BERLIN taz
| Auffälliger konnte man kaum aussehen, als es der weltweit als
Terrorist gesuchte Bommi Baumann im Spätsommer 1980 in Rom tat.
Ananasfarbene, blondierte Haare, weißes löchriges T-Shirt, schwer
benietete schwarze Lederjacke, ein Punk, dessen Klamotten aussahen, als
hätte die Modeschöpferin Vivienne Westwood sie entworfen. Seine Taktik:
so sehr auffallen, dass niemand auf die Idee kommen könnte, er wolle
sich verstecken und sei auf der Flucht.
Er trank Weißwein und erzählte mir zwei
Tage lang seine Geschichte. Dabei sprach er mit einem Akzent, wie man
ihn nur auf den Straßen Berlins lernt. Und er hatte einen wunderbaren
Humor, der human und zynisch zugleich war. Sein Fazit war allerdings
traurig: „Es gibt kein Happy End in Deutschland.“
Sein Vater war Nazi gewesen, angeblich
hatte er dem Berliner Gauleiter Joseph Goebbels die erste schwarze
Lederjacke gekauft. Seine Mutter war eher unpolitisch, eine Berliner
Kleinbürgerin; Michael Baumann wurde am 25. August 1947 in
Berlin-Lichtenberg im sowjetischen Sektor Berlins geboren. Als er zwölf
war, wechselte die Familie in den britischen Sektor über.
Bommi, wie er seit Schulzeiten hieß,
gehörte zu den ersten „Gammlern“, die auf den Stufen der
Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in der Westberliner City die
Lambrusco-Flaschen kreisen ließen und Captagon oder Romilar nahmen, bald
folgten die ersten Joints. Er hatte Betonbauer gelernt, doch er liebte
Rock ’ n ’ Roll und wollte „kein nützliches Mitglied dieser Gesellschaft
werden“.
Blutiger Ernst
Wie für die meisten Achtundsechziger war
der 2. Juni 1967, der Tag an dem der Kriminalpolizist Karl-Heinz Kurras
den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, ein Wendepunkt. Aus
antiautoritären Happenings war blutiger Ernst geworden.
Als an Ostern 1968, nach dem Attentat auf
Rudi Dutschke, aufgewühlte Demonstranten das Hochhaus des
Springer-Verlags in Berlin belagerten, warf Bommi Steine. Und er war
nicht der Einzige. Bommi war oft in der Kommune I und gehörte zu den
Gründern einer Gruppe, die sich – als ironischer Kommentar zu den Namen
studentischer Gruppen – „Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen“
nannte. Hannibal, Shortie, Lethargo, Bodo, Bommi, und wie sie alle
hießen, hofften auf die Bewusstseinserweiterung durch Drogen, mit
Parolen wie: „High sein, frei sein, Terror muss dabei sein.“
Bommi hatte als junger Arbeiter eine
natürliche Körperlichkeit und wenig Probleme mit Gewalt. Zusammen mit
dem Studenten Georg von Rauch und anderen beging er Anschläge und
Banküberfälle.
Zunächst nannte die Gruppe sich nach der
Guerilla in Uruguay „Tupamaros West-Berlin“, dann „Bewegung 2. Juni“.
Baumanns Begründung: „Damit konnten wir zeigen: Ihr habt den ersten
Schuss abgefeuert. Wenn wir irgendwann zurückschießen, ist das euer
Verdienst“.
Für die Guerilla rekrutierte Baumann Inge
Viett und Verena Becker, die später zur Rote Armee Fraktion (RAF)
überwechselten. Die Gruppe legte eine Bombe, durch die ein Bootsbauer zu
Tode kam. Das war für ihn ein erster Schock.
Richtung Afghanistan
Im Dezember 1971 erschoss ein Polizist in
Berlin-Schöneberg Georg von Rauch. Bommi Baumann, sein bester Freund,
stand direkt daneben. Diese Szene hat ihn sein Leben lang verfolgt. Die
Mitglieder der anarchistischen „Bewegung 2. Juni“ fanden die RAF
elitär. Sie waren eher chaotisch und wollten mit ihrer sozialen Basis,
den revoltierenden Jugendlichen, in Verbindung bleiben. Baumann war
stolz darauf, dass er bei der Aufnahme der Kreuzberger Nationalhymne,
dem „Rauch-Haus-Song“ von Ton, Steine, Scherben, im Hintergrund den
Refrain mitgegrölt hatte. Doch 1972 wurde das Pflaster in Kreuzberg zu
heiß, mit einem Kumpel vom „2. Juni“ machte er sich Richtung Afghanistan
auf.
Die Erfahrungen im Orient – nicht zuletzt
das Haschischrauchen in Afghanistan – machten Baumann für den
Terrorismus unbrauchbar. Der Filmemacher Haroun Farocki reiste 1974 nach
Niederösterreich und traf auf einem Bauernhof Baumann, der auf der
Flucht war. In drei Tagen und Nächten entstand ein Interview, das das
Kollektiv des Trikont-Verlags in München zu einem Buch machte.
„Wie alles anfing“ war das Buch einer
Generation. Authentisch, wie es kein theoretischer Text jemals vermocht
hätte, beschrieb Baumann darin seinen Weg zum bewaffneten Kampf und
seinen Ausstieg aus dem Terrorismus. Er sei – so Baumanns Message – aus
„Furcht vor der Liebe“ in die „absolute Gewalt“ geflüchtet.
„Wie alles anfing“ zeigte, dass die Revolte
von 1968 kein rein studentisches Abenteuer war, sondern eine
klassenübergreifende Jugendbewegung. Von dem schmalen Band wurden an die
100.000 Exemplare verkauft. Es wurde in sieben Sprachen übersetzt und
in New York als Theaterstück inszeniert.
Zunächst war allerdings ein
Polizeikommando beim Münchner Trikont-Verlag eingefallen und hatte alle
vorgefundenen Exemplare beschlagnahmt. Heinrich Böll und andere
Linksliberale gaben es nach einem Verbot neu heraus. Dieses Buch zu
unterdrücken, schrieb Böll, „ist der falscheste Weg, den man einschlagen
kann“.
Ein „faschistisches Pamphlet“
Der Sprachartist Peter Handke, der sich
auch gegen das Verbot engagierte, war gleichzeitig angewidert von der
„angeberischen, leeren Milieu- und Szenesprache, die eigentlich nur noch
aus ein paar Geräuschen besteht“. Gudrun Ensslin, Kopf der ersten
RAF-Generation, schrieb unter einem Pseudonym eine Rezension, in der sie
das Buch als „faschistisches Pamphlet“ geißelte.
Im Januar 1998 veröffentlichte der Spiegel
Akten des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, nach denen Baumann
im Jahr 1973 einen 125-seitigen Bericht über insgesamt 94 Personen des
bewaffneten Kampfs in Westdeutschland verfasst hatte: Darin hieß es über
Ensslin: „Lenkender Geist der RAF, sehr kalt, aber mutig, fanatisch,
unfraulich und lustfeindlich.“
Die Stasi hatte Baumann beim Transit
verhaftet. Er rechtfertigte seine präzisen Aussagen damit, dass die
Stasioffiziere gedroht hatten, ihn in den Westen abzuschieben, wenn er
nicht auspacke. Die meisten Genossen der „Bewegung 2. Juni“, die Baumann
immer schon als „Großmaul“ kritisiert hatten, wandten sich nach dem
Bekanntwerden der Stasi-Aussagen von ihm ab. Der einstige „2.
Juni“-Kader und spätere taz-Redakteur und Stasi-IM Till Meyer allerdings
und einige alte Freunde von den „Haschrebellen“ hielten zu ihm.
Weniger als ein Jahr nach dem Treffen in
Rom verhaftete Scotland Yard Baumann im Februar 1981 in einem besetzten
Haus in Ostlondon in Hackney. Ein halbes Jahr später verurteilte das
Landgericht Berlin ihn wegen zwei Banküberfällen und einem
Bombenanschlag auf das Berliner Landeskriminalamt zu fünf Jahren und
zwei Monaten Haft.
Vom Bauleiter zum Zeitzeugen
Der Fall der Mauer im Herbst 1989 war für
den Berliner Baumann eine große Freude. Monatelang wanderte er durch die
Stadt und beobachtete das Zusammenwachsen der beiden Halbstädte, die er
beide sehr gut kannte.
Als Bauleiter arbeitete er für die
Drogentherapieeinrichtung, in der er clean geworden war, doch dann holte
ihn seine Vergangenheit ein. Ärzte diagnostizierten eine Hepatitis C,
die meist zu Leberzirrhose oder Leberkrebs führt. Er musste seinen Job
aufgeben, und wirkte fortan vor allem als Zeitzeuge.
Er bekam das Haus seiner Großmutter in Potsdam restitutiert, doch die 900.000 D-Mark hielten auch nicht ewig.
Wenn er sich vor eine Kamera setzte oder
eine Bühne betrat, glich er einem englischen Lord: Tweedjacket,
Seidenkrawatte, Manschettenknöpfe. Rasierwasser Wellington von Geo F
Trumper, wie schon Winston Churchill. Seine Kommentare waren erfrischend
und nach allen Seiten kritisch. Dass der Kapitalismus die größte Geißel
des modernen Menschen sei, daran zweifelte er nie.
Opiate als Hobby
Bommi Baumann hat insgesamt sechs Jahre im
Gefängnis gesessen und dort vor allem gelesen. Nun saß er in seiner
Wohnung in der Landsberger Allee und las; in Büchern, in Zeitungen und
im Internet. Die Geschichte des britischen Empire kannte er bis in
kleinste Details. Geheimdienste faszinierten ihn.
Bis auf Zigaretten nahm er lange keine
Drogen mehr, doch als seine Frau mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung
im Krankenhaus lag, griff er wieder zu Opiaten. Als der Richter Baumann
im Prozess gegen Verena Becker wegen des Mordes an Generalbundesanwalt
Siegfried Buback als Zeugen fragte, warum er nach fünfzehn Jahren wieder
mit Opiaten angefangen habe, antwortete Bommi: „Na irgendein Hobby hat
doch jeder.“
Opiate sind mehr als ein Hobby, sie höhlen
Menschen aus. Sie verwandeln sie in auf sich und die Droge bezogene
Narzissten. Im Jahr 2009 veröffentlichte er sein drittes und letztes,
teils autobiografisches Buch „Rausch und Terror. Ein politischer
Erlebnisbericht“. Darin beschrieb er nicht nur mit seltener Präzision
die Mechanismen der Opiatsucht, sondern gab entscheidende Hinweise zur
Kulturgeschichte der Drogen in der Bundesrepublik seit den 1960er
Jahren.
„Meine Kumpels könnten einen Friedhof
füllen“, sagte er in einem Interview: Von den „Haschrebellen“ der
sechziger Jahre waren viele schon tot. Bommi Baumanns Freunde sagten, es
gleiche einem Wunder, dass er mit seinem Lifestyle noch am Leben sei.
Er wurde 68 Jahre alt und starb am frühen Dienstagmorgen friedlich in seiner Wohnung in Berlin-Friedrichshain. taz
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.