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Montag, 1. August 2016

Berlin hat die Nase ganz vorn




Bereits am 22. Juni hatten 300 Polizisten Räume in der Rigaer Straße 94 auf Betreiben des Hauseigentümers geräumt, darunter die ohne Genehmigung betriebene Kneipe „Kadterschmiede“. Seit der Teilräumung des Objekts mit hoher Symbolkraft für die  linksextreme Szene brennen in Berlin mittlerweile jede Nacht Autos.

Trauriger Höhepunkt war ein Brandanschlag in der Nacht vom 17. zum 18. Juli im Bezirk Treptow-Köpenick. Auf dem umzäunten Parkplatz des dortigen Ordnungsamts brannten sechs Fahrzeuge komplett aus. Ein anderer Brandanschlag auf ein Auto in Berlin-Mariendorf hat dazu geführt, dass der Anwalt des Eigentümers der Rigaer Straße 94 sich bedroht fühlte und nicht zu einer in der Angelegenheit wichtigen Gerichtsverhandlung erschien. Der mutmaßliche Einschüchterungsversuch gegen den Anwalt ist vor allem von Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) scharf kritisiert worden. Der Rechtsstaat funktioniere nur, wenn die Mittel zwischen Kläger und Beklagtem gleich seien und jeder sich von einem Anwalt vertreten lassen könne, so Heilmann.
Das Urteil, das am 13. Juli 


 [in Abwesentheit des bedrohten Anwalts!!]


ergangen ist, hat Kritikern des Innensenators Frank Henkel (CDU) weiteren Rückenwind gegeben. Das Gericht stellte fest, dass es für die Räumungsaktion des Hauseigentümers der Rigaer Straße 94 keinen Rechtstitel gegeben habe. 
Dem Innensenator wird seitdem von Grünen, Linken und Piraten, allerdings auch von Teilen des Koalitionspartners SPD, vorgeworfen, einem rechtswidrigen Polizeieinsatz zugestimmt zu haben.

[eigentlich müsste das ergangene Urteil angefochten werden, da es in Abwesenheit des gefährdeten Anwalts erfolgte]
 
Henkel verteidigt den Polizeieinsatz in der Rigaer Straße 94 dagegen als eine „gefahrenabwehrrechtliche Maßnahme“. Wie der Innensenator betont, habe die Polizei Bauarbeiter geschützt, die massiv bedroht worden seien. 

Von dem Haus Rigaer Straße 94, den Bewohnern und ihren Unterstützern sei immer wieder Gewalt ausgegangen. Henkel hat unterdessen angekündigt, die Maßnahmen der Polizei-Ermittlungsgruppe „LinX“ im Kampf gegen linksextreme Gewalttäter in nächster Zeit möglicherweise noch „hochzufahren“.
Trotz solcher Signale erscheint Skepsis angebracht. Henkels Koalitionspartner SPD ist deutlich auf Distanz zum CDU-Innensenator gegangen. Zudem ist Henkel als Innensenator aller Voraussicht nach nur noch wenige Wochen im Amt. Geht es nach den letzten Wahlumfragen, wird es nach dem 18. September kaum die Chance für eine Fortsetzung der rot-schwarzen Koalition geben. Eine stabile Mehrheit scheint nur über eine Dreierkoalition realisierbar zu sein. Sollten sich SPD, Grüne und Linkspartei zu einem solchen Bündnis zusammentun, ist schwer vorstellbar, dass ausgerechnet der Kampf gegen den Linksextremismus zu einer Priorität der Regierungsarbeit erklärt wird. Schnell durchsetzen dürfte sich vielmehr ein Ansatz, für den Monika Herrmann (Grüne), die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, steht. Herrmann hat einen Runden Tisch ins Leben gerufen, um für die Rigaer Straße eine Lösung „ohne Krawall und Polizei“ zu finden. 

 
Ein Schwachpunkt dieses Vorgehens: Selbst wenn einzelne Linksautonome an Gesprächen teilnehmen, muss dies nicht bedeuten, dass sich auch die gesamte linksmilitante Szene an Verabredungen gebunden fühlt.
Doch unübersehbar bemühen sich die Berliner Grünen, staatstragend zu erscheinen, um im Herbst die CDU als Koalitionspartner der SPD beerben zu können. Im Kontrast dazu sind aber immer wieder Stimmen aus der Partei zu hören, die für das Überleben alter Reflexe sprechen. So kommentierte etwa eine Abgeordnete der Grünen ein Hausverbot für Polizisten in einer Bäckerei: „Tja, könnte daran liegen, dass Polizei Anwohner schikaniert.“
Aufschlussreich ist ebenso, welche Erfahrung die CDU bei ihrem Vorstoß zu einem „Berliner Konsens gegen Linksextremismus“ machen musste. „Bislang ist die Reaktion der anderen Fraktionen eher verhalten“, so CDU-Fraktionschef Florian Graf, der den anderen Parteien im Landesparlament vorwirft, einen entsprechenden Entwurf der Union weitgehend zu ignorieren.
Solche Signale aus der Politik können von Militanten durchaus als Ermunterung verstanden werden. Welches Selbstverständnis die linksautonome Szene in Berlin mittlerweile an den Tag legt, macht ein Angebot deutlich, dass Anfang Juli auf der einschlägigen Internetseite „Indymedia“ veröffentlicht wurde. „Ein Abzug von Bullen und Sicherheitsfirmen aus der Rigaer 94 und die Rückgabe der Räume an die Hausgemeinschaft, sowie ein Verzicht auf die Räumung des M99 würden von den für uns erreichbaren Zusammenhängen mit der Einstellung alle Tag X Aktivitäten und Angriffe beantwortet werden.“ 

Angeboten wird hierbei nichts anderes als der Verzicht auf bestimmte Straftaten, wenn die Politik sich im Gegenzug mit der Etablierung rechtsfreier Räume abfindet. Noch vor den Berliner Wahlen droht die Lage zu eskalieren. Für den 9. August ist die Zwangsräumung des „Gemischtwarenladens für Revolutionsbedarf“ in der Manteuffelstraße 99 angekündigt. In der Szene M99 genannt, gilt diese Adresse neben der Rigaer Straße 94 als weiterer Schwerpunkt der Linksautonomen.      Norman Hanert



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