„Da
ich nicht Terrorist werden konnte“, schreibt Henryk M. Broder, „blieb
mir nichts anderes übrig, als Journalist zu werden. Das ist kein sehr
angesehener Beruf, er rangiert sogar noch unter dem des Terroristen. Ein
Terrorist kann mit Verständnis der Gesellschaft rechnen, damit, daß ihm
bei einer Festnahme nicht nur seine Rechte vorgelesen, sondern auch
umgehend Mutmaßungen über seine Motive angestellt werden: Warum er gar
nicht anders handeln konnte und warum nicht er, sondern die Gesellschaft
für seine Taten verantwortlich ist.“
Diese Sätze aus dem Buch „Hurra, wir kapitulieren“ sind
charakteristisch für das Selbstverständnis und die Wirkungsstrategie
Henryk M. Broders, der am 20. August seinen 70. Geburtstag begeht. Sie
bezeugen seine Lust am Wortwitz, an der Provokation und an der
Paradoxie. Broder spitzt den gängigen Irrsinn nochmals zu, bis seine
Absurdität auch dem Letzten einleuchtet.
Im etablierten Journalismus der Bundesrepublik ist Broder einer der
wenigen, die sich die Freiheit nehmen, aus dem zäh dahinfließenden
Meinungsstrom auszuscheren und deshalb über eine erkennbare individuelle
Handschaft verfügen. Die Resonanz ist am größten, wenn er sich Themen
widmet, die unter einem Tabu oder einem Fast-Tabu stehen: dem Europa der
Eurokraten, dem Islam oder der Vergangenheitsbewältigung. Auch der
Zentralrat der Juden in Deutschland kann sich vor seinem Spott nicht
sicher fühlen. Er bringt dann griffig auf den Punkt, was hinter
vorgehaltener Hand geraunt wird.
„Hohepriester des vernichtenden Wortes“
hat man ihn deswegen auch genannt.
Seine wichtigsten Medien sind der Blog „Achse des Guten“ sowie Springers Welt.
Seit mehr als zehn Jahren beschäftigen ihn vor allem der Islamismus und
die Unterwürfigkeit, mit der die meisten Intellektuellen darauf
reagieren. Am schärfsten geht er mit Liberalen und Linken ins Gericht,
die in immer abstruseren Wendungen ihre Angst und Schwäche als Zeichen
höherer Einsicht und moralischer Überlegenheit auszugeben versuchen.
Broder ist sich darüber im klaren, daß er es mit einem
pathologisierten Volk zu tun hat, das an sich leidet. Zielsicher
plaziert er Buchtitel wie „Vergeßt Auschwitz!“ und polemisiert gegen den
„deutschen Erinnerungswahn“. Wer aber glaubt, er plädiere für ein
psychisches Gleichgewicht beziehungsweise für eine deutsche Normalität,
irrt sich gründlich. Das eben ist der oft übersehene Aspekt seines
Wirkens.
Die Deutschen sollen ihre fruchtlosen Vergangenheitsexerzitien ruhen
lassen, nur um sie gegen die praktische und bedingungslose Solidarität
mit Israel einzutauschen. Es gilt ihm schon als Beleg für ihren
heimlichen Antisemitismus, daß sie im Fall eines iranisch-israelischen
Konflikts mehrheitlich neutral bleiben möchten. Zutreffend stellte die Süddeutsche Zeitung fest, Broder trage dazu bei, „das schlechte Gewissen der Deutschen“ wachzuhalten.
Schließlich ist es die Grundlage seines sadomasochistischen
Geschäftsmodells. Einerseits spottet er über die deutschen Pathologien,
andererseits wacht er eifersüchtig darüber, daß sie lebendig bleiben,
weil sie ihm die öffentliche Exklusivität und seine Themen garantieren.
„Seiner jüdischen Abstammung wegen“, so der Literaturwissenschaftler
Günter Scholdt in dem Buch „Vergeßt Broder“, besitzt er „einen
Startvorteil“ gegenüber Nichtjuden. Er richtet den Goi-Delinquenten auf,
um ihn anschließend in die Delinquenz zurückzustoßen. Der bedankt sich
anschließend artig für die zwischenzeitliche Endorphin-Phase, die Broder
ihm verschafft hat.
Indes dringt seine Stilkritik selten in die Tiefenstrukturen
politischer Machtverhältnisse vor, und auf seine Urteilskraft möchte man
sich auch nicht verlassen. Als vehementer Propagandist der Golfkriege
und des Regimewechsels im Irak rückte er in die Nähe der amerikanischen
Neocons. Er war blind für die voraussehbaren Folgen, die nun voll über
Europa und Deutschland hereinbrechen: nicht zuletzt in Gestalt des
importierten Antisemitismus, den die muslimische Einwanderung mit sich
bringt, den er zu Recht anklagt – und fürchtet!
Broder ist kein Weiser. Andererseits ist er viel zu talentiert, um
als bloßer Besserwisser abgetan zu werden. Als begabter Pausenclown auf
dem deutschen Narrenschiff hat er sein Auskommen und die Rolle des
Lebens gefunden.
Das festzustellen bedeutet keine Herabsetzung. Wer wollte und dürfte
die auch wagen? Wer 1946 im oberschlesischen Kattowitz als Sohn
jüdischer Eltern mit KZ-Erfahrung geboren wurde, dem ist eine
jahrhunderalte Geschichte von Verfolgung und Gefährdung und eine
besondere Empfindlichkeit in die DNA eingeschrieben.
Broder meinte einmal, er wäre „lieber der Sohn holländischer Bauern
oder dänischer Fischer geworden als der Nachkomme hysterischer
polnischer Juden, die sich – und ihren Kindern – das Leben nach dem
Überleben zur Hölle gemacht haben“.
Eine Aussage, die den Abgrund
persönlicher Tragik erhellt und einen verständnisvollen Blick auf den
eifersüchtigen Spötter eröffnet. Thorsten Hinz
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