Bei schwerwiegenden Erkrankungen wie Krebs müsse eine homöopathische Therapie auch Selbstzahlern verboten werden können, solange die Wirksamkeit nicht mit Studien belegt worden sei. „Da brauchen wir ganz klare Verbote“, sagt Hecken. Schließlich gehe es hier „nicht um Befindlichkeiten, sondern um Menschenleben“. Hecken ist der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte, Kassen und Krankenhäuser. Das Gremium legt fest, welche Leistung die Kassen bezahlen.
Auch der Vorsitzende der Krankenhausgewerkschaft Marburger Bund, der CDU-Bundestagsabgeordnete Rudolf Henke, hält es für an der Zeit, „die Regelungen des Heilpraktikerwesens völlig neu zu überdenken“. Der F.A.Z. sagte der Präsident der Ärztekammer Nordrhein: „Ich halte es nicht für vertretbar, dass Heilpraktiker die Behandlung von Patienten mit Krebserkrankungen übernehmen.“ Überhaupt müsse das Tätigkeitsfeld von Heilpraktikern, etwa bei der Akupunktur oder intravenösen oder intramuskulären Therapien überdacht werden. Henke wandte sich aber dagegen, das Thema mit der Frage der Erstattungsfähigkeit homöopathischer Therapien zu vermengen.
Homöopathische und anthroposophische Arzneimittel können als „OTC“-Präparate seit 2004 grundsätzlich nicht mehr zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden. Das ist ausnahmsweise zulässig, wenn sie bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten. Der gemeinsame Bundesausschuss legt in einer „OTC-Übersicht“ fest, welche Arzneimittel unter diese Regel fallen.
Hecken will Patienten nach eigenen Worten nicht die Einnahme von „Globuli“ madig machen. Es gebe auch Beispiele dafür, dass der Bundesausschuss solche Therapien zugelassen habe. So komme die Misteltherapie als Alternative zur klassischen Krebstherapie zwar nicht in Betracht, wohl aber für eine mögliche Therapie-Ergänzung. Es dürfe aber nicht sein, dass Beitragsgelder für Präparate ausgegeben würden, für die es keinen wissenschaftlichen Beleg gebe. So sei ihm unverständlich, warum ein Patient ein Nasenspray selbst bezahlen müsse, dessen therapeutischer Nutzen empirisch belegt sei, seine Kasse aber Arzneimittel bezahle, deren Wirksamkeit völlig unklar sei. „Wir sollten es nicht hinnehmen, dass im Sozialgesetzbuch Schritt für Schritt eine Grauzone eingeführt wird.“
Das gelte gerade dort, wo Patienten mit nicht belegten Heilsversprechen von anerkannten klassischen Therapien, etwa einer Chemotherapie bei der Krebsbehandlung, abgehalten würden. Damit verschlechterten sich womöglich nicht nur ihre Therapie- und Überlebenschancen, es könnten auch höhere Kosten durch Verschleppung ausgelöst werden. „Hier wird eine Grenze überschritten“, sagte er.
Hecken führte ein weiteres Beispiel an: So untersuche der Bundesausschuss seit Jahren, ob Menschen, in deren Familie eine Veranlagung zum Darmkrebs nachgewiesen ist, früher als andere Versicherte Anspruch auf die kostenlose Vorsorgeuntersuchung bekommen sollten. Das werde bisher nicht bezahlt, weil der wissenschaftliche Nachweis dafür fehle. Nur bei den „klassischen medizinischen Angeboten wird alles mit dem Hundert-Watt-Strahler bis ins letzte Mauseloch untersucht“, klagt er. Bei der „alternativen Medizin“ tappe man dagegen im Dunkeln. Verwundert zeigte er sich darüber, dass auch Ärztekammern eigene Abteilungen für die „Komplementärmedizin“ gründeten, „obwohl die von der Evidenz her betrachtet eine riesige Black Box ist“.
Die Autoren einer Studie in Australien hätten unlängst ein „vernichtendes Urteil“ über homöopathische Präparate gefällt: „Es gibt keine Überlegenheit gegenüber Placebos“, fasst Hecken das Ergebnis zusammen. In Großbritannien habe der öffentliche Gesundheitsdienst die Bezahlung homöopathischer Präparate eingestellt, nachdem eine Kommission im Auftrag des Unterhauses keinen Beleg für Vorteile gegenüber der klassischen Medizin gefunden habe. Selbst aus den Reihen der „Komplementärmedizin“ werde dies zugegeben.
Die Anhänger der anthroposophischen Medizin fordert Hecken auf, gegebenenfalls den Gegenbeweis anzutreten. „Es ist an der Zeit, die Leute, die dafür werben, beim Wort zu nehmen und die Evidenz zu prüfen.“ Das Thema müsse auch hierzulande gründlich durchleuchtet werden. „Der Gesetzgeber sollte den Gemeinsamen Bundesausschuss oder ein anderes Institut beauftragen, sich im Rahmen einer Metaanalyse der Evidenz der homöopathischen Medizin anzunehmen und entsprechende Schlussfolgerung zu ziehen.“
Als langjährigem Gesundheitspolitiker ist Hecken die Brisanz seiner Forderungen klar, gilt die Homöopathie doch auch als ein Lieblingskind der Grünen und Besserverdienenden. Dem Ausschuss-Vorsitzenden ist das offenkundig egal. Er sagt: „Wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir eine breite öffentliche Diskussion brauchen. Dafür bin ich auch bereit, mich öffentlich schelten zu lassen.“ FAZ
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.