Martin
Mosebach ist eine erratische Erscheinung im deutschen Kulturbetrieb.
Zum Beispiel war er nie links. Nie hat er „die Gesellschaft“ für irgend
etwas verantwortlich gemacht, nicht einmal für die maue
Tantiemensituation seiner literarischen Anfangsjahre – beziehungsweise,
wenn man es ganz genau nimmt, sogar Anfangsjahrzehnte. Der damalige
Jura-Student blickt nicht auf eine bewegte Vergangenheit beim AStA und
in der K-Gruppe zurück. Obwohl der 68er-Generation quasi angehörig –
„Einer Generation anzugehören ist eine Entscheidung niedriger Seelen“,
notierte Mosebachs Hausheiliger Nicólas Gómez Dávila –, hinderte ihn
sein Distinktionsbedürfnis, bei dem geistlosen Destruktionstheater
mitzutun.
Schwer vorstellbar, einen Martin Mosebach untergehakt mit Ulrike
Meinhof links und Dany le Rouge rechts „Ho-ho-ho-Tschi-Minh“ skandierend
auf der Straße zu sehen. Ich male mir aus, wie er stattdessen lieber
seine Technik beim Binden des Krawattenknotens verfeinerte und Edward
Gibbon, Joseph de Maistre oder eben Gómez Dávila gelesen hat. Wobei
diese Namen hier nur als pars pro toto angeführt seien; der Mann ist
eine wandelnde Bibliothek. Übrigens nicht nur das, auch Pinakothek.
Sogar Vinothek. Und einmal unter uns dunkeldeutschen Betschwestern
gefragt: Was sind auf der Waage der Themis sämtliche Publikationen der
68er gegen eine gut gebundene Krawatte?
Mosebach ist ein kultivierter, manierlicher, weitgereister, extrem
gebildeter Herr, den man an jeder Tafel neben jeden beliebigen
Präsidenten, Potentaten aber auch Proleten platzieren kann, ohne sich als
Gastgeber um den Konversationsverlauf sorgen zu müssen; der Nachbar
wird sich bestens unterhalten – und, sofern er über ein Organ dafür
verfügt, womöglich ein bißchen ungebildet – fühlen.
„Le style c’est l’homme“, sagte Georges-Louis Leclerc, Comte de
Buffon, 1753 in seiner Antrittsrede vor der französischen Akademie, und
wenn diese Sentenz in der deutschen Literaturszene der eher stilabholden
Gegenwart auf jemanden zutrifft, dann auf den Frankfurter Romancier,
Essayisten, Causeur und Katholiken, der allein dadurch, daß er Sofa oder
Telefon bisweilen mit ph schreibt, Saint-Just für einen Vorläufer
Himmlers hält, ständig mit Einstecktuch herumläuft und die alte
katholische Messe wiederherstellen will, einige Proleten des
Kulturbetriebs mit drolliger Verläßlichkeit auf die Palme bringt.
„Jeder gute Autor ist eine Insel“, hat Mosebach in einem Interview
gesagt, und das meint eben: nicht Diskurs, nicht Gruppe, nicht Klüngel,
nicht anschlußfähig. „I am a rock, I am an island. I have my books, and
my poetry to protect me“, sangen Simon & Garfunkel ganz antizyklisch
während der K-Gruppen-Zeit, und wenigstens der Frankfurter Arztsohn
nahm die Barden beim Wort.
Natürlich ist da ein Haken an der ganzen in sich ruhenden
Kultiviertheit, dieser Mann ist in Wirklichkeit ein Getriebener, ein
Besessener, der schreiben muß, um überhaupt leben zu können. Das verrät
ein Blick auf seine Manuskripte: handgeschrieben in der Erstfassung, die
Blätter randlos bedeckt mit kleinen, sich kräuselnden, regelmäßigen
Buchstabenkolonnen, denen eine gewisse Gehetztheit innewohnt (aber
vielleicht täusche ich mich auch, und diese reliefartigen Zeilen
entstehen in göttlicher Gleichmut).
Mosebach schreibt seine Romane bevorzugt im Ausland und oft sozusagen
kontradiktorisch zum Handlungsort; so entstand das in Deutschland und
Indien spielende „Beben“ in Kairo, und seinen Frankfurt-Roman „Westend“
brachte er auf Capri zu Papier. Dieses Nachkriegsepos ist übrigens
wahrscheinlich sein literarisches Hauptwerk, es ist erzähllogisch kühn,
befriedigt ästhetisch vollständig und ersetzt ganze
mentalitätsgeschichtliche Seminare. Zugleich ist es ein belletristischer
Essay zum Thema, wie die deutschen Städte so häßlich werden konnten,
warum der Wiederaufbau zerstörerischer war als der Bombenterror.
Apropos: Als Essayist ist Mosebach mindestens ebenso bedeutend wie
als Romanschriftsteller. Mindestens? Mindestens. Hier enthüllt sich, und
zwar immer nur wie nebenbei, seine staunenswerte Bildung, hier herrscht
eine hohe, prachtvolle, spätblütenartige, aber niemals eitle, immer
skeptische Individualität, die genau weiß, daß sie in die Gegenwart nur
mehr noch hineinragt, daß längst ein anderes Decorum gilt, daß ein neuer
Menschentyp mehr wimmelt denn waltet, der sich von seiner Herkunft
abgenabelt hat und dem es völlig gleichgültig, ja willkommen ist, wenn
die Welt mit Beton, Fast food, Pornographie, Plastik, Elektronik-Tinnef
und gleichmacherischen Diversity-Parolen zugemüllt wird.
Nichts verbindet diesen Menschenschlag mehr mit der Vergangenheit.
Man könne meinen, schreibt Mosebach, das geschwundene Interesse an
Geschichte habe „mit einem dunklen, bisher, wie mir scheint, selten
artikulierten Gefühl zu tun, daß uns die Kenntnis unserer Vergangenheit
für die Zukunft nichts mehr zu lehren vermag“. Er spricht von einem
„unheilbaren Bruch“, der „mit dem Anfang einer von dem uns Vertrauten
gänzlich unterschiedenen Zivilisation einhergeht“.
Wer diesem Prozeß nicht applaudiert, gilt als Spielverderber und
Reaktionär, ein Titel, den sich Mosebach gleich neben dem Einstecktuch
ans Revers geheftet hat und deutlich sichtbar umherträgt. „Gegenwärtig
ist nichts so verpönt wie Skepsis gegenüber unserer Lebensform. Jede
Erinnerung an die Verluste, die sie gekostet hat, wird als
Sentimentalität und Nostalgie gebrandmarkt; die Erforschung dessen, was
wir sind, woher wir kommen, welche Gesetze unsere Städte geformt haben,
steht unter dem Verdacht übelster Reaktion“, schreibt er.
„Die in dieser an Borniertheit nicht mehr zu überbietende
Selbstzufriedenheit wird inzwischen von wohlbegründeter Zukunftsangst
unterwandert, die aber nicht die Revision des eigenen Standpunktes zur
Folge hat, sondern ein verkrampftes Festhalten am Status quo.“
Da ein Literat daran wenig ändern kann, reist der polyglotte Dichter
weiter in die Winkel der Welt und schreibt. Sein neuer Roman ist soeben
fertig geworden. Am 31. Juli feiert Martin Mosebach seinen 65.
Geburtstag. JF
Als PS noch eine meiner Lieblingsstellen aus einem Mosebach'schen Essay:
„Ob ein Volk ein Kulturvolk ist, entscheidet sich daran, wie viele
kulturelle Fähigkeiten die Armen dieses Volkes besitzen: wie viele
Kenntnisse, das Leben kultisch in Form zu bringen. Solche Fähigkeiten
sind zum Beispiel: einen Gast empfangen, ein Essen auf den Tisch
stellen, ein Huhn tranchieren, die Messe dienen, wissen, in welcher
Kleidung man eine Kirche betritt, mit Angehörigen anderer Klassen oder
Nationen umzugehen, ein altes Lied singen zu können, eine Frau so
anzusprechen, daß es ihr angenehm ist, auch wenn sie nicht darauf
eingehen möchte, ein Fest zu feiern, einem Toten die Augen zuzudrücken.“
PPS: Mehr über MM, nicht mehr ganz taufrisch, hier.
Passend
zum Jubilar diesmal die Monatsendfigur. Unter dem Eindruck der
Kathedrale von León am Jakobsweg nach Santiage de Compostela schrieb
Leser ***: "Was ist das eigentlich für eine Zeit, in der wir heute
leben, lieber Herr Klonovsky? In nur 50 Jahren hat sich im 12. Jhd. die
(damals) 5.000-Seelen-Gemeinde von León diese gigantische gotische
Kathedrale errichtet, mit einer Fensterfläche von über 1000
Quadratmetern, um dem Reich Gottes auf Erden zu huldigen. Das wäre in
der heutigen Zeit selbst in einer Stadt, die 5.000000 Einwohner zählt,
meines Erachtens nicht mehr denkbar."
Besonders angerührt hat ihn – und mich – diese Skulptur der Maria gravida (Maria in der Hoffnung, auch Mariä Erwartung).
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