragmatisch dafür entscheiden, von der reinen Lehre abzuweichen und ein synthetisches Pflanzenschutzmittel auf die Liste der im Öko-Landbau zugelassenen Substanzen setzen. Aus gesundheitlicher Sicht könnte es dem Verbraucher egal sein. Die Rückstände im Wein sind harmlos. Auch Grüne, wie die Rheinland-Pfälzische Umweltministerin Ulrike Höfken, sind plötzlich ganz locker und bezeichnen das Fungizid als „natürliches Mittel“ und „vollkommen unbedenklich“. Wenn sich das allerdings herumspricht und eventuell weitere Ausnahmen folgen, dürfte irgendwann das Öko-Gebäude zu bröckeln beginnen.

Der Käufer wird sich fragen, ob er den höheren Preis wirklich bezahlen soll, wenn die Öko-Regeln nur bei gutem Wetter gelten. Andere Landwirte werden fragen, warum die Öko-Bauern zusätzliche Subventionen erhalten, wenn sie im Zweifelsfall die gleichen Mittel einsetzen wie ihre konventionell arbeitenden Kollegen. Und es wird sich rumsprechen, dass die ökologische Landwirtschaft auch nicht ohne Pestizide auskommt.

Das alles dürfte die Profite schmälern. Deshalb raten einige Öko-Verbände auch davon ab, an den „Großversuchen“ zur Rettung der Ernte teilzunehmen.
Viele Menschen glauben ja, in der Biolandwirtschaft würden keine Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Das ist falsch. Es werden andere Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Verboten sind künstlich hergestellte Substanzen, erlaubt sind der Natur entnommene. Das entscheidende Kriterium ist, dass der Mensch die Hände nicht im Spiel hat. Zumindest nicht wissenschaftlich technologisch, sondern allenfalls künstlerisch-alchemistisch. Dass natürliche Substanzen für Mensch und Umwelt schlechter sein können als künstlich hergestellte, wird als nebensächlich abgetan. Es ist aber so.

Die Natur bringt viele giftige Stoffe hervor. Das traditionell eingesetzte Kupfer ist zweifellos eine für viele Anwendungen nützliche Substanz. Man kann daraus zum Beispiel Telefonleitungen und Pflanzenschutzmittel machen. Wenn das Schwermetall sich aber in landwirtschaftlich genutzten Flächen im Boden anreichert (und das tut es, da es im Gegensatz zu beispielsweise Glyphosat nicht biologisch abgebaut wird), dann ist das in ökologischer Hinsicht nicht gerade vorteilhaft.

Eine Bewertung des Bundesumweltamts zeigt deutlich die Problematik:
Kupfer ist toxisch für Bodenorganismen, insbesondere Regenwürmer; Kupferanreicherung  erfolgt  in  Böden  (insbesondere  von  Dauerkulturen)  infolge  langjähriger  Anwendung  kupferhaltiger PSM. Die  Anreicherung  führt  zu  adversen  Effekten/Schädigungen der Bodenorganismen wie  Reduzierung der Abundanz  und  Biomasse  sowie Veränderungen der Artenzusammensetzung und einer Abnahme der Biodiversität.

Nach   welchem Zeitraum der Anwendung von Kupfer-PSM erkennbare Schädigungen auftreten ist multifaktoriell abhängig von Aufwandmenge, Bodeneigenschaften, Bewirtschaftungsform, etc. und daher nicht generell vorhersagbar. Eine standortspezifische Betrachtung ist letztlich erforderlich.
Aufgrund der bekannten langjährigen Anwendungspraxis von Kupfer-PSM ist insbesondere in Dauerkulturen bereits heute von vielfach geschädigten  Bodenbiozönosen auszugehen. Diese  Hypothese  wird  durch die ausgewerteten Monitoring-Studien untermauert. Ein weiterer Kupfereintrag ist grundsätzlich zu vermeiden.

Dennoch dürfen Bio-Bauern laut EG-Öko-Verordnung 6 kg Kupfer pro Jahr und Hektar ausbringen, während in Deutschland für konventionelle Winzer nur 3 kg pro Hektar erlaubt sind (woran sich auch die meisten Bio-Winzer halten). Öko-Weinbau ohne Kupfer würde Ertrags- und Qualitätsausfälle von 50 bis 100 % bedeuten, ist also praktisch unmöglich.

Öko-Aktivisten pflegen den Mythos, Kunstdünger, Gentechnik und moderne Pflanzenschutzmittel seien gefährlich und überflüssig.

Die Biolandwirtschaft zeige doch, dass es auch ohne gehe, wenn man nur wolle. Die Realität ist eine andere. Bioprodukte stellen einen von EU, Bund und Ländern subventionierten Nischenmarkt dar, der gutgläubige, um ihre Gesundheit und bisweilen die Umwelt besorgte, zahlungskräftige Kunden bedient. Die konventionelle Landwirtschaft hat die Aufgabe, den großen Rest der Menschheit zu ernähren. Öko-Bauern können auf Kunstdünger verzichten, aber nicht auf Dünger. Sie können auf synthetische Pflanzenschutzmittel verzichten (solange das Wetter mitspielt), aber nicht auf Pflanzenschutzmittel. Sie benötigen bei gleichem Ertrag erheblich größere Anbauflächen, verringern somit Naturlandschaft und Biodiversität. Die Alchemie hat ihre Grenzen. Zum Glück haben wir die Chemie.  Thilo Spahl



Siehe auch Pyrethrine

Sowie Sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt

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