Leicht entnervt entfuhr es der deutschen Bundeskanzlerin vor nicht
ganz einem Jahr im Rahmen einer Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
zur Flüchtlingskrise: „Ist mir egal, ob ich schuld am Zustrom der
Flüchtlinge bin, nun sind sie halt da.“ Nun mag es Frau Merkel egal
sein, wer schuld an diesem historischen Debakel ist, vielen Wählern
dürfte das weniger gleichgültig sein.
Vor allem stellt sich seither die
Frage, ob dieses „Nun sind sie halt da“ Folge rechtsstaatlichen Handelns
ist – oder doch eher einem Rechtsbruch, ja einer ganzen Kaskade von
Rechtsbrüchen geschuldet ist.
In Österreich wird diese Frage mit der ortsüblichen Nonchalance dem
Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gegenüber mehr oder weniger unter den
Teppich gekehrt, dem Artikel eins der Realverfassung des Landes folgend:
„Mir wean kann Richter brauchen.“
In Deutschland hingegen haben
sich jetzt knapp 20 angesehene Spitzenjuristen aus den Bereichen
Staats-, Verfassungs- und Verwaltungsrecht, darunter ein Richter des
deutschen Bundesverfassungsgerichtes, zusammengetan, um die deutsche
Willkommenspolitik von 2015 ff. einer rechtlichen Würdigung zu
unterziehen. Unter dem Titel „Der Staat in der Flüchtlingskrise –
zwischen gutem Willen und geltendem Recht“ (Hrsg.: Otto Deppenheuer und
Christoph Grabenwarter) liegt das Ergebnis nun in Buchform vor. Mehr
juristische Kompetenz zu dem Thema wird im deutschen Sprachraum kaum
aufzutreiben sein. Das Ergebnis ist kein wirkliches Kompliment für die
Merkel-Regierung.
„Der Rechtsstaat ist im Begriff, sich im Kontext der
Flüchtlingswelle zu verflüchtigen, indem das geltende Recht faktisch
außer Kraft gesetzt wird. Regierung und Exekutive treffen ihre
Entscheidungen am demokratisch legitimierten Gesetzgeber vorbei,
staatsfinanzierte Medien üben sich in Hofberichterstattung, das Volk
wird stummer Zeuge der Erosion seiner kollektiven Identität“, fassen die
Herausgeber das Ergebnis der juristischen Abwägungen zusammen.
Wenig
gefallen wird den Wohlmeinenden auch der Hinweis des Freiburger
Staatsrechtlers Martin Dietrich Murswiek, wonach „das Prinzip der
Nationalstaatlichkeit der verfassungsrechtliche Rahmen ist“, welcher der
Migrationspolitik vorgegeben ist. Daraus folgt: Diese Migrationspolitik
„darf nicht die Überwindung des Nationalstaats durch eine
multikulturelle Gesellschaft [. . .] anstreben. Die Entstehung
ethnisch-religiöser Parallelgesellschaften darf weder geplant noch in
Kauf genommen werden.“
Deutschland brauche sich demnach zwar nicht
gegen Einwanderung abzuschotten, doch diese habe mit Maß und Ziel zu
erfolgen. „Verfassungserwartung des Grundgesetzes ist, dass dabei der
Charakter Deutschlands als Nationalstaat der Deutschen nicht verloren
geht.“ Grundgesetzwidrig sei es daher, so der Professor, würden
Regierung und Parlament „durch politische Entscheidungen eine völlig
neue ethnisch-kulturelle Struktur des Staatsvolkes“ herbeiführen.
Er
schließt daraus, logisch eher zwingend: „Eine Politik der Einwanderung
ohne Obergrenzen ist hiermit nicht vereinbar“, sei letztlich ein Verstoß
gegen das Grundgesetz des Deutschen Volkes. „Was gegenwärtig unter
Billigung der Bundesregierung stattfindet, ist eine Umstrukturierung der
Bevölkerung Deutschlands.“
Die deutsche Bundeskanzlerin sieht das
ja bekanntlich bis heute anders. Ihr wird hingegen in dem Buch
testiert, rechtlich in dieser Causa auf Treibsand zu stehen: „Die
Entscheidung der Bundeskanzlerin, die Grenzen für alle offen zu halten,
hat keine demokratische Legitimation.“ Denn: „Die Regierung darf nicht
die Identität des Volkes, dem sie ihre Legitimität verdankt, strukturell
verändern . . . Indem die Bundeskanzlerin eine Entscheidung trifft, die
sich auf die Identität des Volkes und auf den Charakter des
Nationalstaates dieses Volkes gravierend auswirkt, ohne das Volk zu
fragen, macht sie sich selbst zum Souverän. Das ist mit dem Prinzip der
Volkssouveränität nicht vereinbar.“ Ein Hauch von Putsch, sozusagen.
Juristisch schlüssige Überlegungen, die nur leider relativ wenig
Konsequenzen haben werden. Wir schaffen das ja bekanntlich. Christian Ortner
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.