Drei
Jahre nach der Gründung der AfD bringen Politiker der etablierten
Parteien eines der schwersten Geschütze in Stellung: den
Verfassungsschutz. Am vergangenen Sonntag machte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
auf mit der Schlagzeile „AfD-Politiker im Visier“. Danach ruft der
baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) dazu auf, die
AfD „mit Blick auf eine mögliche Beobachtung durch den Verfassungsschutz
zu bewerten“.
Wer genauer hinsieht – doch wer tut dies? – merkt, daß nichts geklärt
ist, nichts feststeht. Semper aliquid haeret – es bleibt immer etwas
hängen. Die Behörden erklären auf Nachfrage, bislang werde niemand
allein wegen einer AfD-Mitgliedschaft beobachtet. Nur dann, wenn
Extremisten in die AfD und andere Parteien hineinwirkten und diese
rechtsextremistisch beeinflußten.
Warum ist die Drohung mit dem Verfassungsschutz politisch so brisant?
Für alle diejenigen, die als Beamte für das Land oder den Bund arbeiten
– wie Lehrer, Polizisten, Soldaten – ist dies ein Alarmsignal. Denn sie
geraten unweigerlich beruflich in Bedrängnis, wenn sie Mitglied oder
gar Funktionär einer Partei sind, die der Verfassungsschutz beobachtet
oder wegen des Verdachts auf extremistische Bestrebungen in seinen
Jahresberichten erwähnt. In der Vergangenheit wurde auch bewertet, ob
ein Staatsbediensteter rechtzeitig den Absprung schaffte. Deshalb hat
bereits die reine Debatte über die Prüfung einer eventuellen Beobachtung
durch den Verfassungsschutz eine präventive abschreckende Wirkung.
In der AfD kursiert schon länger die These von der
„Republikanerfalle“, in die die junge Partei geraten könnte. Viele
scheinen gemeint zu haben, die AfD sei unter völlig anderen Bedingungen
gestartet und himmelweit vom Schicksal jener rechtskonservativen Partei
entfernt, die es Ende der achziger und in den neunziger Jahren auf
Landesebene nur in Berlin und Baden-Württemberg in die Landtage und
einmal in das Europaparlament schaffte und zermürbt von wiederholten
Spaltungen und einem jahrelangen Abwehrkampf gegen die
Verfassungsschutzbeobachtung schließlich in der Bedeutungslosigkeit
versank.
Doch es gibt durchaus Parallelen. Als die Republikaner im Januar 1989
mit 7,5 Prozent in das Berliner Abgeordnetenhaus und im Juni des
gleichen Jahres mit 7,1 Prozent in das EU-Parlament einzogen, sah sich
die Union unter einem ähnlichen Druck wie heute angesichts des Erfolgs
der AfD. Zweifellos positionierten sich die Republikaner unter ihrem
Vorsitzenden Franz Schönhuber „rechter“ als es die AfD bis heute tut.
Dennoch wurden sie zunächst auch als konservativ oder
„rechtskonservativ“ verortet. Mit wachsendem Erfolg setzte rasch die
Spekulation über tatsächliche oder vermeintliche „verfassungsfeindliche
Umtriebe“ bei den Republikanern ein. Obwohl die Partei erst 1992 im
Verfassungsschutzbericht des Bundes erwähnt wurde, wirkte der Druck
schon vorher.
Bei den Republikanern befeuerte dies den Streit, wie weit die Partei
sich nach rechts abgrenzen solle. Es zeigte sich damals, daß unter dem
Druck der Verfassungsschutzdrohung neben dem einsetzenden Aderlaß von
Beamten, auch andere privatwirtschaftlich beruflich exponierte
Mitglieder die Partei verließen und sich so arithmetisch das Gewicht des
rechten Flügels in einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung immer mehr
erhöhte.
Auch die AfD hat bislang in erster Linie auf dem gemäßigten Flügel
verloren: Am gewichtigsten war 2015 der Abgang der Gruppe um den
Co-Bundessprecher Bernd Lucke. Es gab keine relevanten Abspaltungen auf
dem rechten Flügel. Den aus dem Ruder gelaufenen Landesverband Saarland
bekommt die Parteispitze nicht unter Kontrolle, der wochenlang
verschleppte Fall des antisemitischen Abgeordneten Gedeon offenbarte
zuletzt eine gravierende Führungskrise. Insofern steht die Partei vor
der Gefahr, daß sich ihre Trimmung immer weiter verschiebt.
Bei den Republikanern gab es, nachdem die Verfassungsschutzämter mit
der Beobachtung begonnen hatten, immer lauter werdende Stimmen, die
danach riefen „Patrioten an einen Tisch“, „Distanzeritis beenden“ – es
wurde Solidarität und „Einheit der ganzen Rechten“ gefordert. Am Schluß
gab es unter Schönhuber Verhandlungen mit der rechtsnationalen DVU.
Damit hatte man die Republikaner in der radikalen Ecke, in die man sie
jahrelang hineingeschrieben hatte.
Die Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes als
„Etabliertenschutz“ ist ein Skandal. Die AfD kann den Mißbrauch nicht
scharf genug verurteilen. Zumal der Verfassungsschutz bei seiner
eigentlichen Aufgabe, tatsächliche gewalttätige Extremisten jeder
Couleur aufzuklären, wiederholt jämmerlich versagt hat.
Bei der notwendigen Präzisierung ihres Kurses und der
Auseinandersetzung mit der Verfassungsschutz-Drohung hilft es der AfD
nichts, sich rein taktisch-oberflächlich und formalistisch von einzelnen
Organisationen und Personen abzugrenzen. Sie muß aus sich selbst heraus
positiv bestimmen, wofür sie steht – und wofür nicht.
Die Partei startete im Zusammenhang mit der Euro-Rettung und einer
völlig außer Kontrolle laufenden Asylkrise als Verteidigerin der
demokratischen Mitwirkung, der Rechtsstaatlichkeit, ihr größter Erfolg
war eine ansteigende Wahlbeteiligung – allein weil es in zentralen
politischen Fragen endlich eine tatsächliche Alternative gab. Sie
speiste sich durch den Protest von Bürgern aus der politischen Mitte.
Die AfD jetzt zu Verfassungsfeinden zu stempeln ist deshalb ein
Treppenwitz. Dieter Stein
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