Wenn ich nicht völlig daneben liege und die Berichte in den
Nachrichtenprogrammen total missverstanden habe, finden regelmäßig
Kabinettsitzungen statt, an denen alle Minister unter dem Vorsitz der
Kanzlerin teilnehmen. Dabei sitzen Angela Merkel (CDU) und der
Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) an einem großen Tisch, nicht nur
nebeneinander, sondern einander herzlich zugetan.
Sie witzeln und lachen, wie zwei Teenager bei einem Date. Einmal im
Jahr begibt sich die ganze Regierung zu einer zweitätigen Klausur auf
Schloss Meseberg, dem Gästehaus der Bundesregierung, 70 Kilometer
nördlich von Berlin. Dort, in einer ländlich-idyllischen Umgebung, kommt
man sich noch näher. Es wird zusammen gegessen und gegrillt, wie auf
einem Betriebsfest.
Und das Bundespresseamt sorgt dafür, dass die gute Stimmung nach
außen „kommuniziert“ wird. Zuletzt war das Ende Mai dieses Jahres so,
also vor drei Monaten.
Bei all diesen formellen und informellen Treffen kommt der
Vizekanzler offenbar nicht zu Wort. Will er etwas zu der Politik von
Angela Merkel anmerken, muss er in die Öffentlichkeit gehen, damit es
alle mitbekommen.
Erst vor ein paar Tagen gab Gabriel ein Interview, in dem er die
Kanzlerin für ihren zum geflügelten Wort geronnenen Satz „Wir schaffen
das!" kritisierte. „Eigentlich muss der Satz lauten: ‚Wir machen das!'
Wir haben unendlich viel Zeit verloren. Einfach mal sagen ‚Wir schaffen
das‘ und dann die Sache einfach laufen lassen, ist ein großer Fehler
gewesen.“
Elf Monate und zwei Wochen, nachdem die Kanzlerin bei ihrer
Sommerpressekonferenz am 31. August 2015 gesagt hatte: „Wir schaffen
das, und dort, wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden,
muss daran gearbeitet werden“, stellte ihr Vertreter fest, dies sei ein
„großer Fehler“ gewesen. Sie hätte „Wir machen das!" sagen sollen, dann
sähe heute alles anders aus.
Ja, der Vizekanzler ist nicht nur ein Schnellmerker, er ist auch ein
brillanter Analytiker. Warum nur brauchte er elf Monaten und zwei
Wochen, um die Kanzlerin auf ihren semantischen Fehler aufmerksam zu
machen? Hätte er nicht früher intervenieren können, um Unheil vom
deutschen Volk abzuwenden? Doch. Mögen hätt‘ er schon wollen, aber
dürfen hat er sich nicht getraut. Henryk Marcin Broder
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